Neuer Fall aus Bremen

"Tatort: Liebeswut" - Kunstkrimi mit verstörenden Elementen

29.05.2022, 08.36 Uhr
von Eric Leimann

Nach einem Wohnungsbrand findet die Feuerwehr im Schlafzimmer, das hermetisch abgeriegelt wurde, eine Frauenleiche. Eine kryptische Botschaft über den Teufel steht an der Wand. War die Frau psychisch krank?

ARD
Tatort: Liebeswut
Kriminalfilm • 29.05.2022 • 20:15 Uhr

Der Brand in einem der ärmeren Stadtteile des an solchen Quartieren eher "reichen" Bremen bringt in "Tatort: Liebeswut" einen bizarren Leichenfund mit sich. Eigentlich stößt die Feuerwehr in der verkohlten Wohnung eines Mietshauses nicht auf menschliche Überreste. Doch da ist diese Tür, die sich nicht öffnen lässt. Verklebt, verspachtelt – kein Durchkommen. Erst mithilfe einer Axt verschaffen sich die Kommissarinnen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) Zutritt. Es findet sich ein ziemlich Nordic-Noir-mäßiger Schlafzimmer-Tatort, in dem eine Tote mit Kopfschuss im roten Hochzeitskleid auf dem Bett liegt. An der Wand in großen Lettern eine kryptische Botschaft. Der Teufel spreche durch die Wände und wolle jemanden holen. Handelt es sich um den Selbstmord einer psychisch Kranken?

Die Tote stellt sich als Susanne Kramer heraus. Sie ist die Mutter zweier kleiner Töchter, die nicht aufzufinden sind. In der Schule hat der wunderliche Hausmeister (Dirk Martens) die Kinder das letzte Mal gesehen, als sie auf dem Hof aufs Abgeholtwerden warteten. Der Vater der Mädchen, Thomas Kramer (Matthias Matschke), lebte nicht mehr bei der Familie. Mit seiner jungen, schwangeren Freundin (Milena Kaltenbach) wartet er auf die Ankunft von Zwillingen. Es scheint jedoch, als habe der Mann auch zu seinen Töchtern eine liebevolle Beziehung. Die Eltern der toten Susanne Kramer (Ulrike Krumbiegel, Thomas Schendel) werden ebenfalls vernommen. Sie stellen ihre Tochter als äußerst labil dar. Kommissarin Moormann, in der dieser Fall traumatische Erinnerungen an die eigene Kindheit auslösen, reagiert irritiert auf die Aura des dauereislutschenden Nachbarn des Opfers, Gernot Schaballa (Aljoscha Stadelmann). Was ist in der seltsamen Bremer Nachbarschaft tatsächlich vorgefallen?

Das immer noch neue Bremer "Tatort"-Team muss in seinem dritten Fall ohne den Exil-Dänen Mads Andersen (Dar Salim) auskommen, der in Kopenhagen zu tun hat. Die Ermittelnden von der Weser sind diesmal also rein weiblich. Nach den ersten beiden Bremen-Krimis 2021, "Neugeboren" sowie "Und immer gewinnt die Nacht", wusste man noch nicht so recht, wohin das charakterlich ziemlich diverse Trio und seine Fälle hin wollen. Die ersten beiden Geschichten, beide vom langjährigen "Tatort"-Autor Christian Jeltsch geschrieben, waren geradezu übervoll mit Plotfäden und Ambition, was manchmal faszinierend, aber auch ein wenig zu viel wirkte. Mit Film drei hat das Kreativenteam gewechselt – und ist ebenfalls rein weiblich. Martina Mouchot ("Der Bozen-Krimi", "Stubbe – Von Fall zu Fall") schrieb das Drehbuch und mit der vielfach preisgekrönten Filmemacherin Anne Zohra Berrached ("24 Wochen") ist dem kleinen Radio Bremen ein echter Regie-Coup geglückt.

Szenen wie aus einer Graphic Novel

In der Tat sind Berracheds Bilder in "Liebeswut" besondere: Sie sind in dunklen, ungemein satten Farben gehalten und wirken wie Gothic-Ölgemälde, die an Szenen einer Graphic Novel erinnern. Schon die übergroßen Schriften zu Beginn des Krimis weisen darauf hin: Hier gibt es heute einen Kunstkrimi, der mit verstörenden Elementen arbeitet. Dass viele dieser verstörenden Elemente mit Bildarchitektur, aber auch der Architektur der Schauplätze mit doppelten Böden und geheimen Zimmern zu tun haben, rücken "Liebeswut" in die ästhetische Richtung der Sky-Horrorserie "Hausen" mit Charly Hübner. Die badete ebenfalls in einer großen Bilderparade des Gruselgenres.

Doch wie bei "Hausen" muss man auch Berracheds ersten von zwei "Tatorten" im Wochenrhythmus – die Filmemacherin sorgt skurrilerweise auch für den Dresdener Fall "Das kalte Haus" in der kommenden Woche – kritisieren: Viele Figuren in "Liebeswut" wirken hinter ihren Manierismen reichlich hohl. Über 90 Minuten wird auf hohem Niveau chargiert, was den Charakteren an glaubwürdiger Tiefe fehlt.

Dies gilt auch für das zu aufgesetzte Kindheitsdrama rund um Liv Moormann. Ist "Liebeswut" nun also ein Flop? Nein, wer von bildgewaltigen "Nordic Noir"-Stoffen, von Wallander-Ritualmorden bis hin zu David Fincher-Twists der Marke "Sieben" nicht genug bekommen kann, kriegt hier ein "Tatort"-Gruselstück auf hohem (Bild)niveau serviert. Spannend ist Moormanns und Selbs düstere Reise ebenfalls. Als psychologisch schlüssiger Krimi missglückt die Bremer Tätersuche allerdings. Vielleicht fehlte auch ein bisschen die augenzwinkernde dänische Leichtigkeit des Mads Andersen. Wie der sich wohl im deutschen Horrorhaus gefühlt hätte?

Tatort: Liebeswut – So. 29.05. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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