ARTE-Doku über den letzten Geburtstag der DDR

"Palast der Gespenster": Honecker allein beim Staatsbankett

von Andreas Schoettl

Im Oktober 1989 feierte die DDR sich zum eigenen Geburtstag nochmal selbst. Mitfeiern wollte kaum noch jemand, auch nicht der große Bruder aus der Sowjetunion. Eine ARTE-Doku blickt zurück.

ARTE
Palast der Gespenster
Dokumentation • 01.10.2019 • 20:15 Uhr

Riesengroß war das Aufgebot, als Erich Honecker am 6. Oktober 1989 erwartungsvoll über das Rollfeld des Flughafens Berlin-Schönefeld schritt. Die Pressevertreter fragten den Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), wie er sich denn fühle? "Na, ausgezeichnet, bei so hohen Gästen", antwortete er. Dass seine DDR nur einen Tag vor dem 40. Staatsfeiertag der DDR am 7. Oktober längst schwer in der Krise steckte, wollte Honecker noch immer nicht wahrhaben. Er verkündete längst abseits jeglicher Realität: "Die Totgesagten leben lange."

Das politische Überleben des Generalsekretärs reichte nur noch bis zum 18. Oktober 1989. Es war ausgerechnet Honeckers wichtigster Gast bei den Staatsfeierlichkeiten, der sein Ende einläutete. Auf dem Rollfeld in Schönefeld setzte der gerade aus Moskau einschwebte Michail Gorbatschow noch einen letzten brüderlich Kuss. Innerlich hatte der Reformer aus der Sowjetunion den Reformgegner aus der DDR längst abgeschrieben.

ARTE blickt mit einem "Schwerpunkt" auf "30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs". Im Film "Palast der Gespenster" von Regisseur Andreas Kleinert ist ab 20.15 Uhr zunächst zu sehen, wie Honecker und sein Politbüro das eigene Versagen triumphal feiern wollen, der "große Bruder der Führung der DDR aber nicht mehr helfen wollte".

Zeitzeugen wie der Journalist Peter Pragal, damaliger Korrespondent des "Stern" in der DDR, berichten unter anderem darüber, wie Gorbatschow bereits am 6. Oktober dem Sinne nach seinen berühmten Satz "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" sagte. Grotesk indes wird die umfangreiche zeitgeschichtliche Dokumentation mit zahlreichen Originalaufnahmen, wenn die Honecker-Riege und Staatsgäste sich im auf Hochglanz polierten Palast der Republik in Berlin bei Hummer noch einmal selbst feiern. Gleichzeitig dokumentieren Aufnahmen etwa in einem verfallenden Plauen, dass im Bauern- und Arbeiterstaat nur noch sehr wenig lebenswert war.

Demo in Plauen besiegelt das Ende

In Plauen fiel auch der Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen brachte. Mittels Mundpropaganda wurde am 7. Oktober zu einer Demonstration aufgerufen. Nicht 40 Jahre DDR wurden gefeiert, sondern Transparente mit Losungen wie "Wir brauchen Reformen", "Für Reformen und Reisefreiheit gegen Massenflucht – vor allem Frieden" oder "Reisefreiheit – Meinungsfreiheit – Pressefreiheit" mitgeführt. Der Klempnermeister Siegmar Wolf beispielsweise erinnert sich: "Aus der Angst ist dann wirklich Mut entstanden."

Mit der vorzeitigen Abreise Gorbatschows, dem längst zu Ohren gekommen war, dass auch in Berlin vor dem Palast der Republik protestiert wurde, war dann auch das Schicksal Honeckers besiegelt. Der Musiker Andrej Hermlin, der zum gescheiterten Fest beschwingt Swing-Nummern spielen sollte, erinnert sich an jenen 7. Oktober: "Dieser ganz große Tisch war vollkommen leer. Bis auf einen Stuhl. Und auf diesem Stuhl saß Erich Honecker – völlig allein." Dabei sinnierte er wohl über sein Ende. Und er wusste: Totgesagte leben eben doch nicht lange.

Dass Gorbatschow mit seiner vorzeitigen Abreise vom Fest-Bankett auch das Ende der DDR besiegelte, war Kalkül. Nur noch kurz zuckte der Staatsapparat. Dass er durch sein Wirken den Weg auch zur Deutschen Einheit ebnete, machten ihn hierzulande zu einem Jahrhundertpolitiker – und zu einer Art Popstar, den alle plötzlich nur noch "Gorbi" nannten. Anders hingegen sein Ansehen in der ebenfalls untergegangenen Sowjetunion. In ihrem ausführlichen Porträt "Gorbatschow" gehen die renommierten Regisseure Werner Herzog und André Singer ab 21.45 Uhr unter anderem der Frage auf den Grund, wie der Politiker seinen totalen Machtverlust in seiner Heimat heute sieht. Dafür hat sich der zurückgezogen bei Moskau lebende 88-Jährige nach langem Abwägen dazu bereiterklärt, über seine Gedanken und seine Gefühle in dieser Zeit des Wandels zu sprechen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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