Deutsche Netflix-Serie

So gut ist die zweite Staffel "Dark"

von Maximilian Haase

Die deutsche Netflix-Serie "Dark" unterhält auch in Staffel zwei auf düstere und komplexe Weise. Doch was ist neu, und wie packend ist das Ganze noch?

Als "Dark" vor zwei Jahren auch den Deutschen ihre erste "eigene" Netflix-Serie bescherte, war der Trubel groß. Irgendwas mit Zeitreise-Science-Fiction und Mystery-Elementen? Darauf steht man hierzulande, wo das Genrekino ein kümmerliches Dasein fristet, bekanntermaßen nicht so. Klugerweise holten die Showrunner Jantje Friese und Baran bo Odar ihre Zuschauer aber dort ab, wo sie stehen: In der deutschen Provinz, inmitten von finster raunenden Wäldern, in denen plötzlich Kinder verschwinden. Die Krimihandlung zwischen vier von Geheimnissen umwobenen Kleinfamilien im fiktiven Ort Winden bot einen hervorragenden Aufhänger für Freunde dunklerer "Tatorte". Doch nicht nur das: Auch führte man die Zeitreise-Handlung sachte ein und ritt dabei clever auf der damals durch "Stranger Things" aufbrandenden Retro-Welle – von Anti-AKW-Bewegung bis "Raider statt Twix" bot die erste Staffel feinste 80er-Ästhetik. Am 21. Juni erscheint nun in acht neuen Episoden die zweite Staffel des düsteren Mystery-Thrillers.

Diese macht, wie schon das Ende der ersten Staffel, klar: Ein deutsches "Stranger Things" will "Dark" so gar nicht sein. Gänzlich ironiefrei, intellektuell anspruchsvoll, hochkomplex und selbstverständlich unendlich düster spielt die Serie mit der "German Angst" eines Fassbinder oder Murnau. Gut möglich, dass es diese zugleich so undeutsche "Germanness" war und ist, die "Dark" in den Vereinigten Staaten und anderswo zum Publikums-Geheimtipp machte, während hierzulande vor allem (und immerhin) die Feuilletons anerkennend nickten. Unübersehbar auch die Ironie dahinter, dass genau jene in der Serie penibel herausgearbeitete Angst in Realität dazu beitrug, dass man hierzulande schon zahmen "Tatort"-Experimenten einen Riegel vorschob.

Weitere Zeitebenen kommen dazu

Mit fortschreitender Handlung – bei einem so komplexen Drehbuch mit Zeitsprüngen ein relativer Begriff – entfernt sich die Serie nun auch in Staffel zwei mehr und mehr von dem deutschen TV-Einerlei, geboren aus genau jener Furcht vorm Experiment, mit dem man das zarte Publikum ja herausfordern könnte. Und gefordert wird es in "Dark": Schwer sind die Verstrickungen und Beziehungen auseinanderzuhalten, nur mühevoll die kleinen und großen Geheimnisse der Bewohner zu durchblicken, geschweige denn die Komplexität der Zeitreisen-Paradoxa. Zu den bisherigen Zeitebenen, also unserer Gegenwart, Mitte der 80er-Jahre und den frühen 50ern, gesellen sich nun noch Ausflüge ins Jahr 1921 und in eine postapokalyptische Zukunft. In letzterer nämlich ist die bisherige Hauptfigur, so es denn eine gab, gelandet: Jonas, gespielt vom fantastischen 22-jährigen Nachwuchsstar Louis Hofmann, schlägt sich mit "Mad Max"-artigen Gangs in einer zerstörten Welt herum.

