"Weihnachtsgeld" und "Der Irre Iwan"

Tatort an Weihnachten: Leiche flüchtig

24.12.2014, 12.04 Uhr

Ein bisschen Spaß muss sein, auch im Tatort. "Weihnachtsgeld" und "Der Irre Iwan" sind zwei rundum gelungene Folgen.

In der Tatort-Folge "Der Irre Iwan" am Neujahrstag liegt der Weimarer Stadtkämmerer (oder sein Zwilling, das weiß man nicht) auf der Bahre der Gerichtspathologin. Mausetot. Als sie mit dem elektrischen Schredder kommt, um ihm an die Knochen zu gehen, springt er auf und davon.

Sachlich korrekt spricht die Pathologin in ihr Diktaphon: "20.45 Uhr. Leiche flüchtig."

Humor im deutschen Tatort?

Eine wunderbare Szene, welche die Frage aufwirft: Wie steht es eigentlich um den Humor im deutschen Tatort? Tatorte, das muss man sagen, werden generell ernstgenommen. Sehr ernst. Im Tatort ist ein Mord aufzuklären und sonntags auch mal zwei. Da macht man keine Witze und falls doch, dann sollten sie sich schon woanders bewährt haben. Gern werden auch, etwa im Radio oder von Zeitungen, denen kein Thema einfällt, reale Polizisten befragt, ob der Tatort denn auch nah genug an der Wirklichkeit hause.

Außerdem steht der Tatort unter der Verpflichtung, die sagenhaft beliebte Kommissarin und den sagenhaft beliebten Kommissar in jeder zweiten Szene in Großaufnahme zu zeigen. Wenn es, wie in Münster, gleich zwei beliebte Ermittler sind, Axel Prahl und sein schnüffelnder Pathologe Jan Josef Liefers, dann funktioniert das auch, zumal sich die Last der Originalität auf zwei Gesichter verteilt.

Bei einer Schauspielerin wie Maria Furtwängler, die über anderthalb Mienen nicht hinauskommt, kann das schon mal nervend wirken. Zumindest für jene wenigen Zuschauer, die noch nicht via "Bild", "Bunte", "Gala" oder "Hörzu" eingebleut bekommen haben, dass es sich bei Maria Furtwängler um die größte Schauspielerin seit Pola Negri handelt.

Prahl und Liefers dürfen Scheiß machen

Prahl und Liefers dürfen sonntags Scheiß machen, dafür sind sie da und außerdem wirklich witzig. Manchmal. Alle anderen aber haben ernsthaft bemüht zu sein und sollten auch schon mal ein gesellschaftlich heißes Eisen anpacken, wie das den Söhnen Millowitschs, die seit 20 Jahren am Kölner Rheinufer Würstchen essen, immerzu ins Drehbuch geschrieben wird: Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt sind das soziale Gewissen des Tatorts. Wo so oft blankes Entsetzen herrscht, bleibt für Humor kein Platz.

Das ist auch besser so. Humor könnte irritieren. Wenn einer auf so einem roten Motorroller dahergeknöttert kommt wie Kommissar Stellbrink (Devid Striesow) in Saarbrücken, dann weiß man am Ende gar nicht: War das jetzt der Polizist oder Kasperle?

Stellbrink/Striesow auf dem Weihnachtsmarkt

Ausgerechnet an Weihnachten wagt es die ARD, den unmöglichen Stellbrink auf den Bildschirm loszulassen. Was wird er diesmal wieder anstellen? Wir begegnen Stellbrink/Striesow auf dem Weihnachtsmarkt. Das geht nicht gut für ihn aus, so viel sei verraten.

Wir begegnen ihm in einem Sex-Etablissement namens "Sans Soucis", und auch das führt ihn nur in den Schlamassel. Aber Stellbrink/Stiesow steckt das weg.

Er sitzt in einem Rohbau auf Beobachtungsposten und bibbert fürchterlich vor Kälte, aber das ficht einen wie ihn nicht an.

Eigentlich will er ja einen Mörder finden, doch als er auf seinem Motorroller durch das nächtliche Saarland stottert, stößt er nur auf den, der es nicht gewesen ist sowie bald auch auf einen neuen Erdenbürger: Ein Baby wird entbunden. In einer Scheune, zu der man auch Stall sagen darf. "Am selben Tag wie unser Erlöser", staunt Stellbrink.

So ist das mit dem Weihnachts-Tatort aus Saarbrücken: Was bisher verschroben bis grotesk rüberkam, wird jetzt sachtemang ins Niedliche überführt. Alle sind schrecklich nett, schrecklich lieb zueinander, singen in einem fort, der Zuhälter ist ne Klamotte, und der Mörder, als er denn endlich gefunden wird, kann einem beinahe leid tun.

Blöd auf die liebe Tour

Und jetzt kommt's: Das ist einer der auf angenehme Weise witzigsten Filme, die in den letzten Jahren im Fernsehen gezeigt wurden. Kritiker sprechen dann gern von "leiser Absurdität", die in diesem Fall nie bedrohlich wirkt, sondern blöd auf die liebe Tour.

Sehr weihnachtlich, halt.

Der Tatort "Weihnachtsgeld" läuft am 26. Dezember um 20.15 Uhr.

Überspringen wir den Münchner Tatort am 28. Dezember, um in eine weitere seltene Oase des Fernsehfrohsinns vorzustoßen – den Weimar-Tatort mit Nora Tschirner und Christian Ulmen. Vor einem Jahr landeten sie mit "Die fette Hoppe" einen Überraschungscoup: Die Erfindung der Leichtigkeit auf bleischwer kontaminiertem Tatortboden.

Auch diesmal traut man seinen Augen kaum: Das soll vom MDR kommen? Von demselben MDR, der uns kürzlich noch mit "Der Maulwurf" aus Erfurt einen Trum von Tatort vorsetzte und der auch in Leipzig, ungeachtet eines Ausnahmeschauspielers wie Martin Wuttke, selten etwas Gescheites auf die Beine bekommt.

Ulmen und Tschirner sind grandios albern, und alle anderen in Weimar sind auch nicht übel.

Der bekloppteste Todesschuss der Tatort-Geschichte

Wir erleben den beklopptesten Todesschuss der Tatort-Geschichte (von unten durch die Zimmerdecke, durch einen Sitzball und dem Opfer in den Po) sowie die abgedrehteste Zwillingsgeschichte seit dem "doppelten Lottchen".

Wir erleben ein deppertes Gauner-Pärchen (Dominique Horwitz und Pit Bukowski), wie es dergleichen seit Nestroys Zeiten nicht mehr zu sehen war. Nur dass es zu Nestroys Zeiten noch kein Fernsehen gab.

Und wir lesen im Abschiedsbrief einer 109-jährigen Selbstmörderin: "Ich habe alle Hoffnung aufgegeben, auf normale Weise aus dem Leben zu scheiden."

Der Tatort "Der Irre Iwan" läuft am 1. Januar um 20.15 Uhr.

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