Nicht zu toppen

"Tatort" mit Thiel und Boerne: Albern bis tödlich

29.05.2015, 07.30 Uhr
von Detlef Hartlap
Ein trautes Paar? Prof. Boerne (Jan Josef Liefers) und Kommissar Thiel (Axel Prahl) spielen ein schwules Ehepaar, weil Boernes schwuler reicher Erbonkel Gustav aus Florida zu Besuch kommt.
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Ein trautes Paar? Prof. Boerne (Jan Josef Liefers) und Kommissar Thiel (Axel Prahl) spielen ein schwules Ehepaar, weil Boernes schwuler reicher Erbonkel Gustav aus Florida zu Besuch kommt.  Fotoquelle: WDR/Martin Valentin Menke

Sonntag ermitteln wieder Axel Prahl und Jan Josef Liefers. Warum sind die beiden so viel besser als andere Teams?

Greifen wir zum Spaten und graben ganz tief nach der Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet der Münster-Tatort der Champion unter allen Tatort-Schauplätzen ist. Einzig mögliche Erklärung: weil die Witze am doofsten sind.

Thiel immer eine Spur nüchterner als Kollege Professor

Thiel und Boerne feiern, schon voll des klaren Wodkas, die Beförderung der Kollegin Krusenstern zur Kommissarin. Thiel ist wie immer eine Spur nüchterner als der Kollege Professor und fürchtet: "Jetzt ein Doppelmord, dann hätte ich gleich vier Leichen gesehen."

"Vier Leichen", lallt Boerne, "das ist gut!" Der Münster-Tatort ist auch deswegen so beliebt, weil sich die Darsteller über die doofen Witze lustig machen können.

In der neuen Folge mit dem alten Schülerwitz Erkläre Chimäre im Titel wird das zur Masche. Vadder Thiel, der Taxifahrer, nennt seine Kollegin Tine Haemmer "'nen Hammer", worauf Boerne prustet: "Das ist schon eher ein Vorschlaghammer!"

"Vorschlaghammer", überlegt der alte Thiel, "das ist gut, das merk ich mir."

Boerne und Thiel tun so, als wären sie schwul

Niemand außer Jan Josef Liefers (Prof. Boerne) und Axel Prahl (der junge Thiel) könnte im Fernsehen, noch dazu am heiligen Tatort, mit einer solchen Story aufwarten: Weil Boernes schwuler reicher Erbonkel Gustav aus Florida zu Besuch kommt, tun Boerne und Thiel so, als wären sie auch schwul und frisch verheiratet.

Niemand außer Liefers und Prahl könnte eine Geschichte präsentieren, die von einem Luftröhrenschnitt mit dem Obstmesser erzählt und von Champagner aus dem Jahr 1829, der in einem Wrack vor Kuba lag und nun in Münster anlandet (wo die Pullen wie frisch aus dem Lidl-Regal aussehen).

Komödianten wie sie meistern das. Das Geheimnis des Erfolgs von Münster heißt: Jan Josef Liefers und Axel Prahl.

Feld von Ernstnehmern und Auf-die-Schippe-Nehmern

Hinter diesem absonderlichen Duo tummelt sich ein Feld von Ernstnehmern und Auf-die-Schippe-Nehmern. Liefers und Prahl am nächsten kommen Nora Tschirner und Christian Ulmen im federleicht verspielten Weimar-Tatort. Der Unterschied zu Münster: Während Thiel und Boerne gekonnt und einzigartig ihren starken Tobak runterspielen (und damit manch schwache Drehbuchvorlage adeln), stehen Tschirner/Ulmen bei ihren bisherigen zwei Versuchen stets in Beziehung zu vielen anderen schlechten Tatort-Folgen. Sie sind Karikatur und wollen es sein. Und sie sind verdammt gut darin.

Berlin setzt mit Meret Becker und Mark Waschke auf Großstadt-Realität, die beim Erstauftritt im März über das übliche Sonntagstreffen mit den vertrauten Tatort-Gesichtern hinausging und in ihrer Härte verstörte. Einen so tiefen Einblick in die Erbärmlichkeit der Koksschleuserei, wollte man das wirklich wissen?

Anspruch, seiner Region ein Gesicht zu geben

Egal. Der Tatort erhebt immer auch den Anspruch, seiner jeweiligen Region ein Gesicht zu geben. Hier wurde Berlin gezeigt. Eine Metropole, unbarmherzig, erniedrigend, mit winzigen Eclairs von Zärtlichkeit. Anders als bei den Vorgängern Dominic Raacke/Boris Aljinovic spielt im Becker/Waschke-Tatort die Stadt selbst die Hauptrolle.

Diesem Trend, das Verbrechen wieder als das zu zeigen, was es ist, nämlich eine grundstürzend erschütternde Erfahrung für die Opfer und alle, die mit den Opfern zu tun haben, folgte auch der erste Nürnberg-Tatort mit Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs. Beides brillante Schauspieler.

Nach britischem und skandinavischem Vorbild

Die Dimension der Tragik, sonst keine Stärke des Tatorts, blitzte in Nürnberg auf und wurde in Berlin zum Leitmotiv. An beiden Schauplätzen vollzieht sich die Wandlung vom Ohrensessel-Tatort zum Kriminalfilm nach britischem und skandinavischem Vorbild. Die Frankfurter (noch mit Joachim Król) und die Dortmunder (mit dem überragenden Frontman Jörg Hartmann) kommen dem sehr nahe, auch wenn Dortmund doch eher auf die inneren Konflikte seines vierköpfigen Teams setzt.

Sonst? München, Köln, Kiel sind festgefahren in immergleichen Konstellationen und wären längst abgelöst, sprächen nicht gelegentlich gute Quoten dagegen.

Schmu und Blabla-Dialoge

Der Tatort ist ein Phänomen, bald Krimi, bald Lachnummer. Der Mut zu zeitgemäßen Erzählformen ohne Schmu und Blabla-Dialoge nimmt zu. Es muss nicht alle Tage bei "albern mit Todesfolge" bleiben, so wie am Schauplatz Münster.

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