Vorab-Kritik zum Krimi am Sonntag

Dieser "Tatort" kann nur in der Katastrophe enden

04.11.2016, 14.32 Uhr
von Florian Blaschke
Kommissar Borowski (Axel Milberg) bringt Julia (Mala Emde) nach Hause.
BILDERGALERIE
Kommissar Borowski (Axel Milberg) bringt Julia (Mala Emde) nach Hause.  Fotoquelle: NDR/Christine Schroeder

Wir haben schon einige solcher Tatorte gesehen. Da gehen Menschen zur Polizei, meist wirken sie verwirrt oder verwahrlost oder beides, und erzählen eine Geschichte. Diese Geschichte, sie klingt wirr, nach Realitätsverlust, doch irgendetwas daran fasziniert – sowohl den Zuschauer als auch die Ermittler. Oft sind das ermüdende Fälle, doch ganz selten, da werden sie richtig gut.

Und auch das haben wir schon oft gesehen: Der Tatort, er widmet sich den großen Gesellschaftsthemen, übt sich in Kritik. Aktuell könnten das beispielsweise die Flüchtlingsfrage sein, Terrorismus, Islamismus, Integration. Diese Geschichten, sie wirken oft konstruiert, überzogen, hölzern, und nur selten gibt es daran etwas Faszinierendes. Doch ganz selten, da werden sie richtig gut.

Die großen Gesellschaftsthemen

Und dann kommt Raymond Ley, Regisseur, Jahrgang 58, bekannt geworden bislang vor allem durch Doku-Dramen wie "Die Nacht der großen Flut" oder "Eine mörderische Entscheidung". Und dieser Ley, der erzählt die Geschichte von Julia (Mala Emde), die auf dem Kommissariat auftaucht und ihren Bruder des Mordes an ihrer Mitschülerin Maria bezichtigt. Und er erzählt die Geschichte in einem Umfeld, das vermint scheint. Die Themen: Flüchtline, Terrorismus, Islamismus, Integration.

Doch Ley geht noch einen Schritt weiter, denn plötzlich, da taucht Kesting (Jürgen Prochnow) auf, ein Mitarbeiter vom Staatsschutz. Und Borowoskis Chef, Schladitz (Thomas Kügel), schlägt vor, den Fall nicht weiter zu verfolgen. Die Sache stinkt gewaltig. Und dann, eines Abends, steht dieser Kesting bei Borowski vor der Tür. Und eigentlich immer, wenn sich BND oder Staatsschutz in einen Tatort einschalten, wird es zäh und unbefriedigend. Nicht aber in diesem, nicht in "Borowski und das verlorene Mädchen".

Mitten im Geschehen

Die große Stärke dieses Tatorts nämlich ist es, dass er nicht inszeniert wirkt. Dass Kamera und Schnitt sich so zurückhaltend und trotzdem oft hautnah an die Protagonisten heranwagen, dass der Zuschauer sich mitten im Geschehen wähnt. Und dass er sich an ein brisantes, aktuelles Thema heranwagt, ohne sich in Klischees zu verlieren und ohne seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen.

Dazu kommen Akteure wie Mala Emde oder Sithembile Menck, die Lay aufspielen lässt, denen er Platz einräumt, um sich zu entfalten. Und ein Drehbuch, das klug aufgebaut ist, das mit dem Innen und Außen der Figuren spielt, mit unseren Sympathien, das den kühlen Borowski den Ängsten dieser Julia gegenüberstellt, die Methoden der Ermittlungsarbeit den Methoden der islamistischen Manipulation. Er lässt all diese Protagonisten ein Spiel spielen, das nur in der Katastrophe enden kann.

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