Im brandenburgischen "Polizeiruf 110: Demokratie stirbt in Finsternis" lässt Grimme-Preisträger Matthias Glasner die Apokalypse ausbrechen.
Jürgen Vogel als autark lebender Aussteiger auf dem platten Land in Brandenburg? Eine gebeutelte Kommissarin, die sich zum Stressabbau bei ihm einquartiert? Was zunächst wie eine deutsche Quatschkomödie klingt, stellt sich im aktuellen "Polizeiruf 110" als düsteres Krimi-Drama heraus. Geschrieben und inszeniert von Regisseur Matthias Glasner, der für seinen ZDF-Zweiteiler "Landgericht" den diesjährigen Grimme-Preis erhielt, beschäftigt sich die RBB-Produktion mit auseinanderfallenden Gewissheiten und dem Auseinanderbrechen des Vertrauten im Angesicht äußerer Bedrohung. Unter dem Titel "Demokratie stirbt in Finsternis" entpuppt sich der ambitionierte "Polizeiruf" am Ende gar als politischer Apokalypse-Thriller.
Wenn sich ein Grimme-Preis-dotierter Filmemacher an eine langjährige Krimireihe wagt, kann das als Experiment durchaus schiefgehen. Matthias Glasner, der hochgelobte Kinodramen wie "Der freie Wille" inszenierte, kennt das bereits; 2012 schuf er den viel diskutierten letzten Hamburger Cenk-Batu-"Tatort" samt Mordkomplott gegen den Bundeskanzler. Nun, in seinem ersten "Polizeiruf", fährt der Regisseur wieder die großen Themen auf: alternative Politik, Aussteigertum, Apokalypse.
Seinem Lieblingsdarsteller Jürgen Vogel verpasst Glasner dabei die Rolle des grimmigen Aussteigers Lennard Kohlmorgen, der mit seinen beiden Kindern als Selbstversorger auf einem Hof im brandenburgischen Nirgendwo lebt. In einer Handlung, die das Privatleben der Ermittler nah wie selten thematisiert, zieht sich Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) in das Gästezimmer des Hofes zurück. Sie braucht die Ruhe: Nachdem in ihrem Haus eingebrochen wurde und die Täter alles filmten, ist sie psychisch am Ende; sie hat Angst um ihre Tochter.
Das Auseinanderbrechen gewohnter Sicherheiten ist das Hauptmotiv, das sich durch den "Polizeiruf" zieht: Während Olga, von ihrem besorgte Kollegen Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) unterstützt, sich in ihrem Zuhause nicht mehr sicher wähnt, sieht ihr Gastgeber Lennard seinen Selbstversorger-Hof als letzte Bastion gegen den Zusammenbruch der Gesellschaft draußen.
Lennard ist kein naiver Hippie, der nur fischt und Kohl erntet. Er sieht sich als "Prepper", der auf das Ende der Welt vorbereitet sein will; sagt Dinge wie: "Wir haben aus der ganzen Welt ein Einkaufszentrum gemacht. Es war klar, dass das irgendwann in sich zusammenfällt." Noch radikaler gab sich die kürzlich von ihm getrennte Mutter seiner Kinder, Valeska (Patrycia Ziolkowska), die als Politikerin das Dorf revolutionieren wollte: "Die ganze linke Scheiße von vorn, nur diesmal mit grüner Schleife", beschweren sich die ostdeutschen Bewohner.
Valeska hat nur einen kurzen Auftritt, um dann als späte Leiche aufzutauchen. Lennard ist Hauptverdächtiger. Was folgt, ist eine in toll-tristem Grau-in-Grau bebilderte Story, in der sich Olga zwischen Polizeiarbeit und Anziehung zu Lennard hin- und hergerissen sieht; bald sagt auch sie: "Wir arbeiten, um mehr zu kaufen und irgendwann zwischen all den gekauften Sachen tot umzufallen."
Die Ermittlungen führen auch zu Valeskas Verehrer und politischem Genossen Ulysses, der mit seinen Mitstreitern in einem verlassenen Schloss lebt, die Revolution plant und beim Verhör bisweilen sehr klischeehafte Sätze sagt: "Wir reiten sehenden Auges in den Untergang, wir sind immer alle der Mörder"; oder, ganz reichsbürgerhaft: "Ich hab mich niemals deiner Regierung unterworfen." Es ist eine naive aktivistische "Linke", die hier gezeigt wird – sie glaubt, es brauchte vor dem Neuanfang Zerstörung und Chaos.
Dass letzteres dann auch ganz real stattfindet, ist ein unerwarteter Dreh, der den "Polizeiruf" am Ende noch zum veritablen Apokalypse-Thriller macht – und wieder für Diskussionen sorgen wird: Ein landesweiter Stromausfall legt die Gesellschaft lahm, es herrscht Benzin- und Wassermangel, der Notstand wird ausgerufen. Ja, es gibt sogar jugendliche "Mad Max"-Dorf-Banden mit scharfen Waffen, die rufen: "Hier gibt es Krieg, keinen Frieden!"
So düster, apokalpytisch und politisch war ein "Polizeiruf 110" noch nie. Er endet, vielleicht um die geschockten Zuschauer zu beruhigen, mit den Worten: "Wir sind die Polizei. Die Leute fühlen sich sicher, weil wir sie beschützen."