10.10.2022 Schauspielerin

Ulrike C. Tscharre: "Solche Rollen geben mir die Möglichkeit, mich auszutoben"

Von Felix Förster
Ulrike C. Tscharre liebt Rollen, die ihr einiges abverlangen.
Ulrike C. Tscharre liebt Rollen, die ihr einiges abverlangen. Fotoquelle: Rafaela Pröll

In einem beschaulichen Dorf im Schwarzwald kommt es zu mysteriösen Todesfällen. Die alleinstehende Dorfpolizistin Tanja ahnt in "Höllgrund" als Einzige, dass sich hinter den Vorfällen ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit verbirgt. Welche Rolle spielt Moni Freischütz, gespielt von Ulrike C. Tscharre. prisma hat mit der renommierten Schauspielerin über die Serie, ihre Rolle und ihre Karriere gesprochen. "Höllgrund" ist in der ARD-Mediathek abrufbar.

"Höllgrund" ist sehr ungewöhnlich mit viel schwarzem Humor und sehr schrägen Momenten. Wo würden Sie die Serie verorten?
Ulrike C. Tscharre: Ich würde "Höllgrund" eventuell in der Nähe der Filme der Coen-Brüder, ganz speziell "Fargo" ansiedeln, wenn man nach einer Einordnung sucht. Auch eine Serie wie "Ozark" hat eine gewisse Verwandtschaft. Der Schwarzwald und seine novemberdüstere Natur spielen eine ganz entscheidende Rolle in unserer Serie, sie werden zu weiteren Hauptdarstellern.

Erzählen Sie bitte unseren Lesern, wen Sie in der Serie spielen und wie Ihre Rolle angelegt ist?
Ulrike C. Tscharre: Moni Freischütz, die Figur die ich spiele, ist eine Frau, der ihre Familie und ihr Zuhause unglaublich wichtig sind. Sie achtet sehr auf ihr Äußeres und ihre Außenwirkung und tut auch etwas dafür. Sie weiß, was sich gehört. Sie hat Klasse und bewahrt immer Haltung. Die Liebe zu ihrer Familie und ihrer Heimat ist grenzenlos. Ihr Mann Werner ist der Oberpolizist im Dorf. Für ihren Sohn ist sie immer auf Brautschau. Zudem singt sie, seitdem sie denken kann, im örtlichen Kirchenchor. Dort zu singen ist ihr mehr als nur Freude, es ist ihre große Passion.

Sie zeigen in dieser Rolle Mut zum menschlichen Abgrund, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Wie war es für Sie, eine Art moderne Lady Macbeth – inklusive blutiger Details – zu spielen?
Ulrike C. Tscharre: Großartig! Solche Rollen geben mir als Schauspielerin die Möglichkeit, mich spielerisch auszutoben. Ich finde es spannend, gerade auch solche Rollen so zu spielen, bei denen die Zuschauer mitgehen können, auch an die Grenzen und die menschlichen Abgründe. Es ist mir sehr wichtig zu schauen, wo sind die Tiefen dieser Figur, woher kommt ihr Schmerz, wo ist ihr Witz, warum macht sie etwas? Ich möchte ihr eine Stimme geben, die über das rein Geschriebene hinausgeht. Sie ist nicht nur eine Lady Macbeth, sondern auch eine Art Charles-Bronson-Figur: Als ihr altes Geheimnis ans Licht zu kommen droht, nimmt sie die Dinge selbst in die Hand. Und nichts und niemand kann sie daran hindern, die Dinge richtig in Fahrt zu bringen. Ich zeige ein tiefes Verständnis für die Beweggründe einer Frau, die in ihrer Existenz bedroht, zielgerichtet drastische Konsequenzen zieht.

Der Detailreichtum und die bis ins Kleinste durchkomponierte Handlung erinnern – wie Sie schon gesagt haben – an US-amerikanische Serien wie Fargo oder andere Werke von den Coen-Brüdern. Das muss doch sehr aufwändig zu filmen sein. Wie war der Dreh für Ihre Kollegen und Sie?
Ulrike C. Tscharre: Wie schön, dass sie das als Zuschauer so empfinden! Ich war schon immer ein Fan von den Filmen und den skurrilen und doch zutiefst menschlichen Figuren der Coen-Brüder. Die Drehbücher haben mich sofort an diese Welt des Erzählens erinnert. Das Düstere und die Natur in unserer Serie sind weitere Bereicherungen in den Büchern und der Umsetzung gewesen. Aber rein von den Umständen her war der Dreh schon ein Coen-Film an sich (lacht). Der Dreh war für uns alle sehr fordernd. Alleine die vielen Tage im Schlachthof. Da haben wir uns alle zusammengenommen und funktioniert. Dann überraschte uns ein plötzlicher Wintereinbruch und alles war weiß, was anschlusstechnisch eine Katastrophe war. Aber auch damit konnten wir umgehen und haben vieles spontan und erfindungsreich gelöst.

