Deutschlands bekannteste Notärztin im Interview

"Doc Caro" Dr. Carola Holzner warnt: "Wir rennen sehenden Auges in ein Riesenproblem"

05.10.2023, 09.19 Uhr
von Elisa Eberle

Dr. Carola Holzner ist Deutschlands bekannteste Notärztin. Im Interview  gewährt "Doc Caro" einen Einblick in ihren nervenaufreibenden Klinikalltag und spricht über fehlende Fachkräfte und die Frage, warum sie ihren Beruf trotz aller Probleme immer noch liebt.

Dr. Carola Holzner, besser bekannt als "Doc Caro", erregte in der Corona-Pandemie Bekanntheit, als sie die umstrittene Satire-Kampagne "allesdichtmachen" öffentlich kritisierte. Auch gilt die inzwischen 41-Jährige als Schöpferin des Kofferworts "mütend", bestehend aus den Adjektiven "müde" und "wütend", das den Allgemeinzustand der Pflegekräfte und Ärzteschaft in der Hochphase der Pandemie beschreibt. 2022 feierte die Doku "Doc Caro – Einsatz mit Herz" über ihren Arbeitsalltag bei SAT.1 Premiere. Trotz guter Quoten wurde das Format nach fünf Folgen beendet.

Nun startet ein neues Doku-Format bei VOX: Sechs Folgen "Doc Caro – Jedes Leben zählt" sind ab Mittwoch, 4. Oktober, wöchentlich um 20.15 Uhr zu sehen. Darüber hinaus gewähren die zweifache Mutter und ihre beste Freundin, Hebamme Kerstin, in "Doc Caro – Der Podcast" seit 19. September bei RTL+ Einblicke in ihren privaten Alltag. 

prisma: Ihr Gang an die Öffentlichkeit begann im Herbst 2019. Die breite Masse lernte Sie spätestens in der Corona-Pandemie kennen. Wie hat sich Ihr Alltag seither verändert?

Dr. Carola Holzner: Mein privater Alltag hat sich kaum verändert. Ich muss nur mehr organisieren, um alles unter einen Hut zu bekommen. Mittlerweile werde ich jedoch beim Einkaufen an der Käsetheke angesprochen. Das heißt, ich gehe nicht mehr in Jogginghose einkaufen. (lacht)

prisma: Wenn Sie auf der Straße angesprochen werden: Was sagen die Leute?

Holzner: Auf der Straße gucken sie eigentlich eher, sagen aber nichts. Aber an der Käsetheke, wenn man auf Tuchfühlung geht, sagen die Leute: "Ich kenne Sie doch aus dem Fernsehen!" Ich werde auch von Leuten angesprochen, die aufgrund meines Blogs oder meiner Sendung medizinisch fit geworden sind. Die vielleicht einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erkannt und vielleicht sogar ein Leben gerettet haben und mir das dann stolz erzählen.

"Im Rettungsdienst konzentriere ich mich voll auf die Patienten"

prisma: Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag durch die Medienarbeit verändert? Ist es inzwischen noch stressiger?

Holzner: Für die Doku werde ich von einem Drehteam während des Rettungsdienstes und in der Notaufnahme begleitet, und ich muss sagen: Ich merke das nicht! Das Drehteam ist ein festes Team, das sehr pietätvoll umgeht. Sie fügen sich sowohl in der Notaufnahme als auch im Rettungsdienst super ein.

prisma: Es ist also keine Doppelbelastung?

Holzner: Es gibt schon immer wieder Situationen, in denen ich sage: Ich muss jetzt mal kurz ohne Kamera durchatmen. Wer glaubt, dass das alles nebenher läuft, der irrt. Ich wusste selber nicht, was das alles bedeutet. Das gilt im Rettungsdienst, wie in der Notaufnahme. Ich konzentriere mich voll auf die Patienten – dann bin ich im Tunnel. Aber das Drumherum ist anstrengend: Wenn es vielleicht doch noch Nachfragen gibt oder wir einen O-Ton nachdrehen. Da kommt es eben auch vor, dass ich in meiner eigentlichen Pause ein Interview gebe.

