Aus dem Leben eines Auftragsmörders

Ist das der neue John Wick? – Kritik zu David Finchers „The Killer“

10.11.2023, 07.53 Uhr
von Gregor-José Moser
Lohnt sich der neue Film mit Michael Fassbender?
Lohnt sich der neue Film mit Michael Fassbender?  Fotoquelle: Courtesy of Netflix

Nach seinem Kinostart am 26. Oktober erscheint der neueste Film von „Sieben“- und „Fight Club“-Schöpfer David Fincher am 10. November auf Netflix. Warum ihr euch „The Killer“ nicht entgehen lassen solltet, erfahrt ihr in dieser Filmkritik.

Der Oktober war in diesem Jahr nicht nur Halloween-Monat, sondern auch der Monat der großen Regisseure. Auf Martin Scorseses dreieinhalb-Stunden-Epos „Killers of the Flower Moon“ folgte zum Monatsende „The Killer“ von David Fincher. Zwei große Namen, zwei Mal „Killer(s)“ im Titel und zwei absolut sehenswerte Filme. Protagonist von „The Killer“ ist ein namenloser Auftragsmörder, in dessen Haut der deutsch-irische Schauspielstar Michael Fassbender schlüpft. Ab der ersten Minute wird deutlich, wie professionell der Killer an seine Aufträge herangeht. Sowohl die Vorbereitung als auch die Ausführung erfolgen nach einem strikten Plan, nichts wird dem Zufall überlassen.

Wenn ein Auftrag plötzlich schiefgeht

„The Killer“ vermittelt einen enorm detaillierten Eindruck davon, was es mutmaßlich bedeutet ein Auftragsmörder zu sein. Durch diese Detailversessenheit wirkt „The Killer“ so authentisch wie man es bei dieser Thematik wahrscheinlich noch nie gesehen hat. Der Killer verbringt zahllose Stunden damit, seine Opfer zu observieren und die Gegend auszukundschaften. Wann, wo und auf welche Weise er zuschlägt, entscheidet er abhängig von den Wünschen seines Auftraggebers und vor allem mit aller Sorgfalt. Letzteres gilt ebenso für seine Flucht im Anschluss an die Tat sowie für das Verwischen seiner Spuren. Dennoch: ein einziger Fehler und all die Sorgfalt war wertlos. Trotz seiner Erfahrung vermasselt der Killer plötzlich einen Auftrag. Die Konsequenzen daraus, so muss er feststellen, sind bei aller Professionalität auf einmal persönlicher Natur.

„Empathie ist Schwäche“ – der Killer und seine Mantras

Erzählt wird die Geschichte in sechs Kapiteln, die jeweils an einem neuen Schauplatz spielen. Im Anschluss folgt noch ein kurzer Epilog. Während Dialoge in einzelnen Kapiteln Mangelware sind, begleitet uns das Innenleben des Killers über den gesamten Film hinweg in Form eines Voice Overs von Michael Fassbender. Das erinnert stark an eine andere Netflix-Produktion, an die Serie „You – Du wirst mich lieben“. Wohl auch um sich die Wartezeiten während eines Auftrags zu vertreiben, denkt der Killer über Gott und die Welt nach, wobei er oft zynisch oder kalt erscheint. Im Gegensatz zu den inneren Monologen in „You“ beschränkt sich die Gedankenwelt des Killers auf seine Arbeit – bei der wir ihm zusehen – oder auf Allgemeines, nicht aber auf Persönliches aus dem Leben des Protagonisten. Um fokussiert und ruhig zu bleiben, wiederholt er zudem immer wieder dieselben Mantras. Etwa: „Halte dich an den Plan. Improvisiere nicht.“ Oder auch: „Empathie ist Schwäche“. Obwohl das letzte Mantra es vermuten lassen könnte, ist „The Killer“ kein gewaltvolles und blutrünstiges Action-Spektakel. Vielmehr wird Gewalt nur mit Bedacht eingesetzt und ergibt Sinn in der Handlung.

Kein John Wick, aber auch kein klassischer Fincher

Wer also wegen des Titels oder der Gewaltlastigkeit in Finchers „Fight Club“ ein Action-Fest im Stile von „John Wick“ erwartet, der wird vermutlich enttäuscht sein. Es gibt nur einen einzigen richtigen Kampf, der dafür besonders wuchtig daherkommt und fantastisch choreografiert ist. Auch Fans, die auf einen klassischen Fincher-Film hoffen, kommen wahrscheinlich nicht ganz auf ihre Kosten. In „The Killer“ erzählt Fincher sehr geradlinig und schnörkellos, die Handlung ist simpel und im Endeffekt nicht mehr und nicht weniger als ein Rachefeldzug – nur, dass dabei den minutiösen Vorbereitungen, Planungen und allem drumherum eine größere Rolle zukommt als den Tötungen selbst. Eine tiefere Ebene, eine besondere Message oder einen unerwarteten Twist sucht man vergeblich. Wer sich darüber vorher im Klaren ist, der kann hoffentlich umso mehr die ungewohnte Detailgenauigkeit genießen. Darin liegt die eigentliche Stärke des Films und allein wegen diesem Aspekt lohnt es sich, dem Film eine Chance zu geben. Darüber hinaus ist „The Killer“ an der ein oder anderen Stelle erstaunlich witzig. Für alle, die den Film schon gesehen haben - Stichwort: Käsereibe.

Hauptdarsteller Michael Fassbender überzeugt

Jenseits der einwandfreien Inszenierung und Kameraarbeit, setzt David Fincher in seinem neusten Film alles auf eine Karte: seinen Hauptdarsteller Michael Fassbender, der eine starke Performance abliefert. Seine Figur, die des namensgebenden Killers, nimmt eine so tragende Rolle ein, dass der gesamte Film mit ihm steht und fällt. Brad Pitt, der auch mal für die Rolle im Gespräch war, wäre dem vermutlich gerecht geworden. Michael Fassbender gelingt das glücklicherweise ebenfalls. In einem Interview verriet Fassbender, dass er den Auftragskiller so spielen wolle, dass er unsympathisch und kein Held ist. Dieser Plan ist auf jeden Fall aufgegangen. Mit dem stechenden Blick, seiner rauen Stimme und den oft empathielosen und kalten Gedanken wirkt Fassbender wie jemand, der zu allem bereit ist. Nur ab und zu lässt er kurz Menschlichkeit aufblitzen und zeigt zumindest wenige Skrupel. Hinzu kommt, dass Michael Fassbender körperlich derzeit fantastisch in Form zu sein scheint, wodurch er seine Rolle noch authentischer ausfüllen kann. Der Killer ist eine unnahbare Figur, bei der man nur selten hinter die Fassade blicken kann, obwohl man es gerne würde. Er bekommt keinen nennenswerten Hintergrund und auch sein Privatleben bleibt bis auf seine Frau und sein Haus vollständig im Dunkeln. Das macht seine Figur einerseits etwas blass, andererseits auch faszinierend und bedrohlich. Zudem ist eine komplexe Charakterstudie für die Story auch nicht zwingend notwendig. Das Fazit also: Erwartungen runterschrauben und sich auf die detailreiche und geradlinige Erzählung einlassen. Denn eines ist sicher: Noch nie war es spannender, einem Mann bei seiner Arbeit über die Schulter zu schauen.

David Finchers „The Killer“ könnt ihr ab dem 10. November 2023 auf Netflix und schon jetzt in einigen Kinos sehen.

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