ARTE-Doku

"Gefangen in Putins Russland – Teenager als Staatsfeinde": der Fall der Anya Pavlikova

01.11.2022, 08.30 Uhr
von Wilfried Geldner

Die 17-jährige Anya Pavlikova wird gemeinsam mit anderen Oppositionellen des Umsturzversuches gegen Putin angeklagt. Mit einem vermeintlich harmlosen Chat fing alles an.

ARTE
Gefangen in Putins Russland – Teenager als Staatsfeinde
Dokumentation • 01.11.2022 • 20:15 Uhr

Der Dokumentarfilm "Gefangen in Putins Russland – Teenager als Staatsfeinde" von Anna Shishova (TV-Premiere bei ARTE) rekonstruiert aus vorgefundenem und selbst gedrehtem Videomaterial den Fall der 17-jährigen Moskauerin Anya Pavlikova, die sich im März 2018 eigentlich nur für Musik, Tiere und Umwelt interessierte und nach der Oberschule Biologie studieren wollte. Irgendwann geriet sie, wohl auch auf Zutun einer so genannten "Freundin" in eine Chatgruppe, in der auch Gedanken über Politik und Freiheit kursierten. Was Anya nicht wusste, war, dass sich unter die zehnköpfige Gruppe ein Geheimagent des Sicherheitsdienstes gemischt hatte, der alles tat, um die Gruppe des politischen Umsturzes bezichtigen zu können.

Ruslan D., wie er im Film genannt wird, gab der Gruppe eine Satzung und einen Namen ("Neue Größe"), besorgte einen festen Raum für ihre Treffen und schnitt diese heimlich mit Videokameras mit – alles Voraussetzungen, um amtlich als politisch aktive Gruppe zu gelten. Zum Beweis terroristischer Absichten brachte er der Gruppe obendrein die Herstellung von Molotowcocktails bei und zeigte, immer brav mitgefilmt, in leerstehenden Gebäuden deren Verwendung.

Ruslan D. wurde vom Moskauer Bezirksgericht nie angeklagt, während die anderen Verhafteten in monatelange Untersuchungshaft unter schlimmsten Verhältnissen kamen und nach und nach zu Gefängnisstrafen – teils auf Bewährung – verurteilt wurden. Anya, deren tiefe Verstörung man in bewegenden Nahaufnahmen sieht, wurde nach Protesten der Bevölkerung und insbesondere ihrer mündig gewordenen Mutter unter Hausarrest gestellt. Schließlich erhielt sie, wie mehrere andere, die zum Zweck von Geständnissen teils Zwangsverhören und Folterungen ausgesetzt waren, eine jahrelange Bewährungsstrafe.

Vorläufig letzte Strafen wurden erst im August 2020 verhängt. Einer der Verurteilten schnitt sich im Oktober 2019 vor Gericht die Pulsadern auf, aus Protest gegen den zweifelsfrei hörigen Richter des die Urteile diktierenden russischen Systems. Der weitgehend unkommentierte Film, der unter anderem von den Rechtsanwälten zur Verfügung gestelltes Geheimmaterial nutzen konnte, ist nicht immer leicht zugänglich. Die Anhörungen, ja sogar eine Verlautbarung Putins zum vorgeblichen Politskandal, täuschen eine gewisse Offenheit Putin-Systems vor, die Übersetzung der Urteile ist zuweilen rudimentär.

Das alles liegt daran, dass sich just zur Drehzeit die Menschenrechtslage in Russland verschlechterte – die Pressefreiheit wurde eingeschränkt, unabhängige Medien verboten. Als die junge Regisseurin Anyas Familie und deren Ausgeliefertsein filmte, mag für die Regisseurin noch die Hoffnung auf einen Sieg der Freiheitsrechte bestanden haben. Vor allem ein massenhafter "Protest der Mütter" auf den Straßen Moskaus zeugt davon. Ihren Film musste Anna Shishova jedoch nach der Flucht ins israelische Exil 2022 fertig schneiden. Er zeigt Putins Krieg "nach innen" eindringlich aus nächster Nähe – eine weitere Eskalation, die nicht sehr weit vor dem Überfall auf die Ukraine um sich griff.

Um 21.45 Uhr zeigt ARTE einen weiteren Film innerhalb des Themenabends über Putins Russland: In "Syrien – Russlands Testlabor" (ARTE F, 2022) versucht die Autorin Edith Bouvier Putins Engagement in Syrien auf den Grund zu gehen. Inwieweit hat dieser Militäreinsatz (ab 2015) Putins Angriff auf die Ukraine beeinflusst?

Gefangen in Putins Russland – Teenager als Staatsfeinde – Di. 01.11. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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