Krimi im Ersten

"Tatort" Kiel: "Er ist wieder da"

27.11.2015, 15.20 Uhr
von Detlef Hartlap
Kommissarin Sarah Brandt hat Todesangst.
BILDERGALERIE
Kommissarin Sarah Brandt hat Todesangst.  Fotoquelle: NDR/Philip Peschlow

Klaus gegen Kai, ein Zweikampf, den unter anderem ein kleiner tapferer Toaster entscheidet. Spannende Folge mit vielen logischen Brüchen und einer bittersüßen Liebesgeschichte.

Als die Welt noch in Ordnung ist in diesem außergewöhnlich spannenden Tatort mit dem Titel Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes, erzählt Borowski seiner geliebten Frieda und ihrer Mutter die Anekdote seiner Kommissarsgenese.

Eigentlich, sagt er, habe er Verbrecher werden wollen, dann aber doch Psychologie studiert, und eines Tages sei er drauf gekommen, wie sich Verbrecher und Psychologe miteinander verbinden ließen: "Ich wurde Beamter!" Die Familie in spe bricht in Gelächter aus. Frieda und Borowski möchten bald heiraten.

Frieda Jung und Kai Korthals sind wieder da

Frieda Jung (Maren Eggert) kennt der kundige Tatort-Gucker, sie arbeitete lange Jahre als Psychologin an der Seite Borowskis (Axel Milberg) und verschwand eines Tages zugunsten Sarah Brandts (Sibel Kekilli) aus der Kieler Verbrechensbekämpfung.

Frieda ist also wieder da und Kai Korthals ebenfalls. Das verheißt nichts Gutes. "Man möchte es nicht aussprechen, ahnt aber doch Böses dabei", deklamiert Borowski, als er noch gar nicht weiß, was auf ihn zukommt. Anders als Frieda in zig Folgen gelang es Kai Korthals (Lars Eidinger) in nur einem Tatort das zu werden, was stereotyp "Kultfigur" genannt wird.

September 2012. Als "stiller Gast" zelebrierte Lars Eidinger eine Fähigkeit, die im deutschen Film vorher nur Heinz Rühmann (in "Ein Mann geht durch die Wand") zu eigen war: Er verschaffte sich Zutritt, wo immer er wollte. Mitunter ließ er Leichen zurück, weibliche Leichen. Sarah Brandt, die ihn überlebte, blieb er ein Trauma, zumal er am Ende trotz intensivster polizeilicher Umzingelung ins Nimmerwiedersehen entschlüpfte.

Ein vermeintliches Nimmerwiedersehen, wie wir nun wissen. "Er ist wieder da!", stößt Sarah Brandt als erste aus, woraufhin ihr speiübel wird. "Er wohnt in den Sternen", haucht sein jüngstes Opfer, eine junge Frau namens Mandy Kiesel (Lea Draeger), die von Korthals am Strand ausgesetzt wurde, in einer Kühltruhe verstaut.

Es entspannt sich, was man im Tatort selten zu sehen bekommt, ein Kampf Mann gegen Mann, Borowski gegen Korthals, Klaus gegen Kai. Im Prinzip ergeht es beiden dabei wie der Bundesrepublik im IS-Krieg: Man ist friedlich gestimmt, schwebt innerlich auf Wolke 7, wird aber, ob man will oder nicht, in den Kampf gezogen.

Aus dem Kokon der Glückseligkeit gerissen

Klaus Borowski ist verliebt. Er verwöhnt Frieda mit kleinen Geschenken und macht sich Sorgen um die richtige Konsistenz von Mangos. Dass ausgerechnet Frieda in die Hände des Mörders fällt, reißt ihn aus dem Kokon der Glückseligkeit.

Kai Korthals ist Vater geworden, was auch ihn froh stimmt, doch ist dies ein Ereignis, das seiner Meinung nach nur ihn etwas angeht, denn Mutter Mandy hat er wie beschrieben entsorgt. Mit der neugeborenen Tochter kommt er, darin dann doch entschieden fahriger und, ja, verrückter, als in der ersten Folge von 2012, nicht zurecht. Er überfüttert sie, gerät in Panik, überlässt das Kind einem Arzt und macht sich aus dem Staub.

