In ZDF-Talkrunde

Markus Lanz bescheibt seinen Besuch in der Ukraine: "Eine Reise in die Dunkelheit, in den Abgrund"

29.11.2023, 08.50 Uhr
von Doris Neubauer

Die Lage in der Ukraine war das Thema am Dienstagabend in der Sendung von Markus Lanz. Ist die Entmilitarisierung der Krim eine Option für Frieden? Wie gefährlich ist der Einsatz für Kriegsreporter und Freiwillige aus dem Ausland? Und welche Auswirkungen könnte die kommende US-Wahl auf den Kriegsverlauf haben?

"Wenn du da bist und du hörst das Pfeifen von einer Artelleriegranate, hast du eine Sekunde, um auf den Boden zu kommen. Und wenn nicht, bist du erledigt." – Die Worte von CNN-Kriegsreporter Frederik Pleitgen am Dienstagabend in der Ausgabe von "Markus Lanz" (ZDF) gehen durch Mark und Bein – zumal der Gastgeber selbst zuvor mit einer schwer verdaulichen Doku einen "Blick in die Hölle" warf und die entsprechenden Bilder lieferte.

Markus Lanz beschreibt seine Erlebnisse in der Ukraine

Die Lektion von Pleitgen hat auch der Nürnberger Berufsfeuerwehrmann Nils Thal schnell gelernt. Ausgerechnet in Thailand hörte er in einem Bericht des CNN-Journalisten vom Angriff Russlands auf die Ukraine. "So eine Invasion geht (...) gegen Freiheit, Gleichheit, Demokratie. Da konnte ich nicht einfach zugucken", war das für ihn der Augenblick der Entscheidung: "Da muss ich etwas machen, da muss ich hin." Kurzerhand flog er nach Deutschland zurück, nahm über eine kleine NGO Kontakt zur ukrainischen Feuerwehr auf, kaufte sich ein Auto und fuhr los. "Auf der anderen Seite – direkt am Grenzübergang hatte ich das Gefühl, ich bewege mich auf etwas zu, während mein ganzer Körper wegrückt davon", sagte er bei "Markus Lanz" und wich nach hinten aus, ganz so, als befände er sich wieder an der Grenze.

An zerschossenen Panzern und zerbombten Tankstellen vorbei ging es für ihn "im Zickzack" nach Kharkiv. "Man hat oft Hollywood-Szenen im Kopf mit Schießereien und Explosionen überall, das war aber gar nicht so: Es war dämmernd, es war leise, es war fast still, sämtliche Straßenlaternen sind ausgeschalten", weiß er nach zwei monatelangen Ukraine-Aufenthalten zu berichten, "und alle 20 Minuten ein riesiges Intervall an Artillerie – bam-bam-bam-bam-bam-bam – 2 Minuten Pause, das gleiche nochmal, dann Pause. Das war unheimlich."

"Es ist unglaublich, was die Ukraine geleistet hat"

Schilderungen wie diese gingen bei "Markus Lanz" am Dienstag unter die Haut. Doch nicht nur Nils Thal und Kriegsreporter Frederik Pleitgen wussten über die ungeheure Sinnlosigkeit und Zerstörung eindringlich zu berichten. Auch Lanz hatte für seine Dokumentation "Ukraine – Leben mit dem Krieg" das Land besucht und jede Menge Aufnahmen mitgebracht. "Das ist eine Reise in die Dunkelheit, in den Abgrund", beschrieb er selbst das Erlebte, und man wurde den Eindruck nicht los, dass der ZDF-Moderator noch ganz schön daran zu knabbern hatte. Immer wieder aufzubauen und dann wieder zerbombt zu werden, "das macht die Menschen so unheimlich müde und mürbe", sagte der Moderator. Der Spagat zwischen den persönlichen Schilderungen vom Kriegsschauplatz und sachlicher Diskussion gelang an diesem Abend nur mäßig.

Im Fokus der Sendung stand mitunter die Kriegsmüdigkeit, die bei sich den westlichen Unterstützern der Ukraine breitzumachen scheint. "So große Sorgen sie sich in Kiew machen, dass Trump wieder Präsident wird, so sehr sehnt das Wladimir Putin herbei", meinte Pleitgen etwa, als Markus Lanz den Kriegsreporter um die Einschätzung der Auswirkung einer möglichen Wiederwahl Donald Trumps am 5. November 2024 auf den Ukraine-Krieg haben könnte. Der russische Präsident könnte nämlich glauben, so der Experte, "dass er diese Zeit möglicherweise überbrückt hat, in der die Ukraine schlagkräftige Geldgeber hat und auch viele Waffen gekriegt hat, und dann versuchen kann, komplett einzumarschieren."

Sicherheitsexpertin Florence Gaub warf jedoch ein, dass Trumps bisheriges Hauptargument, die NATO und die Europäer würden nicht genug handeln, mittlerweile nicht mehr zu halten wäre. Generell könnte es aber so sein, dass "die Europäer wahrscheinlich mehr machen müssen. Das ist eher das Szenario, als dass Trump den Stecker zieht und sagt 'Ciao'", erklärte sie und erinnerte an bisherige Erfahrungen mit dem früheren US-amerikanischen Präsidenten: "Also er (Anm.: Trump) ist nicht so konsistent in seinem Weltbild." Nur weil er sich bisher mit Putin verstanden habe und mehrmals behauptete, er könne diesen Krieg mit einem Telefonat beendet, müsse das nicht der Fall sein, so die Politologin vom NATO Defense College,

Letzteres wäre wohl nicht der erste Trugschluss in diesem Konflikt. Schließlich konnten mittlerweile 50 Prozent der von Russland besetzten Gebiete (die Krim nicht eingeschlossen) wieder zurückerobert werden. "Es ist unglaublich, was die Ukraine geleistet hat", betonte Gaub und wies darauf hin, dass sich bis zu einem Wahltermin in den USA noch einiges tun könnte.

Ukrainer: Bereit Blutzoll zu zahlen

Einen klaren Sieg stellte aber keiner der Experten bei Markus Lanz in Aussicht. Vielmehr "könnte auch eine Situation eintreten, die beide Seiten politisch als Sieg verkaufen können", so Sicherheitsexpertin Gaub. Eine Option könnte die Entmilitarisierung der Krim sein. Er sehe jedoch kein Szenario, "wo Putin jemals den Hafen von Sebastopol abgibt", schloss Pleitgen diese Vision hingegen aus und verwies darauf, dass mit jedem russischen Angriff das Nationalverständnis der Ukrainer erstarkt. "Sie sind bereit, einen weiten Weg zu gehen und Blutzoll zu zahlen", betonte er.

Ob die Russen ebenfalls so hinter dem Krieg stehen, sei indes unklar. Zwar wäre in Putins Reich laut einer Umfrage eine große Mehrheit für den Krieg und den Sieg gegen die Ukraine. Die Ansicht der Regierung, dass damit die Vormachtstellung des Westens infrage gestellt würde, teilt die Bevölkerung aber nicht. "Für uns ist das eine interessante Einsicht", erläuterte Expertin Gaub, "das würde nämlich bedeuten, dass die Regierung nicht so weit gehen kann beziehungsweise nicht so weitermachen kann, weil die Unterstützung für alles, was über die Ukraine hinausgeht, nicht da ist." Markus Lanz traf vermutlich mit seinem Schlusssatz ins Schwarze: "Ich fürchte, es ist nicht das letzte Mal, dass wir über dieses Thema gesprochen haben."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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