Bernd Schmelzer im Interview

"Man muss Frauenfußball als eigenständige Sportart sehen"

von Andreas Schöttl

Er gilt als "Stimme des deutschen Frauenfußballs". Jedenfalls hat Bernd Schmelzer nichts dagegen, wenn man den ARD-Kommentator so bezeichnet. Bei der kommenden Frauen-EM in den Niederlanden will Schmelzer einen erneuten Titelgewinn der DFB-Damen erleben.

Wenn die DFB-Damen bei der Frauen-Europameisterschaft in den Niederlanden (Sonntag, 16. Juli, bis Sonntag, 6. August) erneut um den Titel kämpfen, ist auch er wieder mit dabei. Bernd Schmelzer (51) begleitet den Frauenfußball seit Jahren als Live-Kommentator für die ARD. Als ausgewiesener Experte hat er eine enorme Entwicklung bei den Spielerinnen festgestellt. Und das auf internationaler Ebene. Er erwartet nun nicht weniger als die sportlich hochwertigste Europameisterschaft bislang.

Schmelzer ist überzeugt: "Fünf oder sechs Mannschaften können gewinnen." Bei den Herren ist das bei den großen Turnieren eigentlich nicht anders. Weitere Vergleiche mit dem Herrenfußball lässt der Kommentator allerdings nicht zu. Für ihn sind sie ein "absolutes No-Go!" Denn wie Schmelzer im Interview sagt: "Man muss den Frauenfußball als eigenständige Sportart sehen."

prisma: Ist es in Ordnung, wenn man Sie die Stimme des deutschen Frauenfußballs nennt?

Bernd Schmelzer: Wenn einige das meinen, können sie das gerne machen, kein Problem! Es ist jedenfalls ganz sicher kein Schimpfwort.

prisma: Zuletzt haben die Herren den Confed Cup in Russland gewonnen, die U21 siegten bei der EM in Polen. Was bedeuten diese Erfolge für die Frauen?

Schmelzer: Es wäre natürlich schön, wenn wir ein kleines "Titel-Triple" erleben könnten - aber einen direkten Zusammenhang gibt es da nicht. Confed Cup und U21-EM der Herren sind zwei unterschiedliche Turniere. Und jetzt kommt mit der Damen-EM ein drittes hinzu. Auch der DFB hat keine Zusammenhänge geknüpft oder gar die Forderung formuliert, dass nun auch die Frauen die Europameisterschaft gewinnen müssten. Die Damen selbst haben das Ziel ausgegeben, dass sie ihren Titel verteidigen wollen und gehen entsprechend in das Turnier hinein - aber das ist völlig unabhängig von den jüngsten Erfolgen der Herren.

prisma: Der Confed Cup und auch der Nachwuchs der U21 haben sehr viele Zuschauer an die Bildschirme gelockt. Von einem möglichen Hype um die DFB-Teams müssten doch nun auch die Frauen profitieren, oder?

Schmelzer: Auch da gibt es nicht unbedingt einen Zusammenhang. Der Frauenfußball hat eine relativ eigene Klientel. Klar sind es bei den großen Turnieren immer mehr Zuschauer als bei normalen Länderspielen. Aber ich glaube nicht, dass wir jetzt bei der Frauen-EM mehr Fähnchen schwenkende Fans oder schwarz-rot-golden dekorierte Außenspiegel erleben werden, nur weil die Herren zuvor den Confed Cup und die U21-EM gewonnen haben.

prisma: Es heißt doch aber, dass die Deutschen ihre Nationalmannschaften immer irgendwie siegen sehen wollen. Deswegen erzielte bereits die letzte WM der Frauen 2015 in Kanada erstaunlich hohe Einschaltquoten.

Schmelzer: Das stimmt, ebenso bei der EM vor vier Jahren. Damals hatten wir bei den Spielen der DFB-Damen im Schnitt gut sechs Millionen Zuschauer. In beiden Fällen gab es davor übrigens keine Turniere der Herren - das zeigt also, dass das wirklich unabhängig ist. Große Turniere an sich haben immer relativ hohe Einschaltquoten, weil die Zuschauer natürlich gerne ihre Nationalmannschaft jubeln sehen. Das Phänomen betrifft aber andere Sportarten auch. Ob nun beim Handball oder beim Eishockey, bei Erfolgen schnellt das allgemeine Interesse nach oben. Das ganze Land ist dann irgendwie mit dabei, die Menschen freuen sich über die Erfolge.

prisma: Was wird man sportlich von der Frauen-EM erwarten können?

