Der Filmautor im Interview

"ARD Story": Christian H. Schulz über das Sammeln von Beweisen gegen Putin

15.02.2023, 15.30 Uhr
von Elisa Eberle

Christian H. Schulz begleitete für die "ARD Story: Anklage gegen Putin?" Menschenrechtler auf ihrer Reise durch das ukrainische Kriegsgebiet, wo sie Beweise für ein mögliches Gerichtsverfahren gegen Putin in Den Haag sammeln. Im Interview mit prisma berichtet der Filmautor von den Vorkommnissen vor Ort und den gefährlichen Schwierigkeiten, die bei dieser Mission immer wieder auftreten. 

Rund ein Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine sucht ein Team der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nach Beweisen für die Kriegsverbrechen, die russische Soldaten im Auftrag Putins in der Ukraine verübt haben sollen. Ziel der gefährlichen Mission ist es, den Weg für ein mögliches Verfahren gegen den russischen Präsidenten und weitere Entscheidungsträger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu ebnen. Die "ARD Story: Anklage gegen Putin?" begleitet zwei der mutigen Männer und Frauen bei ihrer Reise in die ostukrainische Stadt Isjum. Der Film ist am Montag, 13. Februar, 22.50 Uhr, im Rahmen eines Themenabends im Ersten zu sehen. Filmautor Christian H. Schulz erklärt im Interview, warum eine Verurteilung Putins so schwierig ist und welche Beweise es braucht. Außerdem spricht er über die besonderen Herausforderungen der journalistischen Arbeit vor Ort.

prisma: Was hat es mit dem vorbereiteten Verfahren in Den Haag auf sich?

Christian H. Schulz: Es gibt noch kein Verfahren in Den Haag gegen Wladimir Putin. Es gibt – Stand jetzt – dort überhaupt noch kein Verfahren geschweige denn eine Anklage oder einen (öffentlichen) Haftbefehl im Zusammenhang mit möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine gegen einen russischen Staatsangehörigen.

prisma: Wie wahrscheinlich schätzen Sie eine Verurteilung von Putin ein?

Schulz: Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung Putins ist zurzeit noch völlig theoretischer Natur. Mögliche juristische Wege dahin sind sehr kompliziert und in der Fachwelt noch umstritten. Unabhängig davon, dass man für ein Gerichtsverfahren, Putin auch in Person erst einmal fassen müsste. Etwas, das wohl erst passiert, wenn er in Russland von der Macht abtritt oder dazu gezwungen wird und das Land ihn dann ausliefern würde.

Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord

prisma: Wie könnte ein Verfahren gegen Putin aussehen?

Schulz: Gegen Putin und Co kann grundsätzlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ISTGH, d. Red.) bei drei Kernverbrechen verhandelt werden: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord – wenn ihnen dazu Verantwortung auch im Rahmen einer Befehlskette nachgewiesen werden kann. Nicht anklagbar sind Putin und Co aber in Bezug auf ein viertes Kernverbrechen: das Verbrechen des Angriffskrieges oder auch Verbrechen der Aggression genannt. Dieses richtet sich speziell gegen Staatsführer, die einen Krieg beginnen, aus dem oder in dessen Verlauf dann alle anderen erwähnten Verbrechen begangen werden.

prisma: Wo liegt die Schwierigkeit bei diesem vierten Kernverbrechen?

Schulz: Ein solcher Staatsführer kann nur angeklagt werden, wenn sein Land den Vertrag zum ISTGH unterzeichnet hat. Das hat Russland nicht getan. Dann gibt es nur die Möglichkeit, dass der UN-Sicherheitsrat beschließt, dass der ISTGH sich der Sache annimmt. So einen Beschluss würde Russland durch sein Veto-Recht im Sicherheitsrat jedoch verhindern. Deshalb gibt es die immer intensiveren Diskussionen, um die Schaffung eines weiteren, eines Sondergerichts oder Sondertribunals für den Ukraine-Krieg. So ein Gericht müsste erst gegründet werden (zum Beispiel durch eine Resolution der UN-Vollversammlung) und ein neues Statut bekommen, welches es ermöglicht, etwa auch Putin trotz seiner Immunität als Staatsoberhaupt anzuklagen. Zu dieser Idee eines Sondertribunals gibt es im Wesentlichen zwei Varianten, die unterschiedlich stark zurzeit in der Politik und der internationalen Justiz-Community diskutiert werden.

