Krimi im Ersten

Polizeiruf 110: Familiensache

27.05.2016, 15.08 Uhr
von Detlef Hartlap
Kommissar Dirk Köhler (Matthias Matschke) und seine Kollegin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) bei Manuela (Julischka Eichel).
BILDERGALERIE
Kommissar Dirk Köhler (Matthias Matschke) und seine Kollegin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) bei Manuela (Julischka Eichel).  Fotoquelle: MDR/Christine Schroeder

    Die Kommissare sind in Feindschaft verbunden. Eine Familie mit vier Pflegekindern ist da schon weiter: "Endstation", eine Folge mit viel Schatten und etwas Licht.

    Schauspieler sind von drei Faktoren abhängig. Erstens sind sie so gut, wie es der Regisseur zulässt. Zweitens können sie sich zwar über ein schwaches Drehbuch hinausspielen, aber auch nicht grenzenlos. Drittens setzen die eigenen Fähigkeiten ein Limit, dessen Unerbittlichkeit selbst ein noch so guter Regisseur nicht völlig beiseiteschieben kann.

    Claudia Michelsen, die motorradfahrende Kommissarin Doreen Brasch, wirkte in den ersten Folgen des Magdeburger Polizeiruf 110 vor allem unglaubwürdig. Ihr Kollege Sylvester Groth als Kommissar Drexler verbreitete eine wortkarge Kälte, die ihr, die emotional gern aus dem Vollen schöpft, jeden Spielraum nahm.

    Claudia Michelsen: eine verkappte Action-Darstellerin

    In der Doppelfolge "Wendemanöver" (gemeinsam mit den Rostockern Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner) taute sie unter der Regie von Eoin Moore spürbar auf. Doreen Brasch durfte zur Kümmerin werden. Sie schlüpfte in die Rolle einer Vertrauensperson für eine von Großvater und Vater schwer enttäuschte Industriellenenkelin; sie entwickelte mit einem Mal ein mütterliches Verständnis für die Nöte des Kollegen Drexler, den eine schwule Beziehung mit einem Hauptverdächtigen verband. Und sie durfte nach Herzenslust rennen, fahren, kämpfen - Claudia Michelsen ist eine verkappte Action-Darstellerin, nur dass deutsche Drehbücher in den seltensten Fällen Raum für Action bieten.

    Nun läuft sie im neuen Magdeburger Polizeiruf Endstation endgültig zu beachtlicher Form. Regisseur Matthias Tiefenbacher, der vor allem Tatort-Folgen aus Münster inszeniert hat (darunter nicht nur gute), verfährt nach dem bewährten Motto: "Nur wo zwei Scheite sich reiben, kann der göttliche Funke springen."

    Da Drexler den Dienst quittiert hat, da auch Kollege Mautz (Steve Windolf) drauf und dran ist, seinen Schreibtisch bei der Polizei zu räumen, steht Doreen Brasch die Arbeit ohnehin bis obenhin. Entsprechend geladen reagiert sie auf den arglos eintrudelnden Neuen. Dirk Köhler heißt er, und wird von Matthias Matschke gespielt. Zum Auftakt bringt er seinen Sohn mit, dem er Papas neuen Arbeitsplatz zeigen möchte, was umso mehr fehl am Platz ist, als gerade ein schwer misshandelter Schuljunge tot aufgefunden wurde.

    Spannungsgeladenes Verhältnis

    Köhlers jovial-aufgekratzte Art treibt Brasch rasch zur Weißglut, und das spannungsgeladene Verhältnis, das sich zwischen beiden ergibt, wird von Tiefenbacher genussvoll ausgekostet, als hätte die Story sonst nicht viel zu bieten. Immerhin, die Scheite reiben sich, Claudia Michelsen ist in ihrem Element, wenn sie gefrustet ist und sich in heiligem Zorn austoben kann (ihr rechtsradikaler Sohn ist gerade aus dem Knast entlassen worden, auch da liegt einiges im Salz).

    Matschke ist ein viel zu guter Schauspieler, um nicht bestens mithalten zu können, auch wenn einen, je länger der Film dauert, das Gefühl beschleicht, er sei als Quasseltüte und ratgebungsfreudiger Kollegenbelehrer gegen seine Möglichkeiten besetzt. Wo die lägen? Mit Sicherheit bei einem sehr abgeklärten und gewissenhaften Vorgesetzten, der von seinem Wissen und seinem Lebensstil her deutlich über dem Fußvolk der Kommissare steht. 

    Aber diese Rolle hält in Magdeburg Felix Vörtler inne, der ihr, wie in fast allen seinen Fernsehrollen, eine Spur von Unglückspilz in der Comedy verleiht.   

    Ein Junge ist gestorben. Er war Pflegekind in einer Familie, die sich als Hort für Pflegekinder spezialisiert hat; insgesamt leben vier Kinder bei den Schilchows (Paula Dombrowski, Ronald Kukulies). Der Tod des kleinen Marco, der zu Beginn eine unsagbar traurige Note in das Geschehen trägt, gerät bald in den Hintergrund, ja er verebbt regelrecht in den wenig glaubhaften Verästelungen dieser Familie.

    Erschreckend eindimensional

    Zu arglos die Eltern, zu verbohrt und besessen die jugendlichen Kinder, zu stumpf das Jugendamt. Das Drehbuch (von Stefan Rogall nach einer Idee von Michael Gantenberg) lässt die Schauspieler ins Leere agieren. Janina Fautz (als Tochter Bella) deutet einiges Talent an, doch bleibt ihre Rolle in Momenten, die dramatisch sein könnten, erschreckend eindimensional. Ähnliches gilt für Nino Böhlau, der als Pflegesohn Sascha das Missratene schlechthin verkörpern soll und arg in die Schmiere abdriftet.

    Das Positive: Claudia Michelsen als Wölfin von Magdeburg, kampfeslustig, stark; sowie Matthias Matschke mit dem Potenzial, dem Polizeiruf-Tatort Magdeburg neuen Stil zu verleihen. Regisseur Tiefenbacher ist das ansatzweise gelungen, doch mehr als einen letztlich trüben, bedrückenden, dabei aber nicht guten Polizeiruf gab das Drehbuch nicht her. 

    Die Scheite haben sich gerieben, noch ist der Funke nicht gesprungen.

    Das könnte Sie auch interessieren