Krimi im Ersten

"Tatort" am Sonntag: Armes Schneeflöckchen

01.12.2015, 06.15 Uhr
von Detlef Hartlap
Eine Tierpflegerin, die Hilfe braucht: Emma (Anna Drexler) leidet schwer unter den Ereignissen in ihrer Kindheit.
BILDERGALERIE
Eine Tierpflegerin, die Hilfe braucht: Emma (Anna Drexler) leidet schwer unter den Ereignissen in ihrer Kindheit.  Fotoquelle: Bernd Schuller

Eine Szene, die ins Herz sticht. Der Zuschauer weiß, was passiert, und doch möchte er, dass es anders kommt, dass er eingreifen könnte. Der Zuschauer weiß, dass der Handwerksmeister, der aus dem Auto steigt, soeben seine Firma verloren hat und demnächst sein Haus verlieren wird. Er betritt das Haus, Frau und Sohn begrüßen ihn freudig. Er schießt sie nieder.

Wenig später, er will sich offenbar selbst richten, kommt seine siebenjährige Tochter ins Haus gerannt, auch sie arglos.

Diesmal gelingt es ihm nicht, zu schießen. Er jagt Emma, sein "Schneeflöckchen", fort. Draußen auf dem Feld hört sie den Knall. Ihr Vater hat sich erschossen.

Diese Szenen sind nicht der eigentliche Erzählstrang des Münchner Tatorts Einmal wirklich sterben, sie sind Rückblende, Voraussetzung für das, was folgt.

"Wir alle leben vom Vergangenen und gehen an Vergangenem zu Grunde", sagt Goethe.

Im Mahlstrom ihrer Erinnerungen

Hier ist die Geschichte von Emma, die früher in einer besseren Welt Vaters "Schneeflöckchen" war, aber nie gelernt hat, mit dem Vergangenen zu leben. Würde sie nicht Antidepressiva stärksten Kalibers schlucken, wäre sie längst im Mahlstrom ihrer Erinnerungen ertrunken.

Sie arbeitet als Elefantenpflegerin im Zoo, und bei der Arbeit mag sie vergessen können. Aber ein Tag dauert länger als alle Tierpflege, und die Lasten, die auf der Seele liegen, wiegen schwerer als jede Ablenkung, und sei es die Liebe ihrer Freundin Lissy.

Anna Drexler (25) spielt diese süße, kleine, erbarmungswürdige Emma, die wie auf einer festen abschüssigen Schiene durch diesen Tatort gleitet.

Anna Drexler, Tochter des Burgschauspielers und gelegentlichen Schweizer Bodensee-Kommissars Roland Koch, wurde vor zwei Jahren von der Schauspielschule weg in die Münchner Kammerspiele befördert. Ein Riesentalent.

Mal wieder ein guter Tatort

Mit den Tatortfolgen aus München verhält es sich wie mit den meisten Pop-Alben: Unter lauter schlechten Songs steckt ein vereinzelter, den man hören kann.

Dies ist wieder mal ein guter Tatort. Er lässt niemals los, wahrt die Balance zwischen Polizisten- Blödelei und menschlicher Tragödie und zieht die scheinbar eindeutige Täterfrage geschickt ins Ungewisse.

Wieder hat es, wie damals vor 15 Jahren, eine Familienhinrichtung gegeben: Mutter tot, Stiefvater schwer verletzt, das kleine Kind (ein Junge) steht fassungslos vor der Leiche der Mutter.

"Mami schläft", wird der Junge später sagen. Sonst sagt er nichts. Der Stiefvater von heute war damals Emmas Vater. Er hatte überlebt, kam nach 14 Jahren frei, gründete eine neue Familie. Wird er noch mal überleben oder "einmal wirklich sterben"?

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