Hat es so eine Serie nicht verdient, in der Primetime der ARD zu laufen, statt in der Mediathek und in den dritten Programmen?
Ulrike C. Tscharre: Ich finde es super und wichtig, dass die öffentlich-rechtlichen Sender damit begonnen haben, ihre Mediatheken auszubauen. Gerade und auch mit Serien wie „Höllgrund". Ich bin ein riesengroßer Freund der Mediatheken und finde, dass sie manchmal noch absolut unterschätzt werden. Wenn ich mir abends etwas anschauen möchte, fällt meine Wahl nicht automatisch auf Netflix oder Amazon. Ich schaue genauso oft in die Mediatheken von ARD, ZDF oder ARTE und werde dort nie enttäuscht. Das Angebot ist unglaublich vielseitig und qualitativ hoch. Nur müssen das die Zuschauer auch ausprobieren. Diese Mediatheken jetzt mit Schmuckstücken wie zum Beispiel „Höllgrund" interessanter zu machen ist, glaube ich, ein kluger Schritt.

Die Serie setzt – wie viele Streaming-Angebote mittlerweile – auf eine überschaubare Anzahl von kurzen Episoden, in Ihrem Fall rund eine halbe Stunde. Welche Anforderungen stellt dieses Format an Sie als Schauspielerin?
Ulrike C. Tscharre: Wie lang die einzelnen Episoden werden und wie viele es dann letztendlich davon gibt, ist für mich als Schauspielerin in meiner Arbeit eigentlich zweitrangig. Für mich ist entscheidend, dass serielles Erzählen ausführlicher sein kann, als das Erzählen eines 90-minütigen Films beispielsweise. Man hat bei einer Serie mehr Zeit, die Figuren zu erzählen, in die Tiefe der Handlung zu gehen. Das bietet unglaublich viele Möglichkeiten. Gleichzeitig müssen alle vor und hinter der Kamera alle Stränge bei diesem Handlungsreichtum viel mehr im Kopf behalten beim Drehen. Es ist schwieriger, bei Serien nicht den Überblick zu verlieren, da man ja in der Regel meist weitestgehend anachronisch dreht. Das ist bei einem 90-minütigen Film etwas einfacher.

Mit dieser Serie setzt die ARD bewusst einen Gegenpol zu den Streaming-Diensten wie Netflix, Apple+ und Prime Video. Schauen Sie selbst Serien und wenn ja, welche?
Ulrike C. Tscharre: Lange Zeit habe ich keine Serien geschaut, ich bin erst relativ spät auf diesen Zug aufgesprungen und mag es mittlerweile sehr gerne. Im Moment schaue ich in der ARTE-Mediathek eine schwedische Serie mit dem Titel „30 Grad im Februar". Sie erzählt vier verschiedene Geschichten von Schweden, die sich aus verschiedensten Gründen in Thailand aufhalten. Ich finde es grundsätzlich aber immer schwer, Empfehlungen für Serien oder auch Filme auszusprechen. Ein bisschen muss man das selbst für sich entdecken. Serien sind ja relativ lange Gast in den Wohnzimmern. Da sollte jeder für sich selbst aussuchen, wen er oder sie haben möchte (lacht). Ich persönlich freue mich auch auf die „Ringe der Macht“, da ich ein großer „Herr der Ringe“-Fan bin. Wir sind jedes Jahr um Weihnachten herum mit Freunden und Familie in Österreich ins Kino gegangen und haben uns den jeweils neuen Film angesehen, das war ein tolles Ritual.

Ihr Oeuvre ist bemerkenswert: Sie haben in Soaps gespielt, klassischen TV-Krimis, aber auch mit Regie-Größen wie Florian Henckel von Donnersmarck und Dominik Graf gearbeitet. Was ist für Sie herausfordernder und interessanter, sich auf den "Mainstream" zu konzentrieren oder Nischen-Projekte wie "Höllgrund"?
Ulrike C. Tscharre: Für mich gibt es diese Unterscheidung eigentlich gar nicht. Ich entscheide immer je nach Rolle, Drehbuch und Regie. Ich muss Lust auf ein Projekt haben und meine Figur muss mich interessieren. Bei „Höllgrund" beispielsweise fand ich die Bücher von Beginn an sehr speziell und dachte gleich, das kann etwas werden.

Sie sind auch häufig als Sprecherin in Hörbüchern und Hörspielen zu hören. Wonach suchen Sie sich da die Projekte aus?
Ulrike C. Tscharre: Hörspiele mache ich unglaublich gerne, die versuche ich immer zeitlich unterzubringen, wenn es nur irgendwie geht. Umfangreiche Hörbuch-Produktionen schaffe ich maximal zwei im Jahr, mehr ist neben meiner Arbeit als Schauspielerin terminlich schwer machbar. Bei beiden gilt das gleiche: Es muss mich interessieren. T.C. Boyle und Juli Zeh beispielsweise lese ich auch privat sehr gerne. Es ist immer sehr schön, wenn sich da Interessen aus dem Privaten auch mit denen der Arbeit treffen.

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