Jean-Pierre Melville

Jean-Pierre Grumbach
Lesermeinung
Geboren
20.10.1917 in Paris, Frankreich
Gestorben
02.08.1973 in Paris, Frankreich
Sternzeichen
Biografie
Er drehte zwischen 1947 und 1972 nur 13 Spielfilme, aber die hatten es in sich! Jean-Pierre Melville, in Paris als Jean-Pierre Grumbach geboren, bekam bereits als Kind von seinen elsässischen Eltern eine Filmausrüstung. Seine Liebe galt zunächst dem Projektor, denn damit konnte er sich Stummfilme anschauen und sein Berufswunsch war geweckt. Nach seinem Kurzfilm "24 Stunden im Leben eines Clowns" (1945) drehte er 1947 mit "Das Schweigen des Meeres" den ersten Langfilm.

Der Kriegsfilm spielt im besetzten Frankreich des Jahres 1941. Ein Oberleutnant der deutschen Wehrmacht, der exzellent französisch spricht, wird bei einem alten Mann und seiner Nichte einquartiert. Die Gastgeber wider Willen begegnen dem Offizier mit hartnäckigem Schweigen. Nichtsdestotrotz hält dieser jeden Abend leidenschaftliche Reden, in denen er Liebe zu Frankreich und zur französischen Literatur offenbart. Als er hört, dass seine deutschen Offizierskollegen es sich zum Ziel machen, den französischen Geist auszulöschen, bittet er um seine Versetzung an die Front. Jean-Pierre Melville zeigt hier, dass ein Film über den Krieg nicht immer mit Schlachtengetöse und teuren Spezialeffekten einhergehen muss. Er lotet die persönlichen Konflikte, die sich durch den Krieg ergeben, in Gestalt eines doppelbödigen Kammerspiels aus. Neben der eindringlichen Inszenierung ist auch die ausgezeichnete Kameraarbeit von Henri Decaë ein Lob wert.

Zwei Jahre später sah man Melville als Schauapieler in Jean Cocteaus Meisterwerk "Orphée", bevor er anschließend die Regie von dessen Story "Die schrecklichen Kinder" übernahm. Wieder mit Decaë als Kameramann erzählt Melville in packenden Schwarz-Weiß-Bildern, die oft an den italienischen Neorealismus erinnern, die poetische wie überaus tragische Geschichte der Geschwister Lisbeth und Paul, die in einer inzestuösen Gemeinschaft leben. Als Paul eines Tages "verletzt" nach Hause gebracht wird, stellt der Hausarzt einen Herzfehler fest und verordnet strikte Bettruhe. Lisbeth wird Paul pflegen, die Mutter vegetiert in ihrer Alkoholabhängigkeit vor sich hin. In aller Ruhe können die beiden so "ihr Spiel spielen".

Zehn Jahre später drehte Melville mit "Zwei Männer in Manhattan" seinen einzigen US-Film, der gemessen an seinen späteren Meisterwerken, eher ein spröder Krimi im Stil des "film noir" ist. UN-Vollversammlung in New York, Ende der Fünfziger: Nur AFP-Chefredakteur Rouvier ist aufgefallen, dass der französische Diplomat Fèvre-Berthier fehlt und schickt Journalist Moreau auf die Spurensuche. Der findet nicht bloß den Gesuchten - tot in der Wohnung einer Geliebten - sondern erfährt darüber hinaus vom lockeren Lebenswandel des angesehenen UN-Diplomaten. Fotojournalist Delmas, der die Suchaktion quer durch New York mit begleitete, hält nicht so viel von Takt und Wahrheit und schießt gestellte Fotos, die den guten Ruf des Diplomaten ruinieren würden. Deshalb startet eine zweite Verfolgungsjagd nach den "staatsgefährdenden" Negativen ... Der Film entpuppt sich als naturalistische Hommage des Amerika-Fans an New York. In langen Sequenzen taumeln die Helden (den Moreau spielt Melville selbst) durch die halbe Stadt von den Vergnügungsvierteln über großbürgerliche Residenzen am Central Park bis Lower East Side und Huston River. Das Irritierendste an dem Film ist vielleicht seine Botschaft: Die Wahrheit über den Lebenswandel eines Diplomaten muss verborgen bleiben, nicht nur im Sinne von Staatsinteressen, sondern auch, weil die, die ihm schaden wollen, noch schmutziger sind. Melville verpackte diese Einsicht in eine Art "detective story", ersetzte aber die coolen Gesetzeshüter in vielen seiner anderen Filme dieses Genres durch Journalisten.

