Wahrheit und Dichtung im Fernsehen

Letzte Rettung Dr. House

06.11.2009, 14.00 Uhr
Als Mediziner top, als Mensch ein Flop: Dr. House (Hugh Laurie) mit Lou (Christine Woods, M.) und Dr. Hadley (Olivia Wilde, l.).
Als Mediziner top, als Mensch ein Flop: Dr. House (Hugh Laurie) mit Lou (Christine Woods, M.) und Dr. Hadley (Olivia Wilde, l.).  Fotoquelle: SUPER RTL

Jeden Dienstag wird's spannend. Dann strömen Studenten in das Seminar des Marburger Medizinprofessors Jürgen Schäfer, der am Uniklinikum Marburg als Internist, Kardiologe, Endokrinologe und Intensivmediziner arbeitet. Nicht nur auf dem Bildschirm hat die US-Kultserie um den genialen Zyniker Dr. Gregory House eine riesige Fangemeinde. Auch im Seminarraum der Medizinischen Fakultät Marburg ist der Andrang groß. Dr. House revisited – oder: Hätten wir den Patienten in Marburg auch geheilt?, unter dieser Fragestellung analysiert Schäfer zusammen mit seinen Studenten ausgewählte Krankenfälle der Klinikserie zu Lehrzwecken.
TV-Serie und ärztlicher Alltag haben einiges gemeinsam: "Medizin ist oftmals so spannend wie ein Krimi", sagt Schäfer, "die Diagnosefindung gleicht einem Puzzle. Dabei kann man von Dr. House nur lernen." Bei allem Respekt vor seiner fachlichen Brillanz gehört aber auch diese Einsicht für Schäfer auf den Lehrplan: "Menschlich ist Dr. House eine Katastrophe. Im
echten Klinikleben gehört so jemand vor die Tür gesetzt."
prisma: Herr Professor Schäfer, was hat Dr. House in Ihrem Seminar zu suchen?
Professor Jürgen Schäfer: Diese beliebte TV-Serie dient uns als Türöffner bei unseren Studenten. Damit lassen sie sich für seltene Erkrankungen begeistern. Wir wissen, dass sich etwa 75 Prozent unserer Medizinstudenten diese Serie ansehen. Aber nur ein kleiner Teil der Zuschauer versteht die dort thematisierten Erkrankungen und diagnostischen Schritte. Daher haben mich, als bekennender House-Fan, meine Studenten immer wieder nach dem Wahrheitsgehalt einzelner Sendungen gefragt. Das hat mich letztendlich dazu gebracht, das Seminar anzubieten.
prisma: Welche Folgen von Dr. House sezieren Sie und Ihre Studenten im neuen Semester?
Schäfer: Sicherlich werden wir wieder den einen oder anderen Fall einer schweren Störung des roten Blutfarbstoffs (Porphyrie), einer Borreliose, eines Wurmbefalles oder auch eines Morbus Addison (Erkrankung der Nebennierenrinde) besprechen.
prisma: Welche Krankenfälle fanden Sie besonders gut recherchiert?
Schäfer: Uns interessiert im Grunde genommen nicht, wie präzise recherchiert die Fälle wirklich sind. Uns reicht es, dass ein seltener Fall auf unterhaltsame Weise präsentiert und detektivisch versucht wird, die wahren Ursachen aufzuklären. Es ist dann unser Job als Medizin-Professoren, unseren Studenten darzulegen, wie wir diesen fiktiven Fall im wahren Leben aufgeklärt und behandelt hätten.
prisma: Ist Dr. House ein kompetenter Kollege?
 
Schäfer: Die meisten Fälle sind überraschend gut recherchiert und stammen zum Teil auch aus tatsächlichen Fallberichten. Allerdings handelt es sich oft um absolute Raritäten. Um das Ganze unterhaltsam rüberzubringen, fahren die Drehbuchautoren dann mit einer Armada an Komplikationen auf, die so im normalen Klinikleben Gott sei Dank nicht vorkommen. Aber das ist halt der Unterschied zwischen Fakt und Fiktion.
prisma: Gibt es ein bislang vernachlässigtes Krankheitsbild, um das sich Dr. House einmal gründlich kümmern sollte?
Schäfer: Als Kardiologe würde ich mich natürlich freuen, wenn Dr. House auch einmal einen ganz normalen Herzinfarkt behandeln würde. Das wäre mir wichtig, um die Sensibilität in der Bevölkerung für die Haupttodesursache in unserem Lande zu steigern.
prisma: Hinkt die akademische Lehre hierzulande anderen Ländern hinterher?
Schäfer: Ich denke, wir haben in Deutschland eine hervorragende medizinische Ausbildung und seit jeher mit die besten medizinischen Lehrer. Allerdings scheint mir, dass wir in den letzten Jahren den Anschluss an die neuen Medien verbummelt haben. Hier sind uns andere Länder mit weniger föderalen Strukturen um einiges voraus. In der Tat wäre auch hier eine engere Zusammenarbeit zwischen Filmschaffenden, Journalisten und Hochschulmedizinern wünschenswert.
prisma: Tragen TV-Klinikserien zu einer fatalen Idealisierung des Arztbildes bei?
Schäfer: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Prof. Brinkmann aus der "Schwarzwaldklinik" ein anderes Arztbild vermittelt als zum Beispiel ein Arzt wie Dr. House. Mich macht persönlich sehr betroffen, dass sich viele Menschen wegen des Medienrummels um unser kleines House-Seminar an mich als den "deutschen Dr. House" gewendet haben. Es gibt sehr viele Patienten, die ihre einzige Rettung in einer Arztperson wie Dr. House sehen. Offensichtlich fehlt vielen Patienten ein kompetenter Ansprechpartner. Das ist auch eine Herausforderung an die moderne Medizin, die wir in naher Zukunft zu lösen haben.

Dr. House revisited

"Erstaunlich", wundert sich Prof. Jürgen Schäfer, als prisma um ein Interview nachfragte: "Im Vergleich zu hochkarätigen Fachtagungen gibt es zu unserem House-Seminar Medienanfragen aus der ganzen Republik." Kein Wunder, schließlich liefert Schäfer mit seinem Projekt ein Beispiel zur Verbindung akademischer Lehre und moderner Medien. Eine wissenschaftliche Erhebung an der Universität Gießen stützt Schäfers Vorgehen. House-Studenten zeigen in puncto Motivation, Interesse und Lernerfolg einen klaren Vorsprung vor ihren Kommilitonen aus herkömmlichen Seminaren.

 

 
 

 

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