Polizeiruf 110 am Sonntag

Ein Vater läuft Amok

01.11.2014, 11.00 Uhr
von Detlef Hartlap
Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Alexander Bukow (Charly Hübner) müssen im "Polizeiruf 110: Familiensache" einen flüchtigen Mörder finden.
BILDERGALERIE
Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Alexander Bukow (Charly Hübner) müssen im "Polizeiruf 110: Familiensache" einen flüchtigen Mörder finden.  Fotoquelle: NDR/Christine Schroeder

Mitreißend, tragisch, berührend: Ist der Rostocker Polizeiruf "Familiensache" zu gut für seinen Sendeplatz?

Der Titel des Polizeirufs am Sonntag – Familiensache – ist nicht nur von der Dramatik des Geschehens her eine Untertreibung, er hätte unbedingt den Plural verdient: Familiensachen.

Erzählt werden a) eine Tragödie, wie man sie in solcher Abgründigkeit auf diesem Sendeplatz selten zu sehen bekommt, obwohl er sich doch eigentlich als Spielwiese für Mord und Totschlag mit nichts anderem als Abgründen beschäftigen sollte, b) eine Arbeit-frisst-Ehe-Story, die sich zwischen dem Rostocker Kommissar Bukow (Charly Hübner) und seiner Frau Vivian (Fanny Staffa) seit langem anbahnte und nun eskaliert.

Trostsuche einer zu kurz kommenden Ehefrau

Beginnen wir mit der Bukow-Geschichte, dem matten und alles Schreckliche gleichsam abmildernden Spiegel des großen Scherbentheaters. Vivian hat mit Volker (Josef Heynert), einem jungen Kollegen Bukows, eine Affäre begonnen. Anfangs beruhte sie auf der Trostsuche einer zu kurz kommenden Ehefrau, dann steigerte sie sich zu geheimen Treffen im Hotel, inzwischen sieht Fanny ihre Zukunft eher mit Volker als mit dem unentwegt arbeitenden Bukow.

"Worum geht’s?", fragt der, als Fanny ihn um eine Unterredung bittet.
"Um uns", antwortet sie.
"Du meinst um dich", folgert Buikow auf seine nicht unbedingt einfühlsame Art.

Es sind Szenen wie diese, die Fanny bestätigen, dass es mit Bukow nicht weitergehen kann. In einer früheren Folge war er mit seinen beiden Söhnen beim Angeln. Doch kaum waren die Ruten ausgeworfen, wurde das Idyll von einer Frauenleiche getrübt. Für Kommissar Bukow gibt es keine Freizeit, es sei denn bei einer Betriebsfete. Für Kommissar Bukow gibt es auch kein Familienleben.

Im Grunde eine alte Geschichte. Die déformation professionelle des Berufslebens, die man auf Deutsch "Sachzwänge" nennt, lassen mehr Ehen scheitern als Seitensprünge oder plötzliche Armut.

Eine ganze Serie von Fahrlässigkeiten

Armut ist das, was für Arne Kreuz (Andreas Schmidt) zum Stigma geworden ist. Nur dass sie nicht unvermutet über ihn gekommen ist, er hat sie, was der Film nur andeutet, durch eine ganze Serie von Fahrlässigkeiten, von Leichtsinn und Dsziplinlosigkeit über sich, seine Frau Jeanette (Laura Tonke) und ihre gemeinsamen drei Kinder hereinbrechen lassen. Man hat sich getrennt, Jeanette ist gerade dabei, sich ein neues Leben aufzubauen, auch mit einem neuen Partner.

Doch Arne Kreuz erweist sich auch in dieser nicht mehr reparierbaren Lage als Strohhalmlutsche; er saugt sich emotional an Illusionen fest, als ob sie Bausteine einer neuen Existenz sein könnten. Er verweist auf ein Haus, das ihm nicht gehört und niemals gehören wird, und er tut das, als wäre es seins. Er ignoriert, dass seine Frau einen anderen hat. Die unverschämte Kunst dieses Films (Regie Eoin Moore) besteht darin, den Zuschauer zumindest ein klein wenig mit einer Wende zugunsten Arnes liebäugeln zu lassen.

Unerbittliche Konsequenz

Was folgt, ist ein Amoklauf, der in seiner unerbittlichen Konsequenz dem Zuschauer den Atem verschlägt. Wer kürzlich dachte, der Tukur-Tatort "Unter Schmerzen geboren" mit seiner l’art pour l’art-Fröhlichkeit am Totschießen und 47 gezählten Leichen sei der Gipfel sonntäglicher Mordhaltigkeit, wird in "Familiensache" gewahr, dass fünf Leichen in einem aus dem wirklichen Leben gegriffenen Drama unendlich viel schwerer wiegen können.

Wie so manchem Amokläufer ist Arne Kreuz in der Unerbittlichkeit seiner Handlungen das Glück hold. Jeder seiner Entscheidungen lässt ihn seinen Vorsprung vor der Polizei bewahren, er strebt einer letzten Blutbad zu, und die Inszenierung Eoin Moores ist von einer Art, dass man sie als Zuschauer am liebsten selbst vereiteln möchte, wenn man doch nur rechtzeitig zu Stelle sein könnte.

Anneke Kim Sarnau als Bukows Kollegin Katrin König, in dieser Folge ein wenig unterbeschäftigt, sagt einen Satz, der wie aus einem Lehrbuch klingt und trotzdem wahr ist: "Nicht das Verhalten ist unangemessen, sondern die Gefühle, die dahinter stehen."

Das sollte der Zuschauer beherzigen, wenn er Arne Kreuz, den Andreas Schmidt großartig spielt, bei seinem Amoklauf an den Ostseestrand begleitet.

Einzige kleine Überpointierung

Und Bukow? Alle, voran Katrin König, befürchten, dass auch er Amok laufen könnte, denn das Verhältnis seiner Frau mit Volker hat sich endlich auch ihm offenbart. Das Drehbuch schweißt beide, Bukow und Volker, bei der Verfolgung von Arne Kreuz in einem Auto zusammen, was vielleicht die einzige kleine Überpointierung dieses umwerfenden Films ausmacht.

Bukow will um seine Ehe kämpfen. Ob Fanny bereit ist, dabei mitzumachen, bleibt offen. Ganz am Anfang der gemeinsamen Ermittlungsarbeit von Alexander Bukow und Katrin König hatte sie den mitunter ein wenig überexplosiven Kollegen wegen einer disziplinarischen Fragwürdigkeit zu beaufsichtigen. Das renkte sich bald ein. Am Ende dieser Folge händigt ihr Bukow seine Waffe aus. Ein kleiner Amokläufer steckt auch in ihm.

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