Fernsehen und Film sind vor allem Illusionstheater wie das Theater selbst, aus dem sie erwuchsen, und der Krimi ist ein Spiel mit Illusionen, das den Erwartungen des Zuschauers zuwider läuft: Hier ein Knarren hinter der Tür (es könnte Korthals sein ...), dort ein Biss in den Apfel, der wie das Klicken eines Pistolenabzugs klingt, oder die gelingende Selbstbefreiung einer Geisel, die dann doch an einer Mauer scheitert.

Illusionstheater, allerdings allzu dick aufgetragen

Plötzlich steht Kai in Borowskis Wohnung hinter Klaus, mit vorgehaltener Pistole, versteht sich. Die beiden sind fix und fertig, sie verhandeln über einen Tausch, deine Frau gegen mein Baby, vor allem aber brauchen sie etwas, um die Nerven zu beruhigen.

"Der Tequila steht oben rechts", weiß Kai.

"Warst du schon mal hier?", fragt Klaus.

"Ja, öfter schon", sagt Kai. Vor dem Kerl ist keine Wohnung sicher.

Szenen wie diese werden unter den Billigheimern der Fernsehkritik, von Spiegel online bis Grimme-Institut, gern als "großes Kammerspiel" gepriesen, sind aber im deutschen Spielfilmwesen meist nur um den Preis logischer Tricksereien erkauft. Illusionstheater eben, allerdings allzu dick aufgetragen.

Hier wird das Korthals-Opfer Mandy, nachdem es der Kühltruhe entstiegen ist und zitternd an Sarah Brandts Schulter weint, von einem finster dreinblickenden männlichen Arzt untersucht. So ein Unfug kann nur Drehbuch-Autor Sascha Arango einfallen.

Schlimmer noch, Mandy ist das Baby aus dem Leib geschnitten worden. Das fällt dem Arzt offenbar nicht auf; so kann sie, geschwächt wie sie ist, der Polizei noch großformatige Zeichnungen ihres Schicksals und auch von Kai Korthals liefern, ehe sie, nachdem das Nötige zu Papier gebracht wurde, zusammenbricht. Das ist, mit Verlaub, Tatort-Kitsch.

Zwischen Baby-Besessenheit und Borowski-Hass

Die Figur Korthals funktioniert, schwankend zwischen Baby-Besessenheit und Borowski-Hass, schlechter als in der ersten Folge. Damals verkörperte er das zielstrebige und technisch versierte Böse. Jetzt ist er zum Getriebenen geworden, der sich nicht mehr im Griff hat. Ein normal Verrückter. Dass ihn NDR-Filmchef Christian Granderath zum "Dämon" erklärt, ist die Verklärung des Monats.

Vollends unlogisch wird der Fall bei einer Observierungsfahrt quer durch Kiel. Sarah Brandt hat die Geschehnisse bestens im Griff. Doch ausgerechnet in einem Moment, da Borowski die Besinnung verliert, wird sie ausgeblendet. Der eben noch betäubte Borowski nimmt allein die Verfolgung des flüchtenden Korthals auf. Ein Taschenspielertrick, eines Tatorts unwürdig.

Egal, am Ende gewinnt, wer im körperlichen Zweikampf den Toaster in Händen hält und damit zuschlagen kann. "Dieser verdammte Beruf!", stöhnt Borowski. Vielleicht wäre er doch besser Verbrecher geworden.

Am Ende fragt sich der Rezensent: Wie wäre das mit Frieda und Klaus in einem amerikanischen Film ausgegangen? Sie wären Hand in Hand einer goldenen Zukunft entgegengegangen und glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Und seltsam, da ist man dann doch wieder froh, dass wir nicht in Amerika, sondern in einem deutschen Tatort sind.

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