Während in unserer Zeit Sylvester Groth als neu eingeführter Ermittler nach den immer zahlreicher werdenen vermissten Personen sucht, während wir den Polizisten Ulrich Nielsen (Oliver Masucci) als einen jener Vermissten 1953 im Knast versauern sehen, während die Familien Doppler, Kahnwald, Tiedemann und Nielsen auf allen Zeitebenen lügen, trauern, streiten und intrigieren, naht also in der "Gegenwart" des Jahres 2020 die atomare Apokalypse – wobei die wahren Kausalitäten angesichts der "parallel" existierenden Zeitebenen hier abermals fraglich sind. Alles ist miteinander verschränkt, so die Botschaft. Getragen wird der komplizierte Reigen, in dem ausnahmslos alle Darsteller dem meisterwerkwürdigen Drehbuch zu voller Geltung verhelfen, von Altbekannten wie Jördis Triebel und Karoline Eichhorn, aber auch von Neulingen wie Groth und Winfried Glatzeder als gealterter und in die Psychiatrie eingewiesener Ulrich Nielsen.

Die existenzielle wie die psychische Bedrohung steht in der zweiten Staffel "Dark" im Mittelpunkt, ebenso wie ihre Personifizierung Noah (Mark Waschke), jene mysteriöse, scheinbar alterslose Priester-Figur, die nun zu einer Art Hauptcharakter biblischen Ausmaßes avanciert. Er, der vielleicht ein wenig zu fantasyhorroresk geraten ist, scheint die zahllosen Windener Charaktere wie Schachfiguren in einem Spiel zu bewegen und zu steuern – und erweist sich doch selbst nur als Handlanger einer ominösen Gruppe um einen gewissen Adam. Die Bezüge auf Bibel, Religion und Schöpfungsgeschichte, auf Zerstörung und Neuerschaffung, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Serie, die – wie inzwischen bekannt wurde – als Trilogie enden soll.

Familiengeheimnisse und Kleinstadt-Hölle

Eines der philosophisch-theologischen Hauptmotive buchstabiert "Dark" gekonnt aus: Können wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen – oder ist jede Handlung, jede Entscheidung, ja Geschichte als solche bereits vorbestimmt und wiederholt sich in einem ewigen Kreislauf von Vegangenheit, Gegenwart und Zukunft immer und immer wieder? "Es wird geschehen, wie es immer geschehen ist", heißt es an einer Stelle raunend über diesen "ewigen Tanz". Ja, existiert überhaupt so etwas wie ein Anfang und ein Ende? Was bedeutet es etwa, wenn der Schöpfer der Zeitmaschine H.G. Tannhaus (Christian Steyer/Arnd Klawitter), sein eigenes Buch und die Baupläne für die revolutionäre, sehr steampunkige Maschine erst von einer Zeitreisenden aus der Zukunft ausgehändigt bekommt?

Die Zeitreise, sie ist die "größte Entdeckung der Menschheit- und zugleich ihr Untergang", wie es die ebenfalls zur Hauptfigur geratene Atomkraftwerk-Leiterin Claudia ausdrückt, die sich wie selbstverständlich durch die Zeiten bewegt, und dabei auch ihre jüngeren Ichs konfrontiert. In "Dark" wimmelt es vor paradoxen Situationen dieser Art – und man muss sagen, dass derlei kaum je besser geschrieben und inszeniert wurde. Denn dass sich die zweite Staffel mehr und mehr auf biblische Gestalten, dunkle Mächte und Zeitreise-Mysterien fokussiert, soll nicht davon ablenken, wie sich vor liebevoller, detailreicher Retro-Kulisse am Ende doch alles um unausgesprochene Familiengeheimnisse und die Hölle der Kleinstadt dreht.

Der gealterte Jonas (Andreas Pietschmann), auch so ein Dauerzeitreisender, drückt es an einer Stelle ganz richtig aus: "Am Ende ist es genau das, was uns kaputt macht: die Geheimnisse". Aus deren fantastischer Inszenierung, in starken Bildern und vor mitreißendem Soundtrack, schaffen Jantje Friese und Baran Bo Odar mit "Dark" die derzeit beste deutsche Serie. Sofern man sich darauf einlässt.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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