Krimi im Ersten

Tatort Köln: Ein Frauenfilm, der keiner ist

29.04.2016, 13.48 Uhr
von Detlef Hartlap
Krankenschwester Angelika Meyer (Laura Tonke) und Dr. Sabine Schmuck (Julia Jäger) waren Kollegen des Toten, der im Park vor dem Krankenhaus gefunden wurde.
BILDERGALERIE
Krankenschwester Angelika Meyer (Laura Tonke) und Dr. Sabine Schmuck (Julia Jäger) waren Kollegen des Toten, der im Park vor dem Krankenhaus gefunden wurde.  Fotoquelle: WDR/Uwe Stratmann

Flucht aus Afrika, neue Heimat Deutschland: Das Thema hätte viele Möglichkeiten geboten. Doch geht dieser Film nicht dahin, wo's wehtut.

Ein Frauenfilm. Bevor wir erörtern, was denn um Himmels willen ein Frauenfilm sein soll, dürfen wir feststellen, dass uns die Frauenrollen im Tatort Narben am besten gefallen haben. Deshalb Frauenfilm.

Julia Jäger zum Beispiel. Sie spielt eine leitende Ärztin, Dr. Sabine Schmuck, am Kölner St. Ursula Krankenhaus. Sie gehört, man weiß nicht warum, zu den leicht unterschätzten Fernsehschauspielerinnen, was sich unter anderem darin äußern mag, dass ihr kleinere oder mittelprächtige Filmrollen (mehr als mittelprächtig ist im deutschen Film nicht drin) bisher versagt blieben.

Dabei ist Julia Jäger großartig. Im Fernsehen fällt sie vielleicht am meisten dadurch auf, dass sie in ihrer Rolle als Signora Brunetti in den Donna-Leon-Kitschkrimis eine Barbara Auer nicht nur abgelöst hat, sondern vergessen lässt. Und dass Barbara Auer keine erstklassige Schauspielerin wäre, hat noch niemand behauptet.

Eine Frau mit mindestens zwei Geheimnissen

Im Kölner Tatort spielt Julia Jäger nun eine Frau mit mindestens zwei Geheimnissen. Beide lösen sich erst gegen Ende des Films auf, aber wie diese unausgesprochenen, unterdrückten Dinge auf dieser sehr kompetent wirkenden Ärztin lasten, das bringt Julia Jäger mit einer Reihe von nuancierten Auftritten perfekt rüber.

Eine andere Geheimnisträgerin ist die Krankenschwester Angelika Meyer, der Laura Tonke eine schöne Schein-Offenheit verleiht, worauf die Kölner Kommissare denn auch eine Weile hereinzufallen scheinen. Ein Arzt aus dem Kongo, Dr. Patrick Wangila, ist nach langer Schicht spätabends auf dem Heimweg erdolcht worden. Schwester Angelika hat das mindestens kommen sehen, mindestens auch weiß sie, wer und was hinter der Tat steckt. Aber bevor ihr die Polizei zu sehr auf die Pelle rückt, gesteht sie, mit Dr. Wangila geschlafen zu haben. Das macht sie ein bisschen verdächtig und auch wieder nicht: Offenheit entlastet.

Die Wahrheitsspielchen von Dr. Schmuck und Schwester Angelika gehören zu den besseren Kniffen des Drehbuchs von Rainer Butt. Zu den schlechteren ..., aber dazu kommen wir noch.

Dr. Wangila war mit Vivien verheiratet, einer allem Anschein nach sehr einsamen und sehr naiven Frau (gespielt von Anne Ratte-Polle). Ihr Leben beruht auf Lüge und Illusion, was sie durchaus weiß oder ahnt, aber nicht an sich heranlässt. Auch Anne Ratte-Polle macht ihre Sache hervorragend, doch berührt es seltsam, dass sie erst vor Kurzem im Dortmunder Tatort "Hundstage" in einer ähnlichen Rolle zu sehen war, als eine Mutter, die ihre Wahrheit im Falschen fand.

Die Besetzungspolitik beim Tatort ist ein Musterbeispiel mangelnder Koordinierung. Voriges Jahr gab Werner Wölbern zweimal hintereinander den gemeingefährlichen rechten Wirrkopf, einmal in Sachsen-Anhalt, dann in Dortmund. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

An dieser Aufgabe scheitert das Drehbuch

Die vierte Frau in Narben trägt dieselben an Leib und Seele. Cecile Mulolo (Thelma Buabeng) fällt in jene Kategorie Hilfsbedürftiger, die von den sensationell zahlreichen Neu-Faschos, die das Leben in Deutschland gerade so viel kälter machen, als "Deluxe-Invasoren" verhöhnt werden. Cecile und ihre Leidensgenossinnen haben in einer apokalyptischen Welt, die auch deshalb so apokalyptisch ist, weil alle Welt, auch wir in Deutschland, von der afrikanischen Menschenausbeutung profitieren, Dinge durchgemacht, die erzählt und dargestellt gehören. Immer und immer wieder.

An dieser Aufgabe aber scheitert Rainer Butts Drehbuch, scheitert auch die solide, wenn auch unspektakuläre Regie von Torsten C. Fischer. Gerade weil sich die Ereignisse im Kongo in einem Sonntagabend-Tatort schlecht mit Bildern dokumentieren lassen, hängt die Glaubwürdigkeit von der Art und Weise ab, in der erzählt wird: plakativ oder eindringlich, in Metaphern, die hängenblieben, oder in letztlich beliebigen Andeutungen. Ein paar Narben auf der Haut ins Bild zu rücken, wie in diesem Film, wirkt eher arm.

Der deutsche Tatort-Zuschauer, der wenig vom Kongo weiß und in den allerseltensten Fällen selbst schon einmal vor Ort war, könnte infolge der nachlässigen Erzählungen von Vergewaltigung und Grausamkeit sogar zu falschen Schlüssen gelangen: Sind doch selbst schuld, die Afrikaner! Nicht wir sind es, die da unten für aberwitzige Verhältnisse sorgen, man sieht doch, dass sie sich gegenseitig an die Gurgel wollen!

Ein Frauenfilm. Thelma Buabeng ist das vielfach traumatisierte, völlig verängstigte Wesen, dem ein sicherer Hafen zu gönnen wäre.

So haben wir denn: eine Ärztin, die unter einem Zuviel an Geheimnis zu zerbrechen droht; eine Krankenschwester, die nicht in ihrem Fach, aber mit dem Leben überfordert scheint; eine Arztehefrau, die als ahnungsloses Hascherl zu Hause sitzt und sich mit Bogenschießen die Zeit vertreibt; und eine Afrikanerin im Zustand völliger Hilflosigkeit.

Und das soll ein Frauenfilm sein?

Haben wir die Kommissare erwähnt? Tun wir auch nicht.

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