Zurück in Frankreich nahm sich Melville in seiner Regiearbeit des Romans "Léon Morin" von Béatrix Beck an. Das wieder von Henri Decaë fotografierte Gesellschaftsdrama "Eva und der Priester" (1961) ist ein reifes, ernsthaftes Drama, das auch schwierige Fragen überzeugend bewältigt. Der junge Jean-Paul Belmondo, mit dem Melville 1959 in Jean-Luc Godards Nouvelle Vague-Klassiker "Außer Atem" vor der Kamera gestanden hatte, gibt einen Priester, der durch sein Beispiel und die Überzeugungskraft seiner theologischen Diskussionen die Rückkehr einer jungen Frau zum Glauben bewirkt. In einer ihrer frühen Rollen als junge Sünderin glänzt die französische Charakterdarstellerin Emmanuelle Riva, die ebenfalls zwei Jahre zuvor durch Alan Resnais' "Hiroshima mon amour" bekannt geworden war. Mitproduzent von "Eva und der Priester" war übrigens Carlo Ponti, Ehemann von Sophia Loren.

Und dann der Film, der Jean-Pierre Melville international bekannt machen sollte: Wieder mit Belmondo drehte er mit "Der Teufel mit der weißen Weste" (1962) einen echten Klassiker des französischen Gangsterfilms der Sechzigerjahre: Belmondo spielt Silien, einen der meist gefürchteten Männer der Pariser Unterwelt, den eine seltsame und ungeklärte Freundschaft mit dem gerade aus dem Knast entlassenen Juwelendieb Maurice Faugel verbindet. Über Silien kursieren viele Gerüchte. Manche halten ihn für einen Polizeispitzel, denn er ist eng mit Inspektor Salignari befreundet. Als Maurice bei einem Einbruch von der Polizei überrascht wird, steht für ihn fest, dass ihn Silien verpfiffen hat. Wieder im Gefängnis, setzt Maurice einen Auftragskiller auf Silien an ... Melville greift hier wieder die Tradition des "film noir" auf und inszenierte das Gangstermelodram betont unterkühlt. Gauner und Polizisten sind am Ende des Films austauschbar und sogar befreundet.

Ebenfalls 1962 entsteht das brillant fotografierte Meisterwerk "Die Millionen eines Gehetzten" nach einem Roman von Georges Simenon, wieder mit Belmondo als Hauptdarsteller und Henri Decaë hinter der Kamera. Belmondo ist der ehrgeizige, aber erfolglose Boxer Michel, der gerade wieder einen Kampf verloren hat. Auf der Suche nach einem neuen Job findet er eine Anstellung als Sekretär des Multimillionärs Ferchaux. Dieser will sich wegen eines finsteren Kapitels in seiner Vergangenheit mit Michel in die USA absetzen. Doch in New York angekommen, muss das ungleiche Paar wieder fliehen, denn inzwischen wird nach Ferchaux gefahndet... Melville entwickelte hier eine wunderbare, elegische Story zweier unterschiedliche Charaktere, die auf ungewöhnliche Weise zusammenfinden und erst spät erkennen, dass keiner ohne den anderen auskommen kann. Wie auch seine späteren Werke, die sich auf das klassische amerikanische Gangster-Genre beziehen, verschwimmen hier die Grenzen zwischen Gut und Böse. Melville machte Verbrecher zu seinen Hauptakteuren, gar zu Sympathieträgern, deren Leben von Tod und Einsamkeit beherrscht wird.

Ein düsterer Klassiker des Genres wurde auch "Der zweite Atem" von 1966, den Melville nach dem Roman "Un règlement de comptes" des späteren Regisseurs José Giovanni in Szene setzte: Lino Ventura spielt den berüchtigten Gangster Gustave Minda alias Gu, der nach zehn Jahren Haft aus dem Gefängnis entkommt. In Paris sucht er seine alten Freunde auf - die Restaurantbesitzerin Simone, genannt Manouche, und den Barmann Alban, einen ehemals gefürchteten Scharfschützen. Gu kommt gerade rechtzeitig, um Manouche in letzter Minute aus den Händen zweier skrupelloser Gangster zu befreien, die für den berüchtigten Jo Ricci arbeiten. In einem Wald erschießt er die beiden Männer. Die Art und Weise, wie er sie beseitigt, führt Kommissar Blot bald auf Gus Spur, der die Handschrift des ehemaligen Staatsfeindes Nr. 1 wieder erkennt. Einmal mehr ist hier Melvilles Handschrift zu spüren, dessen Protagonisten der Hauch von desillusioniertem Pessimismus, großer Einsamkeit und unabwendbaren Scheitern umweht. Autor Giovanni hatte übrigens an Melville nicht die besten Erinnerungen, denn der habe wie viele andere Regisseuresein Werk zerstört.

Im Jahr darauf dreht Melville schließlich seinen berühmtesten Film, den klassischen wie stilbildenden Gangsterfilm "Der eiskalte Engel" mit Alain Delon. Der spielt den professionellen Killer Jeff Costello, der seine Aufträge routiniert und ohne Skrupel erledigt. Doch dann hat er Pech: Trotz seines Alibis wird er von der Polizei des Mordes verdächtigt. Seine Auftraggeber versuchen deshalb, ihn zu beseitigen. Zwischen Nouvelle Vague und film noir inszenierte Jean-Pierre Melville virtuos stilisiertes Gangster-Kino über einen Killer, der seinen Job verliert, ohne den er nicht existieren kann: "Es gibt keine größere Einsamkeit als die eines Samurai, es sei denn die eines Tigers im Dschungel", lautet das Bushido-Motiv aus dem Vorspann und erklärt damit den Originaltitel.

Alain Delon übernimmt auch die Hauptrolle in Melvilles nächster Regiearbeit, dem Kriminalfilm "Vier im roten Kreis" (1970). Als entlassenen Häftling will er mit zwei Komplizen noch einmal so richtig abräumen und plant einen Jahrhundertcoup. Zunächst geht auch alles planmäßig über die Bühne. Doch als die drei versuchen, ihre heiße Ware zu verkaufen, kommt ihnen ein Kommissar (Bourvil) in die Quere. Melville gelingt hier wieder einmal wie mit links, woran andere Filmemacher bis heute ein ums andere Mal kläglich scheitern: ein cooler, geschickt stilisierter Kriminalfilm auf den Spuren des film noir. Der Meister lehnte übrigens zeitlebens alle lukrativen Angebote aus Hollywood ab - dort glaubte er nicht in der nötigen Unabhängigkeit arbeiten zu können. Wie recht er hatte.

Und natürlich ist auch Melvilles letzte Regiearbeit "Der Chef" (1972) ein Kriminalfilm: Im französischen Küstenort Saint-Jean-des-Monts finden ein exakt geplanter und durchgeführter Banküberfall statt. Anführer der Diebesbande ist Simon, Nachtklubbetreiber in Paris. Genau dort trifft er sich wenig später mit dem Polizeikommissar Edouard Coleman. Obwohl der Polizist von Simons zweiter Existenz weiß, sind die beiden seit Jahren nicht nur Freunde - sie lieben auch das gleiche Mädchen: Cathy. Dann erfährt Coleman von einer Angestellten des Nachtklubs, dass Simon einen noch größeren Coup plant ... Ungewöhnlich war hier vor allem, das Melville seinen Hauptdarsteller Alain Delon nicht etwa in der Rolle des Ganoven besetzte, sondern ihn dieses Mal als Kommissar präsentierte. "Ober- und Unterwelt verschmelzen zu einem mythisch überhöhten Männeruniversum, in dem sich eine schicksalsschwere Tragödie abspielt", erkannte schon das Lexikon des Internationalen Films ganz richtig. Denn Melvilles letzter Film vereint noch einmal seine Topoi und seine typischen Figuren. Ein Höhepunkt: der spektakuläre Stunt mit dem Hubschrauber und dem fahrenden Zug.

Als Lehrer von Jean-Luc Godard und Volker Schlöndorff gilt Melvelle, der 1973 an den Folgen eines Herzinfarkts starb, auch als Vater der "Novelle Vague". Melville wählte seinen Künstlernamen aus Verehrung für den "Moby Dick"-Autor Herman Melville. Weitere Filme von Jean-Pierre Melville: "Und keine blieb verschont" (1953), "Drei Uhr nachts" (1955), "Die Spione" (1962) und "Armee im Schatten" (1969).

Filme mit Jean-Pierre Melville

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