In der reizenden Thüringer Landschaft wird gemordet und entführt: Christian Ulmen und Nora Tschirner müssen sich im zehnten Weimarer "Tatort: Der letzte Schrey" als Ermittler einem mal wieder ziemlich absurden Kidnapping-Drama stellen.
Was können schon die Autoren und Filmschaffenden dafür, dass ihre in Prä-Corona-Zeiten geschaffenen Werke dieser Tage bis ins Detail auf Kompatibilität mit der real existierenden Pandemie-Gesellschaft geprüft werden? Szenen überfüllter Clubs und selbst Begrüßungsküsschen können die Zuschauer auch nach weitgehenden Lockerungen noch immer verstören. So auch der aktuelle Weimarer "Tatort", der ja nun immerhin für seine absurden Handlungen bekannt geworden ist. Doch diesmal, im zehnten Fall und damit anlässlich eines Mini-Jubiläums von Lessing und Dorn (Christian Ulmen und Nora Tschirner), redet Kripo-Chef Stich (Thorsten Merten), kurz vorm Beginn unseres so sonderbaren Sommers, tatsächlich vom Urlaubsflug nach Ibiza. Man stelle sich das vor: in den Urlaub! Mit dem Flugzeug! Nach Ibiza!
Antreten kann er seinen Urlaub, den er groteskerweise mit dem naiven Kollegen Lupo (Arndt Schwering-Sohnrey) verbringen wollte (Dorn: "Lieber würde ich mit deiner Mutter nach Köckern zum FKK") , allerdings keineswegs. Nicht wegen Corona, sondern weil inmitten eines sommerlich blühenden Feldes die Leiche einer Frau gefunden wird. Bereits mit Urlaubsshorts bekleidet, ruft der Chef seine Ermittler Lessing und Dorn herbei, die wiederum ihren "petit prince" in die Hände einer unzuverlässigen französischen Babysitterin gegeben haben und eigentlich ebenfalls einen freien Tag genießen wollten.
Doch nichts da, es muss ermittelt werden. Die Tote entpuppt sich als Marlies Schrey (Nina Petri), Ehefrau des Strickwaren-Unternehmers Gerd Schrey (Jörg Schüttauf). Als "Augenzeugen" des Mordes am helllichten Tag finden die Kommissare albernerweise nur die Wandergruppe des örtlichen Blindenverbandes, die jedoch die An- und Abfahrt der Täter umso besser mitgehört hat: "Es war ein V8-Motor".
Und gewohnt albern bleibt es. Die Mörder, ein ebenso ungleiches wie dümmlich agierendes Duo, sieht der Zuschauer von Anfang an. Das erste Opfer von Freya (Sarah Viktoria Frick) und Zecke (Christopher Vantis): ein Hund, der die selbe Kleidung trägt wie sein später mit dem Hammer erschlagenes Frauchen. Einfallslosigkeit kann man dem Weimarer "Tatort", diesmal aus der Feder von Murmel Clausen und unter Regie von Mira Thiel, sicher nicht vorwerfen. Ein wenig Vorhersehbarkeit jedoch schon: Alles deutet auf eine Entführung hin, bei der die Schrey-Gattin versehentlich getötet wurde. Verschwunden ist nämlich auch Firmenherr Gerd Schrey. Und wie Entführungen nun mal so ablaufen, melden sich die Kidnapper, mit verstellter Stimme und fordern vom verzweifelten Sohn Maik (Julius Nitschkoff) zwei Millionen für die Freilassung seines von ihm eigentlich entfremdeten Vaters.
Eigenartig, schließlich hat das Unternehmer-Ehepaar just über diese Summe eine Versicherungspolice für den Falle einer Entführung abgeschlossen. Diese läuft bald ab, und die Strickwarenfirma steht auch noch vor dem Bankrott. Verdächtig, verdächtig – ist die Kidnapperei am Ende nur inszeniert? Doch auch Sohnemann hat ein Motiv, das bisweilen jedem Slapstickfilm große Ehre erweisende Entführerpaar angestellt zu haben: Seine Stiefmutter Marlies konnte er nämlich nicht leiden. Und dann wäre da noch seine zwielichtige Freundin Doreen (Antonia Münchow), die etwas zu verbergen scheint.
Während die Suche nach den Hinterleuten also von wohlbekannten Krimimotiven (Geld, Hass, Liebe) begleitet wird, überzeugt das Ensemble um Ulmen und Tschirner abermals dank lakonischem Witz und hintersinniger Dialoge. Da will Lessing einmal einen gefundenen Fingernagel an eine Leiche halten – "wie im Film", sagt er -, doch die Kollegen haben das Körperteil nicht dabei. Da verweist Dorn eine alte Dame darauf, doch zum "Fasching in der Scheune" zu kommen, wenn sie Polizisten unbedingt in Uniform sehen wolle. Highlight ist in dieser Episode aber zweifellos Thorsten Mertens Kripo-Leiter, der auf dem Weg zur Geldübergabe im Kleinstflugzeug nicht nur kotzt und vor Angst weint ("Mich bekommt man nicht mehr lebend in ein Flugzeug"), sondern auch Bonmots kredenzt: "Ich bestell mir was beim 'Mykonos', der Chef ist Inder, die können was am Rost".
Für derlei absolut handlungsirrelevante Einsprengsel und überzeichnete Figuren muss man den Weimarer "Tatort" nach zehn Episoden einfach lieben – ebenso wie für die gar lieblichen Thüringer Landschaften voller Wiesen, Felder, Wälder, Fachwerk, Bauernhöfe und Landstraßen, die das Absurde passend kontrastieren (Nora Tschirner als Dorn: "Ulla ist ein Ort, die heißen in Thüringen gerne auch mal Nohra"). Auch wenn sich die Folge mit der runden Zahl bei weitem nicht als die beste des Duos herausstellt: Irgendwie passend, dass die absonderlichen Dorn und Lessing gerade in jenem absonderlichen 50. Jubiläumsjahr der beliebtesten deutschen Krimireihe im Begriff sind, zum – Achtung – "Tatort"-Kult zu werden.
Tatort: Der letzte Schrey – Mo. 01.06. – ARD: 20.15 Uhr