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Deutschland 83: Diese Serie ist richtig gut

26.11.2015, 11.45 Uhr
von Detlef Hartlap
Die achtteilige RTL-Event-Serie "Deutschland 83" ist ein im Jahr 1983 angesiedeltes Agenten-Drama, welches in der heißesten Phase des Kalten Krieges spielt.
BILDERGALERIE
Die achtteilige RTL-Event-Serie "Deutschland 83" ist ein im Jahr 1983 angesiedeltes Agenten-Drama, welches in der heißesten Phase des Kalten Krieges spielt.  Fotoquelle: RTL / Robert Grischek

Deutschland, Spielfeld der Agenten. Jonas Nay verkörpert bei RTL einen Verräter wider Willen.

Deutschland/83

Ab Donnerstag, 26.11., 20.15 Uhr, RTL, mit Jonas Nay, Ulrich Noethen, Maria Schrader, Sonja Gerhardt, Lisa Tomaschewsky (u. a.).

Der Spion als Parzival, als der reine Tor, der von nichts weiß und in seiner Unwissenheit viel Schaden anrichtet. In der RTL-Serie Deutschland/83, die am 26. November startet, verkörpert Jonas Nay den Spion, der aus dem Herzen kommt.

Martin Rauch heißt er und stammt aus Kleinmachnow. Dort hat er seine diabeteskranke Mutter, seine Freundin, dort kennen ihn alle. Martin geht es gut. Er arbeitet als Grenzsoldat. Den Katechismus von der Überlegenheit des Arbeiter- und Bauernstaates spult er bei Bedarf mit einer Mischung aus Überzeugung und Clownerie ab.

Das Schicksal ereilt ihn in Gestalt von Maria Schrader und Sylvester Groth, die als Mitglieder des DDR-Auslandsgeheimdienstes einen Jungen suchen, den sie in die Höhle des Löwen schicken können. Die Höhle des Löwen heißt Bonn.

Im Zentrum des Kalten Krieges

Den frischgebackenen Spion kann die DDR als Ordonnanzoffizier bei West-General Edel (Ulrich Noethen) positionieren (man kann mit Fug bezweifeln, dass das möglich gewesen wäre; andererseits, hat es nicht auch einen Guillaume im Bundeskanzleramt gegeben?). Martin Rauch, der sein Leben angeblich in Braunschweig verbracht hat, landet im Zentrum des Kalten Krieges und damit in der vibrierenden Phase von Atomraketenhysterie und Bürgerprotesten.

Der Naivling aus Kleinmachnow erweist sich als Gegenteil von professionell und hat überhaupt Probleme, sich an den konsumistischen Westen zu gewöhnen. Seinem Erfolg tut das keinen Abbruch. Er ist der nützliche Idiot, der durch eine fremde Welt schlafwandelt, sich beim Telefonieren in die Heimat erwischen lässt und einer Kellnerin beim Bezahlen im Hotelrestaurant seine Zimmernummer nicht preisgeben mag, weil "ich doch eine Freundin habe". Fast erwartet man, dass er sagt: "in der DDR habe".

Das Drehbuch zu Deutschland/83 hat die Amerikanerin Anna Winger gemeinsam mit ihrem Mann Jörg Winger geschrieben. Anna lebt seit Jahren in Leipzig und Berlin, ihr Mann war bisher für "SOKO Leipzig" zuständig. Spionage ist dort gewöhnlich nicht das Thema, gleichwohl arbeitet die RTL-Serie geschickt mit dem Spannungspotenzial, das dem Genre innewohnt.

Das Abfotografieren von NATO-Unterlagen aus dem Koffer eines US-Generals, der jeden Moment vom Lunch mit General Edel zurückkommen kann, bereitet jenes prickelnde Unbehagen, von dem der Zuschauer nicht genug bekommen kann.

Ulrich Noethen als großer Zampano

Deutschland/83 entführt in die Welt der Militärs, in die mit dokumentarischer Ironie gezeigten Rituale des schneidigen Strammstehens, des schneidigen Grüßens, des Abtretens und Lockermachens. Ulrich Noethen ist der große Zampano auf diesem Feld, ein General, der Edel heißt und die Welt am liebsten als eine Ansammlung von edlen, hilfreichen und guten Menschen sähe. Vor seiner Frau hat er womöglich größeren Schiss als vor den Russen. Seinen ihm auch dienstlich untergebenen Sohn siezt er bei Gelegenheit. Seine Tochter hat es satt, sich von Papa General auf Gartenpartys als talentierte Sängerin vorführen zu lassen – und die neue Ordonnanz betrachtet Edel mit einer Mischung aus Befremden und Respekt. Seine Friedenssehnsucht verhindert, dass er gleich am ersten Tag Verdacht schöpft.

Eine Serie wie diese muss sich am Zeitgeist der Achtziger bedienen, doch das fällt, von den penetrant eingeblendeten "Tagesschau"-Fetzen bis hin zum noch penetranteren Zitieren der Hits der damaligen "Neuen Deutschen Welle" (99 Luftballons), ein wenig grobschlächtig aus.

Interessanter sind die Blicke über den Eisernen Vorhang, das Leben in Kleinmachnow, das sich, alles andere als üppig, an den kleinen Dingen erfreut, an Pulverkaffee und einem Nacktbad im See.

RTL ging das nicht geringe Wagnis ein, die Serie zuerst im US-Fernsehen zu platzieren, und da erwies sich der Blick nach Osten als exotisch und faszinierend.

Die FAZ ließ kürzlich Christian Vesper, den Serienprogrammchef von "Sundance TV" in New York, zu Wort kommen, der Deutschland/83 über Kabel und Satellit verbreitete und jede Menge Anerkennung einheimste.

Vesper: "Als Amerikaner, der wie ich in den Siebziger- und Achtzigerjahren aufwuchs, hatte man irgendwie den Eindruck, dass alle DDR-Bürger deprimiert und wütend seien, dass sie ihre Regierung und ihr Leben hassten. Aber hier bekommt man einen viel nuancierteren Einblick in diese Zeit, und man merkt: Das stimmt so nicht."

Deutsches "Homeland"?

Ostdeutsche Figuren existierten im amerikanischen Fernsehen (wie auch im Kino) so gut wie nicht. Der Deutsche wurde über Jahrzehnte vorzugsweise als Nazi gezeigt. Ob die RTL-Serie zu einem deutschen "Homeland" wird, jener US-Agentenstory, von der Präsident Obama keine Folge verpassen mochte, bleibt abzuwarten. Die Schauspieler sind großartig, voran Ulrich Noethen und Jonas Nay, der mit mindestens 50 Schatten jugendlicher Zerrissenheit aufwartet und einer glaubhaften Zuneigung zu seiner Heimat, welche DDR heißt.

Alexander Beyer als Dandy-Spion und Agent Provocateur und Lisa Tomaschewsky sind weitere Highlights in einem starken Schauspieler-Ensemble.

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