Neue Serie "WaPo Berlin"

Sesede Terziyan: "Unser zweiter Kameramann ist ins Wasser gefallen"

von Maximilian Haase

Schauspielerin Sesede Terziyan spricht im Interview über Klischeerollen, ihre neue ARD-Serie "WaPo Berlin" und das Leben mit Kind.

Ein herzlicheres Lachen als jenes von Sesede Terziyan erlebt man gewiss nur selten. Nicht nur auf der Bühne und im Fernsehen strahlt die 1981 geborene Schauspielerin eine im besten Sinne einnehmende Präsenz aus – auch im realen Gespräch strotzt die TV- und Theaterdarstellerin vor Energie und Empathie. Vielleicht nicht von ungefähr: "Die Stimme erheben" bedeutet der Name, den ihr die armenischen Eltern gaben, die kurz vor der Geburt ihrer Tochter als Christen aus der Türkei nach Deutschland fliehen mussten. Was es bedeutet, mit Migrationshintergrund in diesem Land zu leben, weiß die in Niedersachsen und Baden-Württemberg aufgewachsene Wahlberlinerin nur allzu genau. Als Fernsehschauspielerin verkörperte Terziyan, die am Berliner Gorki-Theater seit zehn Jahren beim progressiven "postmigrantischen Theater" mitwirkt, in der Vergangenheit oft klischeebesetzte migrantische Charaktere, die hierzulande lange nur als Opfer oder Täter daherkommen durften. Dass sich das langsam ändert, hofft die Mutter eines Sohnes sehr. Und erlebt es auch: In der neuen ARD-Vorabendkrimiserie "WaPo Berlin" (ab Dienstag, 28. Januar, 18.50 Uhr) übernimmt Sesede Terziyan die Rolle der Wasserpolizei-Chefin, deren iranische Wurzeln endlich einmal als Selbstverständlichkeit thematisiert werden.

prisma: Wie war es für Sie, als Hauptdarstellerin in eine längerfristig angelegte Serie zu starten?

Sesede Terziyan: Von Beginn an gab es eine große Offenheit. Wir haben uns gleich am Anfang ausgetauscht, welche Ideen man hat, was man erzählen will. Das ist das Tolle daran, gemeinsam ein neues Format zu starten und gemeinsam eine Figur zu entwickeln. Meinen Charakter nehme ich nun an die Hand, und wir wachsen miteinander.

prisma: Wie unterscheidet sich diese Arbeit im Vergleich zu anderen TV-Produktionen?

Terziyan: Weil man über einen längeren Zeitraum mit einem Team zusammenarbeitet, kommt es dem Ensemblegeist am Theater gleich sehr nahe. Man kann auf einer ganz anderen Vertrauensbasis arbeiten und ganz andere Dinge kreieren. Das genieße ich sehr.

prisma: Eine Arbeitsweise, die Sie nach Ihrer Elternzeit vermehrt anstreben?

Terziyan: In den letzten Jahren habe ich viel Theater gespielt, aber auch immer wieder gedreht. Dann bin ich Mama geworden – und habe das frische Mama-Dasein, diese Auszeit, in Anführungsstrichen, auch sehr genossen.

prisma: Half es für den Wiedereinstieg, dass Sie in Berlin drehten?

Terziyan: Das ist grandios! Ich drehe in Berlin, auf dem Wasser, im Sommer, bin abends zu Hause, kann dort schlafen. Ich habe vorher einige Angebote erhalten, bei denen ich in einer anderen Stadt hätte drehen müssen und Respekt davor hatte, das alles zu managen. Jetzt aber kann mich meine Familie am Set besuchen – dort herrscht ein sehr großes Verständnis für Familien, weil viele Mütter und Väter im Team sind. Ich empfinde das als unglaublich großes Geschenk, weil ich weiß, wie es auch anders sein kann. Mein Glück ist auch, dass ich eine tolle Familie, einen tollen Partner habe, die mich unterstützen.

prisma: Kommt Ihr Sohn Sie schon besuchen bei der Arbeit?

