Hintergundinfos zum Krimi

"Tatort: Avatar": Wie realistisch war die Krimi-Folge aus Ludwigshafen?

08.01.2024, 14.26 Uhr
von Eric Leimann

Vieles war nicht so, wie es schien in der "Tatort"-Folge "Avatar". In dem kühlen Psycho-Krimi mit spannender Wendung entpuppte sich ein "nette" Patchwork-Vater als fieser Cybergroomer. Doch was ist das genau und wie realistisch war der Fall?

Im Ludwigshafener "Tatort: Avatar" musste man ein bisschen durchhalten, bis verschiedene Handlungsfäden zusammenliefen. Was hatte es mit dem toten Mann am Rhein auf sich, von dem die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) nicht mal wussten, ob er überhaupt ermordet wurde? Hatte die derangierte Programmiererin Julia da Borg (Bernadette Heerwagen) etwas damit zu tun, die mit einem traurigen Mädchen am Bildschirm chattete? Und warum lernte man dann auch noch eine weitere Patchworkfamilie kennen?

Worum ging es im "Tatort: Avatar"?

Am Ende war der ARD-Sonntagskrimi ein starker Thriller über Trauer am Bildschirm und Cybergrooming, der sexuellen Belästigung von Kindern und Jugendlichen über Chaträume und soziale Medien. Dazu wurden zwei Darsteller verabschiedet, die 25 Jahren beim ältesten "Tatort" der ARD Dienst schoben.

Die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) wurden zu einer männlichen Leiche am Rhein gerufen. Gestorben war der aus Köln ohne sichtliches Motiv angereiste Familienvater an einem Herzinfarkt. Zuvor hatte man ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Von einer Überwachungskamera festgehalten wurde in der Nähe Julia da Borg (Bernadette Heerwagen).

Die Programmiererin chattete daheim über die Bildschirme ihrer Atelierwohnung mit einem traurigen Mädchen – schien aber selbst psychich ziemlich angegriffen. Dann gab es da noch eine scheinbar harmlose Patchworkfamilie, in der Mutter Manon (Sabine Timoteo) mit Teenagersohn Bastian (Luis Vorbach) und ihrem Partner Pit (Felix von Bredow) zusammenlebte. Wie die drei Handlungsstränge zusammenpassten, wurde erst im letzten Drittel des Krimis aufgeklärt.

Was steckt dahinter?

Der scheinbar harmlose Patchwork-Daddy erwies sich als Cybergroomer. Im Netz nutzte er die Identität seines Stiefsohns, um mit minderjährigen Mädchen anzubandeln. Eine solche Erfahrung nicht überlebt hatte die Ziehtochter der von Bernadette Heerwagen ("München Mord") ziemlich toll gespielten Programmiererin. Ihr geliebtes Kind hielt sie als Bildschirm-Avatar für Trauergespräche am Leben.

Dazu mutierte sie zum Racheengel und tötete Männer, die im Netz nach intimen Kontakten mit sehr jungen Mädchen forschten. All diese Themen offenbarten sich im klugen Drehbuch von Harald Göckeritz und unter der effektvollen Regie Miguel Alexandres scheibchenweise – und ziemlich clever. Einer der besten Ludwigshafen-Fälle seit langem – aber auch einer, bei dem man ein bisschen dranbleiben musste.

Was genau ist Cybergrooming?

Das Bundeskriminalamt bringt es so auf den Punkt: "Gezielte Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen über das Internet. Die Täter geben sich in Chats oder Online-Communitys gegenüber Kindern oder Jugendlichen als ungefähr gleichaltrig aus oder stellen sich als verständnisvolle Erwachsene mit ähnlichen Erfahrungen und Interessen dar."

Natürlich gibt es Grooming auch ohne Cyberspace, indem die Täter Kinder und Jugendliche im realen Leben ansprechen. Die Anonymität des Internets, in dem man seine wahre Identität verschleiern kann, hilft Tätern jedoch bei ihrer perfiden Neigung auf gefährliche Weise.

Cybergrooming boomt. Laut Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) gab es im Jahr 2020 in Deutschland 17,6 Prozent mehr Fälle als 2019. Insgesamt wurden 3.839 Fälle vom BKA erfasst. Die Dunkelziffer dürfte gewaltig sein, die wahre Zahl der Delikte also deutlich höher liegen. Eine repräsentative Studie der Landesanstalt für Medien NRW veröffentlichte Ende 2022 Zahlen, die den Trend untermauern: Fast ein Viertel der über 2.000 befragten Kinder und Jugendlichen zwischen acht und 17 Jahren (24 Prozent) wurde bereits im Netz von Erwachsenen zu einer Verabredung aufgefordert. 2021 waren es noch 20 Prozent.

Wie kann man sich vor Cybergrooming schützen?

Eltern sollten mit ihren Kindern über die Gefahr sprechen und sie dafür sensibilisieren. Niemals dürfen private Daten wie Adresse und Telefonnummer im Netz mitgeteilt oder intime Fotos verschickt werden, die Täter danach zur Erpressung der Opfer nutzen können ("Sexting"). Alarmglocken sollten zudem läuten, wenn der Kontakt Kinder in private Chats locken will, darauf drängt, dass alles geheim bleiben soll, wenn Nachrichten mit sexuellem Inhalt versendet und Geld oder Geschenke angeboten werden. Oft ist es so, dass die Täter das "Nein" nicht akzeptieren und hartnäckig bleiben.

Cybergrooming ist ein Straftatbestand, der mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet wird. Wer von Cybergrooming betroffen ist, kann sich bei der Polizei und Hilfsorganisationen gegen sexuellen Missbrauch von Kindern melden. Zum Beispiel unter der kostenfreien anonymen Telefonnummer 0800-30 50 750, unter der man das "Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch" erreicht. Wer lieber schreiben will, dem bietet die Plattform ZEBRA der Landesanstalt für Medien NRW ein fachkundiges und jugendgerechtes Angebot.

Abschied von Sekretärin Keller und Kriminaltechniker Becker

Nach 25 Jahren im Dienst sagten die Ludwigshafener "Tatort"-Urgesteine Edith Keller (Annalena Schmidt) und Peter Becker (Peter Espeloer) im "Tatort: Avatar" tschüss. Die beiden Figuren der Dialekt sprechenden Schauspieler werden im Film berentet, planen ihren Abschied und werden am Ende vom Rest des Teams gefeiert.

Ganz freiwillig dürfte der Abschied von zwei lieb gewonnenen Nebenfiguren nicht gewesen sein. Nach 66 Folgen fallen die beiden einer "Formatänderung" zum Opfer, wie der SWR vor einigen Wochen mitteilte. Schauspielerin Edith Keller befindet sich mit 72 Jahren mittlerweile tatsächlich im Rentenalter. Der 63-jährige Peter Espeloer hätte hingegen im wahren Leben noch ein paar Jahre Dienst geschoben.

Wie geht es beim Ludwigshafener "Tatort" weiter?

Der nächste Fall für Odenthal und Stern dürfte die im Sommer 2023 abgedrehte Folge "Tatort: Recht muss Recht bleiben" (Drehbuch und Regie: Martin Eigler) werden. Sandra Borgmann spielt eine Anwältin, die darauf spezialisiert ist, die Schwächen der Gegenseite zu identifizieren und auszunutzen. Der Mann jener Anwältin, die viel Hass auf sich zog, wurde erschossen. Sollte eigentlich sie zum Opfer werden? Die Folge wird jedoch erst im zweiten Halbjahr 2024 im Ersten zu sehen sein.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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