"Wir haben das Klatschen nicht gehört"

prisma: Während Corona genossen Sie, Ihre Kolleginnen und Kollegen großen Respekt. Welche konkreten Verbesserungen hat es seit dem Applaus gegeben?

Holzner: Wir haben das Klatschen nicht gehört, weil wir in der Notaufnahme waren. Daran hat sich auch nichts geändert: Es kommt hier keiner applaudierend rein. Eher im Gegenteil: Die Probleme, die das Pflegepersonal und den Ärztemangel betreffen, haben sich seit Corona in den Notaufnahmen verstärkt. Es gibt einige, die sich überlegen, aufgrund der Arbeitsbelastung aus dem Beruf auszusteigen, oder es bereits getan haben. Das heißt, wir haben ein ausgedehntes Pflegeproblem, wir haben einen deutlich ausgeprägten Ärztemangel, der immer noch nicht ausreichend thematisiert wird in meinen Augen. Das hat sich überhaupt nicht verbessert. Wir rennen da sehenden Auges in ein Riesenproblem.

prisma: Hat sich an der Wertschätzung durch die Patientinnen und Patienten seit der Pandemie etwas verändert?

Holzner: Nein, die Wertschätzung der Patientinnen und Patienten in der Notaufnahme war schon immer da. Sie und ihre Angehörigen bedanken sich nach wie vor. Anders ist es bei der öffentlichen Wahrnehmung: Wenn Sie im Untersuchungsraum stehen, erfahren Sie Dankbarkeit, aber auch mal Angriffe oder schlechte Laune. Sie treffen auch auf genervte Menschen, die meinen, dass sie der größte Notfall sind, nur weil sie mit einem eingerissenen Zehennagel in die Notaufnahme kommen. Da müssen wir schon mal den ein oder anderen zur Räson bringen.

"Wir müssen bei der Aufklärung von Menschen ganz von vorne anfangen"

prisma: Sie sprachen über den Fachkräftemangel. Wo fällt der am meisten ins Gewicht?

Holzner: Wir haben es schon immer mal wieder in Großstädten erlebt, dass Menschen die 112 anrufen und lange Wartezeiten haben, bis der Rettungsdienst kommt. Das kommt auch daher, dass sehr viele Menschen den Rettungsdienst unnötig anrufen. Hinzukommt der Fachkräftemangel in den Krankenhäusern, wodurch wir weniger Intensivbetten zur Verfügung haben. Wir haben ein massives Ärzteversorgungsproblem, sowohl in den Krankenhäusern als auch auf dem Land. Das wird vor allem bei der Erstversorgung deutlich: Wenn Sie auf dem Land keinen Hausarzt mehr haben, dann rufen Sie den Rettungsdienst, den gibt es aber nicht, dann ziehen die Leitzentralen den irgendwo ab, wo er eigentlich dringender gebraucht wird ...

prisma: Was muss passieren, damit sich die Lage verbessert?

Holzner: Wir müssen bei der Aufklärung von Menschen ganz von vorne anfangen. Gleichzeitig müssen wir aber auch dafür sorgen, dass der ambulante Sektor besser aufgestellt wird, dass Menschen wieder einen Ansprechpartner haben, einen Hausarzt oder einen Facharzt bekommen und nicht das Krankenhaus als Rettung sehen.

"Es gab schon Punkte, an denen ich dachte, ich schaffe das nicht mehr"

prisma: Mit der Doku "Doc Caro – Jedes Leben zählt" wollen Sie junge Menschen für Pflege und Rettungsdienst gewinnen. Wenn Sie einen Werbeslogan für den Beruf erfinden müssten, wie würde er lauten?

Holzner: Der Werbeslogan lautet schlicht und einfach: "Das ist der geilste Job der Welt!" Man kann akut Menschen helfen, und ich glaube, dass die eigene Gesundheit und die Gesundheit der Menschen allgemein das höchste Gut ist. Das sieht man an der Dankbarkeit, die einem entgegenkommt, wenn man in einer Notfallsituation liebevoll für jemanden da war. Wer das einmal erlebt hat, der weiß, was ich meine.

prisma: Ist es diese Dankbarkeit, die Sie motiviert, täglich zur Arbeit zu gehen, trotz all der Probleme?