Terziyan: Mein Kind ist für das Set zu klein. Aber es ist schön, dass er eine Vorstellung davon hat, wo ich bin. Er weiß, dass Mama dann verkleidet und geschminkt wird, wenn sie in die Arbeit geht (lacht). Einmal war er dabei, als ich im Theater bei der Probe abgeholt wurde. Als ich im Kostüm von der Bühne kam, hat er sehr geheult und geschrien. Alles zu seiner Zeit. Momentan versteht er es auf dieser Ebene: "Wenn Mama nicht zu Hause ist, dann spielt sie Kasperletheater als Polizistin auf dem Boot" (lacht).

prisma: Wussten Sie vor der Zusage denn über die Wasserschutzpolizei mehr als nur "Polizisten auf dem Boot"?

Terziyan: Naja, die Wasserschutzpolizei sagte mir etwas – ich habe in Berlin lange unweit des Landwehrkanals gelebt. Aber natürlich musste ich mich dann genauer mit den Zuständigkeitsbereichen der Wasserschutzpolizei vertraut machen.

prisma: Drehten Sie wirklich viel auf dem Wasser?

Terziyan: Wir haben tatsächlich viel auf dem Boot gedreht – gerade in den ersten vier Folgen. Es geht schließlich darum, die Stadt vom Wasser aus zu erzählen. Das gab es als Format so bislang nicht. Die Logistik, auf dem Wasser zu drehen, ist eine völlig andere. Man dreht immer mit Beiboot, alles ist viel langsamer. Man muss sehr auf den Punkt spielen, weil ohnehin nicht viel Zeit ist. Und: Ich wurde zum Glück nicht seekrank! (lacht)

prisma: Gab es denn gefährliche Situationen?

Terziyan: Oh ja! Unser zweiter Kameramann ist ins Wasser gefallen, weil es so rutschig war. Gottseidank hatte er zwei Sekunden zuvor seine Kamera abgegeben. Und ihm ist auch nichts passiert.

prisma: Halfen echte Bootsführer?

Terziyan: Ja, es waren echte Experten dabei – es ist für den Tagesablauf aufgrund der Komplexität sehr wichtig, Bescheid zu wissen, wie was funktioniert. Und natürlich hatten wir immer zusätzliche Schiffsführer am Set dabei . Auch durften alle einen Bootsführerschein machen – nur ich habe das bislang nicht geschafft. Und das in der Hauptrolle der Chefin! (lacht)

prisma: Sie spielen die Chefin im Team der Wasserschutzpolizei. Liegt Ihnen diese Rolle?

Terziyan: Als ich das las, dachte ich: Ja, das traue ich mir zu. Um meine Produzentin zu zitieren, die sich erst Sorgen machte, dass ich vielleicht zu jung sein könnte. Aber anscheinend strahle ich eine natürliche Autorität aus (lacht).

prisma: Ihre Figur besitzt wie Sie Migrationshintergrund, lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Inwiefern mussten Sie denn darauf achten, dass dies nicht abermals zum Klischee im deutschen Fernsehen gerät?

Terziyan: Das war ein ganz großes Thema. Ich werde nie eine Heidi Becker spielen können, weil ich nicht wie eine Heidi Becker aussehe. Aber meine Figur hat einen ganz anderen Hintergrund als ich, kommt aus dem Iran, ist als Kind geflüchtet. Spannend an dem Format finde ich auch, dass man die Vielfalt und Heterogenität unserer Gesellschaft mit einer Selbstverständlichkeit aufzeigt. Ohne bestimmte Dinge zu wahnsinnig dramatisch zu thematisieren, ohne inhaltlich darauf zu setzen. Das haben wir nicht mehr nötig. Und dafür ist es höchste Zeit: Dass Frauen in Leitungspositionen sind, dass sie Migrationshintergrund haben. Das entspricht unserer Zeit, das entspricht dieser Stadt.

prisma: Fehlt das im deutschen Fernsehen?

Terziyan: Oft werden Migrationsthemen sehr moralisierend gezeigt, schwarzweiß erzählt. Entweder muss man der Täter oder das Opfer sein. Das wird dann noch mit bestimmten Begriffen versehen, damit man auch eine schöne Schlagzeile hat. Dadurch werden Themen ausgegrenzt und abgegrenzt. Das muss endlich aufhören.

prisma: Am Gorki-Theater in Berlin machen Sie seit zehn Jahren "postmigrantisches Theater". Kann es so etwas auch im TV geben?

Terziyan: Ich hoffe es. Das Fernsehen hat auch eine Mission – weil so viele Menschen zuschauen. Man kann eine ganz andere Masse erreichen, zudem bleiben Bilder sehr schnell in den Köpfen haften. Es geht um die gegenseitige Wahrnehmung in einer Gesellschaft, um den Blick, den man aufeinander hat. Weil man hier sehr viel manipulieren und schulen kann, haben wir eine große Aufgabe.

prisma: Wie nehmen Sie als Künstlerin, die jahrelang gegen Rassismus gearbeitet hat, die derzeitige Spaltung und die aufkeimenden rechten Tendenzen der Gesellschaft wahr?

Terziyan: Es ist furchtbar. Als wir damals anfingen, drehten sich die großen Debatten um Sarrazin und die Integrationspolitik. Das fand ich schon schlimm genug. Hätte mir damals jemand gesagt, dass wir zehn Jahre später eine menschenverachtende Partei im Bundestag haben würden, hätte ich mit dem Kopf geschüttelt. Das hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich finde es beängstigend und erschreckend – und ich bedaure diesen Zustand zutiefst.

prisma: Wie kann man damit in den nächsten Jahre umgehen – auch in den kreativen Bereichen?

Terziyan: Die Zukunft wird ganz andere Aufgaben an uns stellen. Wenn wir kein Bewusstsein dafür entwickeln, werden wir gnadenlos daran scheitern. Vieles erwächst aus Angst. Das sehe ich auch als Aufgabe als deutsche Staatsbürgerin, als Mutter und als Schauspielerin. Deshalb finde ich auch ein Format wie "WaPo" im Vorabend durchaus wichtig. Damit können wir viele Menschen erreichen – und mit einer herzlichen Umarmung abholen. Vielleicht kann man ihnen die Angst nehmen und zeigen, in was für einem schönen Land wir leben. Dass die Vielfalt der Gesellschaft ein großes Geschenk ist, das Kraft geben kann.

prisma: Brauchen Sie, braucht das Fernsehen dafür eine politische Agenda?

Terziyan: Ich trage diese Agenda im Herzen, weil ich mit einer bestimmten Sensibilität groß geworden bin. Die politische Aufgabe ist irgendwie immer da. Diese Narrative bearbeite ich am Theater seit Jahren. Die andere Perspektive auf unsere deutsch-deutsche Geschichte zu erzählen. Ohne Migration gibt es keine Gesellschaft. Für mich ist das selbstverständlich, aber für viele andere eben nicht, und was die Medien anbetrifft – natürlich haben sie einen großen Einfluss, wie schon erwähnt.

prisma: Warum wird das Selbstverständliche immer noch als radikal gebrandmarkt?

Terziyan: Weil der Mensch Angst vor Veränderung hat und seine gewohnten Posten nicht abgeben will – wenn die Perspektive ausgetauscht wird. Wir müssen einander ehrlich zuhören, damit sich Dinge verändern können. So wie wir jetzt die jungen Leute auf die Straßen gehen sehen, die eine gesicherte Zukunft auf unserem Planeten fordern. Dass die Teenager uns die Köpfe heiß machen, finde ich großartig.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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