Schmelzer: Es wird die sportlich hochwertigste Europameisterschaft bislang. Es sind nicht nur zwei, drei Mannschaften, die gewinnen können. Sondern fünf oder sechs. Viele Länder haben sich technisch sehr gut entwickelt und sind sehr professionell geworden. England beispielsweise, Frankreich, Schweden natürlich. Die Niederlande als Gastgeber haben sehr viel investiert. Und Deutschland als Titelverteidiger gehört ohnehin zum Favoritenkreis.

prisma: Woran liegt es, dass die Qualität des Frauenfußballs so zugenommen hat?

Schmelzer: In vielen Ländern sind professionellere Strukturen geschaffen worden. Die Trainerteams und das sportliche Umfeld wurden verbessert, ebenso Trainingsmöglichkeiten und die therapeutischen Möglichkeiten. Die Ausbildung ist insgesamt besser geworden, und auch größere Vereine wie etwa Bayern München oder der VfL Wolfsburg investieren mehr Geld in den Frauenfußball. Das ist auch in anderen Ländern Europas so, vor allem in Frankreich und England. Bei Arsenal London beispielsweise sind die Damen auf dem gleichen Areal zu sehen wie Mesut Özil und die anderen Superstars der Herrenmannschaft.

prisma: Trotz besserer Qualität, der normale Liga-Betrieb wird noch immer nicht vernünftig angenommen.

Schmelzer: Es ist tatsächlich ein Phänomen, dass die Besucherzahlen in der Damen-Bundesliga seit vielen Jahren ziemlich überschaubar sind - trotz aller Erfolge der Damen-Nationalmannschaft. Selbst der Schwung nach der Heim-WM 2011 ist leider nie richtig in der Liga angekommen.

prisma: Warum?

Schmelzer: Das ist ein Stück weit unerklärlich. Vielleicht ist das Leistungsgefälle in der Liga noch immer zu groß, vielleicht ist die Infrastruktur noch nicht gut genug - manche Spielstätten haben ja tatsächlich annähernd Dorfplatz-Charakter. Jedenfalls wurde eine Patentlösung noch nicht gefunden, um die Frauen-Bundesliga für die Zuschauer attraktiver zu machen.

prisma: Anders als bei den Herren, bei denen wirklich jeder Schritt, auch privat, begleitet und analysiert wird, sind die Spielerinnen kaum bekannt. Stellt das den Live-Kommentator beim Frauenfußball vor eine besondere Herausforderung?

Schmelzer: Bei den Frauen gibt es zum Beispiel auch keine statistischen Analysetools, mit denen jede Flanke und jeder Eckball erforscht wird. Umso mehr kommt es bei der Vorbereitung auf die gute, alte Recherche an. Man ruft den Pressesprecher an, man geht zum Training, man spricht mit den Verantwortlichen und den Spielerinnen. Besonders groß ist die Herausforderung natürlich bei Ländern, die im Frauenfußball noch nicht so etabliert sind und bei denen schon rein sprachlich die Kommunikation schwierig ist - beispielsweise Russland oder bei der letzten WM Thailand oder die Elfenbeinküste. Über solche Teams gibt es auch im Internet kaum etwas. Da wird es manchmal schon sehr zäh, an Informationen zu kommen.

prisma: Sind Vergleiche zwischen den Herren und dem Frauenfußball eigentlich gerecht?

Schmelzer: Im Gegenteil: Für mich sind sie ein absolutes No-Go. Man muss den Frauenfußball als eigenständige Sportart sehen. Das sagt übrigens auch jeder, der in diesem Bereich arbeitet. In der Leichtathletik käme ja auch niemand auf die Idee, Usain Bolt mit einer 100-Meter-Läuferin zu vergleichen. Dafür sind die körperlichen Voraussetzungen bei Männern und Frauen einfach viel zu unterschiedlich. Das ist beim Frauenfußball genauso. Und man darf auch nicht vergessen: Die meisten Spielerinnen sind keine Vollprofis wie bei den Herren. Sie gehen morgens in die Arbeit, zum Studium oder in die Ausbildung. Und den Damen werden ganz bestimmt nicht die Schuhe geputzt oder die Trikots gewaschen. Und genau das ist es, was für mich und sicher für viele Zuschauer den Reiz beim Frauenfußball ausmacht: zu sehen, wie die Damen unter ihren Voraussetzungen mit großer Leidenschaft und Engagement sportliche Top-Leistungen herausholen.

prisma: Wo landet das deutsche Frauen-Team bei der EM?

Schmelzer: Gary Lineker hat ja mal gesagt: Ein Spiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnt Deutschland. Wäre schön, wenn sich der Spruch auch diesmal bewahrheitet.


Quelle: teleschau - der mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren