Schauspielerin im Interview

Michaela May: "Geld ist ein maßgeblicher Faktor"

von Anke Waschneck

Am 26. November ist Michaela May in dem ZDF-Drama "Sommer im Allgäu" zu sehen. Im Interview spricht die 65-Jährige über die Herausforderungen beim Dreh und gibt jungen Schauspielern einen Rat.

Der Interview-Tag startet für Michaela May schon früh am Morgen, und trotzdem scheint die 65-Jährige am späteren Nachmittag immer noch konzentriert und fröhlich. Kein Wunder, seit 1963 steht sie vor der Kamera, ist Schauspielerin mit ganzem Herzen und ein Profi in ihrem Geschäft. Trotzdem findet die Münchnerin nicht nur gute Worte für die Branche, sondern erklärt auch, warum es für junge Schauspieler ihrer Meinung nach immer schwieriger wird, in diesem Business Fuß zu fassen. Sie selbst kann sich über Engagements nicht beschweren – kehrte sie doch sogar dem "Polizeiruf 110" freiwillig den Rücken. Dafür übernahm die gebürtige Münchnerin eine Rolle in dem Melodram "Sommer im Allgäu" (Sonntag, 26. November, 20.15 Uhr, ZDF). Zur Wochenend-Primetime können die Zuschauer hier verfolgen, wie sich Irene Leitner, gespielt von Michaela May damit abfinden muss, dass ihre Tochter nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Schwere Kost für diesen Sendeplatz und keine leichte Aufgabe, gerade wenn man selbst Kinder hat, wie die Schauspielerin im Interview sagt.

prisma: "Sommer im Allgäu" ist eine ziemlich dramatische Geschichte vor einer herrlichen Voralpenkulisse. War der Dreh eher bedrückend oder doch entspannend?

Michaela May: Nur wenige meiner Rollen beschäftigen mich auch abends noch mental und textlich. Ich kann das sehr gut trennen. Deshalb konnte ich auch das Allgäu in vollen Zügen genießen und kennenlernen.

prisma: Könnten Sie sich vorstellen, das Allgäu zu Ihrer Heimat zu machen?

May: Inzwischen ist das fast schon eine Floskel, trotzdem kann ich sagen: Heimat ist dort, wo die Menschen sind, die ich liebe. Mein Job verlangt viele Reisen, daher lebe ich dieses Motto wirklich. Ich passe mich, wenn ich woanders bin, komplett an und möchte dann auch meine heimische Kultur nicht unbedingt mitschleppen. In Afrika brauche ich keinen bayerischen Braten. Dank meinem Zigeunerleben als Schauspielerin bin ich offen, und ich habe keine Probleme, mich an einem fremden Ort wohlzufühlen. Mit der dauernden Sehnsucht nach der Heimat hast du als Schauspieler wenig Perspektive.

prisma: In "Sommer im Allgäu" müssen Sie mit ansehen, wie Ihre Filmtochter sich nach einem Unfall zurückkämpft. Berührt einen das besonders, wenn man selbst Mutter ist?

May: Ja, ich denke, man kann sich noch mal ein wenig intensiver einfühlen, wenn man selbst Kinder hat. Das liegt aber auch an der Lebenserfahrung, die man als Mutter sammelt. Generell bin ich der Meinung, dass wir nicht immer erlebt haben müssen, was wir spielen. Es ist doch der Reiz des Berufs, in Lebensentwürfe, Charaktere und Geschichten zu schlüpfen, die eben nicht der eigenen Realität entsprechen, – und sie dann glaubwürdig zu vermitteln.

prisma: Haben Sie ein Rezept, wie Sie das schaffen?

May: Es ist immer eine Balance aus den Erfahrungen, die man selbst mitbringt und denen, die man neu dazugewinnt. Ich versuche mich auf jede Rolle angemessen vorzubereiten, indem ich ihre Fähigkeiten ein wenig erlerne. In "Sommer im Allgäu" bin ich Käse-Bäuerin, also habe ich vor dem Dreh beobachtet, wie man Käse herstellt. Es war eine meditative, bereichernde Erfahrung und half sehr, sich in die Figur hineinzufühlen. Früher habe ich auch Stunts gerne selbst gedreht, inzwischen sehen meine Rollen so etwas eigentlich nicht mehr vor.

prisma: Mit den Jahren verändern sich auch die Rollen. Wie schwer war es, sich umzustellen?

May: Zum Glück haben sich die Rollenangebote für meine Altersgruppe verbessert. Früher gab es das Hauptliebespaar zwischen 20 und 40 Jahren. Die ältere Generation war nur noch Oma und Opa, und wenn gab es nur für die Männer noch gute Rollen. Mit der Zeit ließ sich der deutsche Markt vom amerikanischen beeinflussen und schuf auch für meine Altersklasse noch selbstständige, starke Frauenfiguren, die auch ernst genommen werden. Im englischsprachigen Raum ist das schon länger so: Man schaue sich Judi DenchHelen Mirren oder Meryl Streep an.

prisma: Ist der Beginn einer Karriere für junge Schauspieler einfacher geworden?

May: Es wird weniger produziert, aber es gibt mehr Schauspieler, also nein. Heutzutage glänzt die TV-Landschaft mit mehr Sendern, und auch die deutsche Produktion für Streaming-Dienste beginnt, aber der Markt hierzulande ist im Vergleich zum englischen oder amerikanischen immer noch wahnsinnig klein. Junge, oft auch sehr talentierte Schauspieler gibt es wie Sand am Meer, und nur wenige haben das Glück, zum richtigen Zeitpunkt beim richtigen Regisseur zu spielen, sodass sie wirklich bekannt werden. Jella Haase aus "Fack ju Göhte" ist ein Beispiel für eine Schauspielerin, die so einen günstigen Zufall erlebt hat. Der Rest muss kräftig strampeln, um sich in einem harten Business irgendwie über Wasser halten.

prisma: Und wie war es früher?

May: Wir hatten weniger Sender, weniger Auswahl. Eine Serie wie in meinem Fall "Münchner Geschichten" erreichte viel mehr Menschen und ließ einen über Nacht zu einem bekannten Gesicht werden.

prisma: Das heißt, Sie würden niemandem raten, Schauspieler zu werden?

May: Doch! Aber ich kann den Jungschauspielern nur das gleiche raten, wie auch meinen eigenen Töchtern: Baut euch ein zweites Standbein auf. Immer nur auf eine Erfolg bringende Rolle zu warten, zerstört auf Dauer die Seele, denn man fühlt sich nie gut genug und ist immer unzufrieden. So ein Engagement zu finden, ist wie die Stecknadel im Heuhaufen zu suchen.

prisma: Oft beklagen sich gerade junge Schauspieler über die Drehpausen. Ging Ihnen das auch so?

May: Für mich war es nicht schlimm, weil ich die Zeit für meine Kinder genutzt habe. Aber ich hatte auch nie das Gefühl, dass nichts mehr kommt, sondern ich verfüge über einen ungebrochenen Optimismus. Ich bin sogar bei "Forsthaus Falkenau" ausgestiegen, ohne ein Folgeengagement zu haben, und musste viel Kritik dafür einstecken.

prisma: Sie hatten also blindes Vertrauen in Ihr Talent?

May: Wenn man eine Türe zu macht, geht eine andere auf, heißt es, und daran glaube ich. Für so einen Schritt braucht man Mut und auch die finanziellen Rücklagen. Das wird oft verschwiegen, aber Geld ist ein maßgeblicher Faktor.

prisma: Auch beim "Polizeiruf 110" sind Sie ausgestiegen, obwohl Sie sehr erfolgreich waren. Warum?

May: Der Erfolg war der Grund. Edgar Selge und ich hatten schon alles gewonnen, inklusive den Adolf-Grimme-Preis. Dann waren wir scheinbar nicht mehr verlockend für den Sender, wir konnten ja nicht noch mehr erreichen. Wir sollten durch ein junges Team ersetzt werden, und mir boten die Produzenten die Rolle der Chefin an. Aber diese Rolle ist unglaublich undankbar: Du gibst den Ermittlern ihren Fall, fragst in der Mitte der Folge, wie es läuft, und am Ende sprechen Sie ein Lob aus. Das schien mir schauspielerisch ein Abstieg, und nach zehn Jahren stand mir der Sinn nach etwas anderem.

prisma: Gibt es eine Rolle, die Sie unbedingt noch spielen wollen?

May: Bisher habe ich wenige Biopics gemacht, daher wäre ein Film dieser Art sicher verlockend. Aber jede Rolle, die eine große Elastizität der Seele verlangt, finde ich spannend und spielenswert. Gemeinsam mit meinem Mann (Bernd Schadewald, Anm. d. Red.) habe ich einige Stoffe entwickelt, die wir gerne verwirklichen wollen.

prisma: Verschmelzen Privatleben und Beruf dann nicht?

May: Doch, es ist eine stetige künstlerische Auseinandersetzung, die sehr fruchtbar ist. Wir diskutieren, haben unterschiedliche Meinungen und finden dadurch zu etwas Neuem. Zusammen sind wir eine perfekte Synergie: Ich bin eher ein Bauch-Mensch, mein Mann dagegen ein großer Dramaturg und Stratege.

prisma: "Sommer im Allgäu" ist unter der Regie von Jeanette Wagner entstanden?

May: Einer Frau.

prisma: Tut das etwas zur Sache?

May: Frauen haben bei solchen ernsten, tragischen Stoffen oft den Mut, Situationen und Gefühle auch ohne Worte zu erzählen. Dieses Talent möchte ich den Männern nicht pauschal absprechen, aber Frauen besitzen in manchen Fällen die besondere Gabe, sehr feine Emotionen zu spüren und in Bilder zu fassen.

prisma: Wie hat Jeanette Wagner das geschafft?

May: Zum Beispiel hat sie eine Szene ergänzt, die nicht im Buch vorhanden war: In einer kurzen Sequenz gehe ich zu meiner Filmtochter, die vollkommen niedergeschlagen vor dem Fenster sitzt, und reiche ihr einen Teller mit Essen. Das klingt profan, aber in dieser Szene, stecken unglaublich viele Empfindungen, die nonverbal vermittelt werden. Dass etwas so Feines von einem Regisseur erkannt wird, ist sehr wertvoll für einen Film.

prisma: Im März haben Sie Ihren 65. Geburtstag gefeiert. Denken Sie schon an die Rente?

May: Schauspieler gehen nicht in Rente. Wenn man einmal Blut geleckt hat, wird der Beruf zum Hobby und zum Lebenselixir. Wir Film- und Bühnenschaffende üben unseren Beruf bis ins hohe Alter aus, weil er mitwächst und mit jeder Figur und Geschichte eine neue Herausforderung parat hält. Schauspielerei ist ein unglaublich großer Blumenstrauß an Möglichkeiten, dem Leben zu begegnen. Es heißt nicht umsonst Schau-spiel: Es ist Leidenschaft und ein Quell, sich ständig zu erneuern.

prisma: Und es tut der Eitelkeit gut. Sie bekommen sicher immer noch viel Fanpost?

May: Ja, ich bekomme immer wieder einen riesigen Karton voll. Das sind Streicheleinheiten für die Seele, denn immerhin arbeiten wir alle dafür, dass uns das Publikum liebt. Und ich kann Ihnen sagen: Es ist ein unglaubliches Gefühl, zu spüren, dass die Masse einen mag. Wenn es plötzlich nicht mehr so wäre, würde mich das unglaublich treffen, und man würde es schnell vermissen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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