Regisseur von „Gladiator“ und „Alien“

Joaquin Phoenix als französischer Feldherr und Kaiser – Filmkritik zum Historienspektakel „Napoleon“

01.12.2023, 08.11 Uhr
von Gregor-José Moser
Wie gut ist der neue Historienfilm von Ridley Scott?
Wie gut ist der neue Historienfilm von Ridley Scott?  Fotoquelle: picture alliance / abaca | TNS/ABACA

Auch mit Mitte 80 kann Ridley Scott es einfach nicht lassen. Der legendäre Filmemacher hat für „Napoleon“ erneut auf dem Regiestuhl Platz genommen. Inszenierung, Sets und Schauspiel überzeugen. Einen Wermutstropfen gibt es jedoch auch.

Bei Hollywood-Größen wie Joaquin Phoenix und Ridley Scott werden Filmfans automatisch hellhörig. Ridley Scott (geboren 1937) hat uns in seiner langen Karriere Meisterwerke wie „Alien“ (1979), „Thelma & Louise“ (1991) oder „Gladiator“ (2000) geschenkt. Schauspieler Joaquin Phoenix begeisterte unter anderem als römischer Kaiser Commodus in Scotts „Gladiator“ oder auch als ikonischer DC-Bösewicht in „Joker“ (2019). In ihrem neusten gemeinsamen Film „Napoleon“ beginnen wir unsere Reise im Frankreich des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die Französische Revolution und ihre Folgen halten ganz Europa in Atem. Währenddessen fährt ein Offizier in zahlreichen Schlachten Sieg um Sieg ein und macht sich dadurch einen Namen: Napoleon Bonaparte (Joaquin Phoenix). In der Filmbiografie zeichnet Ridley Scott den Aufstieg und Fall Napoleons nach. Dabei kreiert der Regisseur einen in vielerlei Hinsicht atemberaubenden Film, scheint aber auch an seine Grenzen zu stoßen.

„Napoleon“ – viel Handlung in ein enges zeitliches Korsett gepresst

Die Handlung von „Napoleon“ umfasst einen Zeitraum von knapp drei Jahrzehnten, die noch dazu sehr ereignisreich waren. Die Französische Revolution (1789), die anschließende „Schreckensherrschaft“, diverse Schlachten gegen andere europäische Mächte, Napoleons Kaiserkrönung (1804), sein gescheiterter Russlandfeldzug (1812), seine erste Verbannung, seine Rückkehr, die berühmte Schlacht bei Waterloo (1815) und letztlich die zweite und finale Verbannung. Wer sich noch grob an den Geschichtsunterricht erinnert, der weiß: Napoleon führte ein bewegtes Leben. All das und obendrauf noch Napoleons Beziehung zu seiner langjährigen Ehefrau Joséphine (Vanessa Kirby) – Ridley Scott hat sich für sein Biopic viel vorgenommen. Leider zu viel, denn bei einer vergleichsweise kurzen Laufzeit von zwei Stunden und 38 Minuten bleibt für die einzelnen Phasen wenig Zeit. Erwartungsgemäß springt „Napoleon“ von einem Ereignis in einer Szene zur nächsten Szene, die von einem völlig anderen Ereignis erzählt. In Konsequenz reihen sich bedeutende Ereignisse und Entwicklungen aneinander, die teils in nur wenigen Minuten abgehandelt werden.

Ein Werk von epischem Ausmaß

Da noch hinterherzukommen, ist für eher weniger Geschichtsinteressierte möglicherweise eine Herausforderung. Die Einblendungen von Schauplatz, Jahr und anderen Rahmeninfos sind da zumindest eine Orientierungshilfe. Wer gerade etwas enttäuscht ist, für den gibt es einen Stimmungsaufheller. Trotz der genannten Macken weiß „Napoleon“ vor allem in visueller Hinsicht regelrecht zu begeistern. Im Gegensatz zu vielen Studios lässt Ridley Scott nicht den halben Film vor Green Screen drehen, sondern setzt auf echte und noch dazu gigantische Sets. Szenen, die beispielsweise in einem Schloss spielen, werden dann eben auch in einem Schloss gedreht. Besonders eindrucksvoll ist Ridley Scotts Art zu arbeiten bei den zahlreichen Schlachtenszenen. Hier bekommt das Publikum bildgewaltige Panoramen und tausende von Statisten zu sehen. Zumal letztere ja nicht nur einfach rumstehen, sondern Teil einer gewaltigen Choreografie sind, damit die Schlachten genau so ablaufen, wie Ridley Scott es beabsichtigt. Es ist eine Größenordnung von so epischem Ausmaß, wie sie nur wenige Regisseure auf die Leinwand bringen.

Napoleon auch abseits des großen Feldherren

Abgerundet wird dieses Fest für die Augen durch die authentischen Kostüme, Frisuren und Make-Ups. Auch die Ausstattung in den einzelnen Sets zeugt von einer großen Liebe zum Detail. Löblich ist zudem die Darstellung von Napoleon durch Drehbuch und Schauspieler Joaquin Phoenix. Wie bereits erwähnt könnte man hier und da noch weiter in die Tiefe gehen, dennoch spielt Joaquin Phoenix wieder einmal groß auf. Im Moment gibt es nicht viele Schauspieler in Hollywood, die es mit ihm aufnehmen können. Glücklicherweise verzichtet das Drehbuch zudem darauf, Napoleon zu verklären. So ist ihm etwa gleich bei der ersten Schlacht die Furcht anzusehen, er unterschätzt die Stärke der Briten an Land und behandelt Joséphine häufig schlecht. Am Ende weisen zudem Texteinblendungen auf die hunderttausenden Menschen hin, die Napoleon als Feldherr und Kaiser in den Tod geschickt hat.

Die Vorfreude auf den „Napoleon“ Director’s Cut

Die Kinoversion von „Napoleon“ ist also kein Schuss in den Ofen, ruft aber auch nicht sein volles Potential ab. Hoffnung macht, dass Ridley Scott nach der Kinoauswertung einen rund vierstündigen Director’s Cut beim Streamingdienst Apple TV+ veröffentlichen wird. Bei einer um etwa eineinhalb Stunden längeren Laufzeit, ist es gut vorstellbar, dass einige Handlungsstränge noch weiter vertieft werden. Auch die Figuren könnten davon profitieren, wenn in zusätzlichen Szenen Napoleons und Joséphines Motive, Eigenschaften und die Beziehung zueinander mehr Raum bekommen. Schlussendlich dürfte „Napoleon“ durch eine längere Version vor allem auch ein weniger gehetztes Bild abgeben. Das würde nicht nur helfen, um der Handlung folgen zu können, sondern auch, um emotional dabei zu bleiben.

Ridley Scotts Historienepos „Napoleon“ läuft seit dem 23. November 2023 in den deutschen Kinos.

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