Krimi im Ersten

"Tatort: Du gehörst mir": Zum Weinen schön

12.02.2016, 13.00 Uhr
von Detlef Hartlap
Kein schöner Anblick für Mario Kopper (Andreas Hoppe) und Lena Odenthal (Ulrike Folkerts): Tarim Kosic wurde erst zwischen zwei Autos zerquetscht und dann angezündet, um die Spuren zu verwischen.
BILDERGALERIE
Kein schöner Anblick für Mario Kopper (Andreas Hoppe) und Lena Odenthal (Ulrike Folkerts): Tarim Kosic wurde erst zwischen zwei Autos zerquetscht und dann angezündet, um die Spuren zu verwischen.  Fotoquelle: SWR/Alexander Kluge

Schon wieder ein Lena-Odenthal-Tatort, der beweist: Die Provinz kann das Provinzielle hinter sich lassen und richtig gute Krimis liefern.
Im scheinbar leutseligen Titel dieses Tatorts aus Ludwigshafen liegen Abgründe: Du gehörst mir. Darin steckt mehr als in Marianne Rosenbergs Schlager-Klassiker "Du gehörst zu mir", es ist auch entschieden mehr als eine bloße Feststellung. "Du gehörst mir" wendet sich an eine Person, hat etwas von einem Imperativ, lässt Pathologisches anklingen und Böses ahnen.

Es ist das Verdienst des Drehbuchs von Jürgen Werner und der Regie von Roland Suso Richter, in aller Ruhe einen Abgrund nach dem anderen wie Fenster zum Bösen zu öffnen. In "Du gehörst mir" prallen Welten aufeinander und führen in die Katastrophe. Das Ergebnis ist ein zu Herzen gehender Kriminalfilm.

Vier Opfer

"Zu Herzen gehend" deshalb, weil das Verbrechen nicht als Vorwand für eine umständliche Jagd nach dem Täter herhalten muss, sondern weil Opfergeschichten erzählt werden, zwei, drei, vier Opfergeschichten auf einmal, ach, am Ende sind alle Opfer, auch das Kripo-Team um Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) kennt keinen Sieger, nur ein paar Leutchen, die ein wenig im Dreck gewühlt haben und weder Dank noch Befriedigung erwarten dürfen. 

Die junge bildhübsche Tänzerin Marie (Elisa Afie Agbaglah) schwebt auf Wolke sieben. Sie hat soeben ist erstes Bühnenengagement erhalten. Da wird sie in einem Parkhaus von anscheinend zwei Tätern vergewaltigt. Mittels einer Plastiktüte schneiden sie ihr derart die Luft ab, dass sie mit vermutlich bleibenden Schäden ins Koma sinkt. Opfer Nummer 1.

Ihrer Mutter (Sandra Nedeleff) ergeht es in gewisser Weise schlimmer. Sie steht am Krankenbett ihrer bewusstlosen Tochter, hofft auf ein Wunder, hasst den oder die Täter (das weiß sie noch nicht), macht sich selbst Vorwürfe, weil sie auf eine SMS ihrer Tochter nicht reagiert hat. Maries Mutter schwebt, weil sie jeglichen Boden unter den Füßen verloren hat, und es gelingt Sandra Nedeleff dieses Schweben in einer wie choreografiert anmutenden Körpersprache fühlbar werden zu lassen. Eine bravouröse Leistung.

Opfer Nr. 3 ist die dickste Freundin Maries, Evelyn Zoller, gespielt von der auch schon als Sängerin hervorgetretenen Lilli Fichtner. Evelyn lotet den Grenzbereich von Freundin, Fan und geheimer Neiderin aus. Ihr Leben besteht aus Selfies, bald Fotos, bald kleine Filmchen, die sie und Marie zeigen, ihre gemeinsamen Träume, die sich für Marie gerade zu erfüllen schienen, nur für Marie. Evelyn weint um ihre Freundin, ist rührend besorgt, steht jeden Tag an ihrem Krankenbett und hofft, dass sich das Karma, das in übelster Form über Marie gekommen ist, wieder ausgleichen möge.