Beweise müssen kritischer Beurteilung standhalten

prisma: Welche Beweise braucht es für ein mögliches Verfahren?

Schulz: Um Putin zu verurteilen, braucht es generell Beweise dafür, dass begangene Verbrechen vor Ort durch die sogenannte Befehlskette bis zu Putin hinauf nachweisbar sind. Das bezieht sich vor allem auf die drei Kernverbrechen: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Beim Verbrechen der Aggression, auch Verbrechen des Angriffskrieges genannt, müsste Putin nachgewiesen werden, dass er den Krieg federführend gewollt, geplant und durchgeführt hat. Bei allen Beweisen ist es notwendig, dass sie einer kritischen Beurteilung vor Gericht standhalten, also gerichtsfest ermittelt und gesichert sind.

prisma: Wie beschreiben Sie die Menschen, die sich in ein Kriegsgebiet begeben, um Spuren zu sammeln?

Schulz: Solche Menschen sind mutig, haben einen großen Gerechtigkeitssinn und bleiben allen Schwierigkeiten zum Trotz meist sehr hartnäckig.

prisma: Wie muss man sich die Arbeit als Journalist vor Ort vorstellen?

Schulz: Ein weites Feld. Man sollte als Journalist vor Ort resilient genug sein für alle zusätzlichen Schwierigkeiten, die die Arbeit in Kriegs- und Konfliktgebieten mit sich bringen. Man darf nicht leichtgläubig sein, sollte alle Informationen und Quellen besonders sorgfältig prüfen und skeptisch genug bleiben.

prisma: Auf welchen Hürden sind Sie während Ihrer Arbeit gestoßen?

Schulz: Ermittlungen zu Kriegsverbrechen sind immer auch mit besonders schweren Taten und dem Einfluss der großen Politik und Diplomatie verbunden. Hier sind alle Beteiligten meist besonders vorsichtig, insbesondere Ermittler auf staatlicher Seite, die sich wenig in die Karten schauen lassen wollen, weil ihre Entscheidungen und Festlegungen große, auch mediale Auswirkungen haben können. Daher war es für uns wichtig, neben den traditionell reservierten Institutionen wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht auch mit Rechercheuren von NGOs wie der renommierten Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vor Ort unterwegs zu sein. Für diese ist Öffentlichkeit und Transparenz eines der wichtigsten Anliegen. Sie müssen allerdings auch selber niemanden festnehmen oder anklagen.

"Ausmaß von Leid und Zerstörung ist vor Ort eindrücklicher"

prisma: Welche Eindrücke, die Sie vor Ort sammelten, haben Sie am meisten berührt?

Schulz: Das Ausmaß von Leid und Zerstörung ist vor Ort immer noch deutlich eindrücklicher als es etwa im Fernsehen zu vermitteln ist. Wie eines der Opfer, das im Film zu Wort kommt, obwohl es beim Bombenangriff auf das eigene Wohnhaus sieben Familienmitglieder verloren hat, dennoch auch nach vorne blicken will. Mit dem Wunsch, dass der Krieg schnellstmöglich endet und die Heimatstadt wieder aufgebaut wird.

prisma: Welche Strategien der Aufarbeitung des Erlebten haben Sie für sich entwickelt?

Schulz: Es empfiehlt sich immer für genügend körperlichen und seelischen Ausgleich zu sorgen. Genügend mit Freunden und Familie reden, um damit auch den inneren journalistischen Distanzblick aufrechterhalten zu können.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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