Holzner: Auf jeden Fall! Ich liebe meinen Job! Ich habe großartige Kolleginnen und Kollegen. Das Team steht über allem! Wenn man tolle Kollegen hat, wenn man Patientinnen hat, die freundlich sind und sich bedanken, wenn man ihnen helfen kann, dann ist das von unschätzbarem Wert.

prisma: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, das Handtuch zu werfen?

Holzner: Ich hab tatsächlich darüber nachgedacht, als ich Assistenzärztin war. Deshalb möchte ich jetzt auch mal eine Lanze für die Assistenzärzte brechen, die nur ihren Job machen, aber gefühlt nirgendwo auftauchen. Sie sind im Endeffekt die, die den Laden am Laufen halten, wenn sie sechs 24-Stunden-Dienste in zwei Wochen haben und immer wieder als Krankheitsvertretung einspringen. Hinzukommt, dass Assistenzärzte mitunter Situationen ausgesetzt werden, die sie insofern überfordern, als sie Gott sei Dank gar nicht wissen, was alles passieren kann. Es gab schon Punkte in meinem Leben, an denen ich dachte, ich schaffe das körperlich oder aus Überforderung nicht mehr. Aber so geht es allen Assistenzärzten und genau deswegen sage ich meinen jungen Kolleginnen und Kollegen auch: Halte durch! Man wächst in den Job rein! Und ja, das geht uns allen so.

"Wir sehen den Krankenhausalltag hinter den Kulissen"

prisma: Wie unterscheidet sich Ihr neues VOX-Format von dem Vorgängerformat "Einsatz mit Herz" bei SAT.1?

Holzner: Die Gemeinsamkeiten sind, dass es sich beide Male um eine echte Doku handelt, die mich eins zu eins in meinem Arbeitsalltag begleitet. Neu ist, dass wir bei "Doc Caro – Jedes Leben zählt" die Patienten auch aus der Notaufnahme heraus begleiten: Wir sehen Herzkatheter-Untersuchungen, wir sehen Operationen. Wir sehen den Krankenhausalltag hinter den Kulissen. Unser Ziel ist wirklich, das breite Publikum über Erkrankungen aufzuklären. Wir wollen die Menschen für Medizin begeistern und Sachverhalte auf einer Ebene erklären, auf der sie jeder versteht. Wer die Doku sieht, hat schneller als je zuvor verstanden, was ein Herzinfarkt ist, und weiß, was man dagegen tun kann.

prisma: Sie frischen mit dem Format also die Ersthilfe auf?

Holzner: Nicht nur. Sie sehen alles von der Ersthilfe über die Herzkatheter-Untersuchung bis hin zur überstandenen Operation. Alles ist echt, emotional, empathisch und einfach toll.

"Die Doku wird sicherlich junge Menschen motivieren"

prisma: Glauben Sie, dass die Sendung Auswirkungen haben wird, dass sich künftig wieder mehr junge Menschen für die Branche entscheiden?

Holzner: Auf jeden Fall! Da bin ich felsenfest davon überzeugt. Denn wir müssen einfach die positiven Dinge ausstellen. Natürlich muss es echt bleiben, doch genau diese Echtheit macht es eben aus. Die Doku wird sicherlich junge Menschen motivieren und vielleicht sogar einzelne Menschen, die darüber nachgedacht haben, aus dem Gesundheitswesen auszusteigen, davon abhalten oder diejenigen, die schon ausgestiegen sind, wieder zurückholen.

prisma: Welches Ziel verfolgen Sie mit "Doc Caro – Der Podcast"?

Holzner: Der Podcast ist nochmal eine andere Seite: Hier spreche ich mit meiner besten Freundin Kerstin, die als Hebamme ebenfalls aus dem medizinischen Bereich kommt. Dabei erleben mich die Hörerinnen und Hörer von der privaten Seite. Das ist lehrreich und sehr unterhaltsam. Es gibt Anekdoten von mir persönlich, von unserer Freundschaft, von der Geburt meiner Kinder, von vielen Alltagssituationen. Dabei vergessen wir manchmal sogar, dass wir alles aufzeichnen (lacht).

 

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Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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