Da ist, Opfer Nr. 4, der erfolgreiche Rapper Yago Torres (Matthias Weidenhöfer), der mächtig in Marie verschossen ist und ihr mit der Nervigkeit eines unsicheren (und deshalb umso großspurigeren) jungen Mannes ein Liebesbekenntnis abzunötigen versucht. Auch er weint um Marie, besonders, wenn er alte Selfies von ihr und ihm auf sich wirken lässt.

Die Spiegelsaal-Atmosphäre eines Fitness-Studios ist per se eine Selfie-Konstruktion, aber das Mädchen an der Kasse weiß den allumfassenden Narzissmus zu einem ultimativen Sexnummern-Selfie zu steigern. Sie filmt sich und einen dringend tatverdächtigen Bodybuilder bei einer armseligen Nummer auf der Toilette und postet das Geschehen, noch bevor man sich wieder angekleidet hat. Die hereinschnellenden "Likes" registriert sie mit Stolz.

Nur am Rande ein Krimi

Die Krimis des vielschreibenden Autors Jürgen Werner zeichnen sich (in ihren besseren Fällen; es gibt auch andere) dadurch aus, dass sie nur sehr am Rande Krimis sind. In seinen Dortmunder Folgen kann man von geschätzten 30 Prozent Verbrechensanteil und 70 Prozent privaten Kümmernissen sprechen, die zufällig in den Räumen einer Mordkommission zum Ausbruch kommen.

In diesem Ludwigshafener Fall sind die Übergänge fließend, sodass sich Kriminalfilm und Privates kaum trennen lassen (was durchaus lobenswert ist), aber in alles in allem passiert entschieden mehr als in einem Dutzend früherer Odenthal-Krimis, die man, ohne sie vorher gesehen zu haben, auswendig mitsprechen konnte.

Der Reihe nach: Marie liegt im Koma. Ein Bodybuilder wird im selben Parkhaus, in dem sie vergewaltigt wurde, gezielt überfahren und anschließend verbrannt.

Sein Spezi (der mit der Klo-Nummer) stirbt nach Genuss eines offenbar mit einem Reinigungsmittel angereicherten Aufbaugetränks.

Erik Ode lässt grüßen

Und bei der Polente geht es drüber und drunter. Die (immer noch) Neue im Team, Johanna Stern (Lisa Bitter) spielt gnadenlos ihre avancierten Polizeimethoden aus und lässt Lena Odenthal und Mario Kopper (Andreas Hoppe) schlecht aussehen. Es ist kein Wunder, dass sich der oberste Spurenleser im Team (Peter Espeloer) am besten mit "der Frau Stern" versteht, der das Bauchgefühl-Ermitteln von Odenthal und Co. wie ein Relikt aus Erik Odes Zeiten vorkommt.

Auf der anderen Seite ist Werners Drehbuch klug genug, die Defizite der auf Effizienz getrimmten modernen Ermittlerin aufzuzeigen. Ihre Empathie-Werte liegen irgendwo im Untergeschoss des Polizeipräsidiums, und wenn sie sich aufrafft und mit Kopper gut Wetter machen möchte, dann fällt ihr im Ristorante ein, dass sie eigentlich doch keinen Appetit hat und schon gar nicht mehr als ein Glas Wein trinkt. Die junge Generation funktioniert. Weiß sie auch zu leben?

Eine Frage, die man allerdings auch Lena Odenthal und ihrem Mario, der bis vor einiger Zeit bei ihr lebte und nun Treuschwüre an eine Maria in Italien vertelefoniert, stellen könnte. Lena Odenthal steht das Elend ihrer 25 Jahre Kripodienst ins Gesicht geschrieben, er befindet sich in einer Sinnkrise, die nach Quittieren des Dienstes schreit.

Am Ende, als, wie gesagt, keiner gewonnen hat und ein zum Heulen trauriger Fall (und darum sehr schöner Film) zu den Akten gelegt werden könnte, fährt Koppe seiner heftig winkenden Lena auf und davon. Schluss. Aus. Ende.

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