"Côte d’Azur"

Tatort Bodensee: Eigentlich ganz putzig, das Obdachlosenleben

30.10.2015, 10.50 Uhr
von Detlef Hartlap
Die Ermittler Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) sind sich im "Tatort: Côte d'Azur" spinnefeind.
BILDERGALERIE
Die Ermittler Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) sind sich im "Tatort: Côte d'Azur" spinnefeind.  Fotoquelle: SWR/Johannes Krieg

Warum immer wieder sonntags deutlich wird, wie sehr das deutsche Fernsehen den Anschluss an internationale Standards verloren hat.

Amerikaner, Briten, Dänen, Schweden, sie alle zeigen tolle neue Serien und das nicht erst seit gestern. Wir Deutschen haben den Tatort, unseren Tatort.

Serien wie "Borgen" (Dänemark), "Broadchurch" (GB) oder "House of Cards" (USA) stricken scheinbar mühelos ein gewisses Maß gesellschaftlicher und politischer Relevanz in ihre Plots, vor allem aber überzeugen die Plots selbst in ihrer feinen, sozusagen maschengenauen Ausarbeitung.

Zwei Tatort-Folgen, die Hoffnung machten

Wann hätte es in den vergangenen Jahren einen Tatort mit einem wirklich durchdachten und in seiner Inszenierung nicht hingeschummelten Plot gegeben? Im Frühjahr sahen wir zwei Tatort-Folgen, die Hoffnung machten: Den ersten Berliner Tatort in neuer Besetzung, "Das Muli", und den ersten Franken-Tatort mit Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs.

Nun aber sind wir wieder am Bodensee gelandet. Die Folge ist nicht wirklich schlecht, aber auch kein bisschen gut. Provinz. Landesbühne. Der Geschmack von Boulevard liegt über dem melodramatischen Geschehen, und der Geschmack von Boulevard ist immer auch ein Geruch von Billigkeit. Schauspieler wie Eva Mattes und Barnaby Metschurat, die anderes zu leisten imstande sind als ein paar hingerotzte Klischeenummern, wirken in Côte d'Azur, so der Titel der Folge, ergreifend unterfordert. Der Tatort ist an den meisten seiner Schauplätze auf dem Niveau amerikanischer Serien der Siebziger- und Achtzigerjahre stehen geblieben.

"Borgen", "Broadchurch", "House of Cards" u. a. sind vielleicht nicht, wie habituell enthusiasmierte Kritiker jubeln, die "Zukunft des Fernsehens" oder "Neuerfindung des Erzählens" (sie bleiben Serien und entsprechenden Gesetzen unterworfen), aber sie deuten eine Entwicklung an - hin zu mehr Recherche, kunstvoller und oft überraschender Ausarbeitung des Geschehens und anspruchsvoller Schauspielerführung; Fernsehen steht nicht mehr unbedingt hinter (besseren) Kinofilmen zurück.

Gefahrenzone beziehungsweise Kloake

Der Bodensee kommt in seiner 29. Tatort-Ausgabe (sowas wird von Tatort-Ernstnehmern mitgezählt wie die Tore von Robert Lewandowski) vor allem als Gefahrenzone beziehungsweise Kloake vor. "Côte d'Azur" ist der Spottname für eine Obdachlosenbaracke.

Eine junge Frau wird im Schilf einer unübersichtlichen Ufergegend erschlagen (was sie dort suchte, bleibt unerfindlich), eine Gruppe von Pennern nutzt ihn, den See, zu gelegentlicher Waschung und zum Säubern bepinkelter Hosen. Die Penner hören auf Namen wie Bill und Lucky, ein ehemaliger Polizist hat sich ebenfalls in ihre Kreise verirrt, die drogensüchtige Vanessa (Mandy Rudski) gibt den guten Geist der Truppe.

Man möchte sie Desperados nennen, Gescheiterte unserer Leistungsgesellschaft, die sich an einem letzten Strohhalm Hoffnung und ganz viel Fusel festhalten. Aber die Inszenierung (Regie Ed Herzog) scheitert schon hier, bei den Obdachlosen der Côte d'Azur. Sie dürfen gerade mal so dreckig sein, wie es der Sonntagsfernsehzuschauer (der einiges mit dem berüchtigten Sonntagsfahrer gemein hat) ertragen kann. Sie dürfen gerade mal so fies sein, dass kein Ekel aufkommt und man sie eigentlich als ganz putzig empfinden kann. Die Folge war ursprünglich für Weihnachten vorgesehen, anzunehmen also, dass dem Elend deshalb gezielt ein Schuss Niedlichkeit eingewoben wurde.

Aber für Weihnachten war es dann wohl doch schon wieder zu viel Schmutz und zu viel der Drogen. So findet Weihnachten in diesem Jahr am 1. November statt. Oh du fröhliche ...

Abhängigkeit von Heroin als eine Art schwerer Schnupfen

Mandy Rudski darf in dieser Inszenierung nicht wirklich drogensüchtig sein. Sie wird inhaftiert, bekommt den Affen des fortgeschrittenen Entzugs, aber das alles wird in einer so vorzeigbaren, sprich weihnachtlich tolerablen Theatralik in Szene gesetzt, als sei die Abhängigkeit von Heroin eine Art schwerer Schnupfen, den man bei gesünderer Lebensführung bald wieder loswürde.

Bleibt die Rolle von Sebastian Bezzel als Kai Perlmann. Er hat einen Fehler gemacht: Das Baby der Ermordeten lag im Schilf, in der Kälte einer vorweihnachtlichen Nacht, und er hat den Hinweis, dass es dort liege, falsch gedeutet.

In seinem Zorn und seiner Beschämung wird er abwechselnd rührselig und fromm oder aber aufmüpfig wie ein Teenager, der sich ungerecht behandelt fühlt. Die Tatort-Auguren, von denen es viele gibt und von recht unterschiedlicher Qualität, begeistern sich daran, dass es zwischen Perlmann und Blum (Eva Mattes) diesmal hoch hergehe - schön wär's ja. Leider hat das Drehbuch (Wolfgang Stauch) diesen Disput kaum in überzeugende Dialoge fassen können. Da hätte ein wenig Abgucken bei amerikanischen oder dänischen Serien gut getan.

So lümmelt Perlmann denn eine Reihe spießbürgerlicher Vorurteile über Hartz-IV-Empfänger, Obdachlose und Alkoholiker hin, die hier nicht wiedergegeben sein sollen.

Côte d'Azur ist gewiss nicht der schlechteste aller Tatorte, und das ist das eigentlich Schlimme daran.

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