Wer oder was ist Gott? Ein Sozialhilfeempfänger in Brüssel, meint "Das brandneue Testament". Aber es kommt noch doller, als Gottes Tochter schöpferisch wird.
Manchmal tut er ja auch Gutes. Ein Angestellter mittleren Alters findet sich urplötzlich in einem menschenleeren Brüssel wieder, nackt, bis auf einen schwarzen Balken, der seine Blöße bedeckt. Er durchwandert die Straßen, ohne zu frieren, findet in Buchhandlungen Bücher mit unbedruckten Seiten – und trifft in der Kantine auf eine nackte Frau namens Eva. Sie verlieben sich ineinander. Wohlgefällig betrachtet Gott (Benoît Poelvoorde) aus seiner Sozialwohnung sein Werk. Meist quält er aber die Menschheit mit Katastrophen und Kriegen. Die theologisch inspirierte Tragikomödie "Das brandneue Testament", die nun bei ARTE erstmals im Free-TV ausgestrahlt wird, malt die Folgen augenzwinkernd makaber aus und ersinnt eine tolldreiste, lebensbejahende und sanft feministische Alternative.
Der Anstoß zu einer radikalen Verbesserung der Welt kommt aus Gottes eigener Familie, die er ebenso tyrannisch behandelt wie den Rest seiner Schöpfung. Seine kleine Tochter Ea (Pili Groyne) probt den Aufstand. Ihr verstorbener Bruder JC , als kleines Figürchen auf der Anrichte gegenwärtig, rät ihr im vertraulichen Zwiegespräch zur Abfassung eines neuen Neuen Testaments und zur Auswahl weiterer Apostel. Ein paar Wunder wären auch hilfreich. Erst einmal schleicht sich Ea aber in Vaters Büro und sorgt für Transparenz: Per SMS erhalten alle Menschen eine Mitteilung darüber, wie lange sie noch zu leben haben. Und beendet die Kriege. Papa reagiert darauf ziemlich sauer.
Wenn der belgische Regisseur Jaco Van Dormael einen Film macht, dann ist er poetisch und inhaltlich so eigenwillig wie einfallsreich – siehe "Toto der Held" (1991) und "Am achten Tag" (1996). "Das brandneue Testament" funktioniert nach dem Prinzip der Inversion. Gott mit kariertem Morgenmantel in eine Sozialbauwohnung zu versetzen, ist dabei nicht nur ein postmoderner Witz, sondern eine kühne Variante der christlichen Vorstellung von der Knechtgestalt Gottes. Aber auch die ganz gewöhnlichen Dinge erhalten ihren Zauber – wie in dem irren Einfall, dass die Wohnung Gottes nur durch die Waschmaschine verlassen werden kann, die darin steht.
Göttlich glücklicher Aufwand
Während Gott auf der Suche nach seiner rebellischen Tochter darüber stolpert, dass er die Welt möglicherweise schlecht eingerichtet hat, sucht sich Ea ihre neuen Apostel zusammen. Sie hat ein paar Namen und Adressen aus den Karteikästen ihres Vaters dabei, ein Obdachloser in ihrer Begleitung protokolliert alles mit – für "Das brandneue Testament". In collagenartigen Arrangements erzählen die Apostel einer wunderbar ungerührt-verständnisvoll gespielten Ea von ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Das Mädchen geht übers Wasser, ihr Vater fällt hinein. Doch keiner von beiden rechnet damit, dass die Mutter aus ihrer Apathie erwacht und auch noch kreativ wird.
Wie immer bei solchen Themen schwebt der Blasphemie-Verdacht im Raum. Dem lässt sich entgegnen, dass eher unsere patriarchalische Gottesvorstellung zur Disposition steht, die hier ihre Entmachtung erlebt. Bezeichnenderweise stockt Ea das Apostel-Personal von den bekannten zwölf auf achtzehn nicht mit Glaubensbotschaftern auf, sondern mit Menschen, die unter dem Eindruck ihres angekündigten Todes bewusster leben wollen. Sei es nun die Unternehmergattin Martine (Catherine Deneuve) mit einem echten Gorilla an ihrer Seite oder der kleine Willy (Romain Gelin), der ein Mädchen werden will. Ea unterstützt sie mit Wundern. Die Botschaft gerät dann fast schon etwas banal, gemessen am skurrilen Aufwand, der betrieben wird. Aber dieser Aufwand macht geradezu göttlich glücklich.