Sonntag am "Tatort"

"Tatort: Schwerelos": Ein ultimativer Kick

30.04.2015, 09.30 Uhr
von Detlef Hartlap
Die Kommissare Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt) stehen vor einem Rätsel.
BILDERGALERIE
Die Kommissare Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt) stehen vor einem Rätsel.  Fotoquelle: WDR/Thomas Kost

Bei der Neu-Orientierung des Tatorts von einzelnen Folgen zu Fortsetzungsgeschichten mit Seriencharakter ist Dortmund am weitesten gediehen. Der neue Fall heißt "Schwerelos" und handelt von Abstürzen.

Fast unmerklich haben sich Tatort-Folgen an mehreren ihrer Schauplätze zur Serie hin entwickelt. Eine Typveränderung am lebendigen Leib. Man knüpft an vorheriges Geschehen an, das ist das Mindeste, oder erzählt regelrecht Fortsetzungsgeschichten. Der Tatort Dortmund ist in dieser Hinsicht am weitesten gediehen.

Fortsetzungsbilderbogen der Bundesrepublik Deutschland

Die neue Folge "Schwerelos" wurde denn auch von dem Mann produziert, den man als Deutschlands Fortsetzungsspezialisten schlechthin bezeichnen darf. Hans W. Geißendörfer, inzwischen 74, experimentierte früh mit Serienformaten, schuf mit "Lobster" 1976 (sechs Folgen) einen Privatdetektiv, der sich an amerikanischen Vorbildern messen sollte (Hauptrolle Heinz Baumann) und mit der "Lindenstraße" jenen Dauerbrenner, der sich an aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen immer wieder selbst entzündet, ein Fortsetzungsbilderbogen der Bundesrepublik Deutschland.

Auch der Tatort fungierte stets als Fortsetzungsbilderbogen, doch eher als ein Mosaik, das sich aus nord-, west- und süddeutschen Teilen zusammensetzt, den Seriencharakter aber nie wirklich gepflegt hat. Wenn etwa am längst vergessenen Tatort Essen ein Kommissar Haferkamp alias Hansjörg Felmy regelmäßig zu seiner geschiedenen Frau (Karin Eickelbaum) zurückfand, dann war das ein wiederkehrendes Motiv, aber keine Serie.

Dortmund war von vornherein anders angelegt. Jörg Hartmann als Kommissar Faber hatte zwei Möglichkeiten: Entweder in der Verzweiflung über den gewaltsamen Verlust von Frau und Tochter in den Wahnsinn zu fallen oder sich langsam aus dem tiefen Loch herauszuarbeiten.

Gelegentliche Sexspiele mit einem Callboy

Anna Schudt als Kommissarin Bönisch tanzt auf einer sehr schmalen Klippe, mit einem kranken und offenbar ungeliebten Mann zu Hause und gelegentlichen Sexspielen mit einem Callboy im Hotel. Es war eine Frage der Zeit, wann da was ins Trudeln geriete. Erst war es der Callboy, der sie zu erpressen versuchte, diesmal sind es die Probleme in der Familie: Ihr Sohn ist verschwunden.

Schließlich das Liebespärchen. Nur in schlechten Serien, in Telenovelas wie "Sex and the City", wiederholen sich die Aufs und Abs in schöner Regelmäßigkeit, in guten Serien darf das Leben selbst einwirken. Aylin Tezel als Jungkommissarin Nora Dalay wurde schwanger. Ihr Partner in Liebe und Beruf, Stefan Konarske als Daniel Kossik gab ihr, als der Befund vorlag, keinen Halt und noch weniger Ermunterung. Das Kind wurde abgetrieben.

Schwelende Entfremdung zwischen Nora und Daniel

Daran setzt "Schwerelos" an. Die schwelende Entfremdung zwischen Nora und Daniel treibt sie zu allerlei unnützen Heldentaten (Fallschirmsprung, Sturz von einer Staumauer in die Talsperre, fast sogar Base Jump vom alten Hochofenturm) und ihn zu illegalen Ermittlungen, deren Erkenntnisse er wie ein Schulbub als Heldentat ausgibt.

Worum geht es? Ein leidenschaftlicher Fallschirmspringer und Base Jumper scheint im Stile Jürgen Möllemanns ungebremst vom Himmel gefallen zu sein. Seltsam nur, dass der Aufprall unmittelbar vor der Notfallstation eines Krankenhauses erfolgte.

Es stellt sich heraus, dass a) sein Fallschirm manipuliert wurde und dass er b) nicht aus einem Flugzeug, sondern von besagtem Hochofenturm gesprungen ist (und erst danach vors Krankenhaus gelegt wurde). Base Jumping, der ultimative Kick. Mitunter auch ultimativ im Sinne von tödlich.

Was hier schwer nach Äktschn klingt, wird von dem talentierten Regisseur Züli Aladag ("Die Fahnderin") jedoch geradezu poetisch in Szene gesetzt, in gedämpftem Gegenlicht und oft wie mit Filtern verfremdet. Die Musik von Karim Sebastian Elias tut ein Übriges, eine Atmosphäre der Unwirklichkeit aufkommen zu lassen, das Gefühl: Das kann doch alles nicht wahr sein, was sich hier abspielt ... Selten ist ein Tatort so sehr von der Musik geprägt worden.

Faber als ruhender Pol

Faber, der verrückte Faber, der sich in Dortmund einführte, indem er seinen Schreibtisch und Schrottautos zerlegte, darf inzwischen als ruhender Pol in diesem Team gesehen werden. Die Kollegin Bönisch ist mit den Nerven fertig, Nora und Daniel fetzen sich im Liebeskrieg, Faber aber gibt sich felsenfest, und ist nur noch an seiner Neigung zu bitter ironischen Kommentaren zu erkennen.

Ob's so bleibt? Unwahrscheinlich. Die alten Wunden schwären; gänzlich geheilt werden sie allenfalls durch eine neue Liebe. Dass er sie womöglich auf dem eigenen Revier finden wird, lässt sich ahnen, obschon eine solche Lösung ein wenig billig wäre für das fein ausgebreitete Flechtwerk der Dortmunder Verhältnisse.

Natürlich löst Faber den Fall. Weil er genau hinguckt, genau hinhört, weil er sich in andere Personen, auch Kinder, hineinversetzen kann. Dass die Lösung niemandem gefällt, ihm nicht, Frau Bönisch nicht, ist eine andere Geschichte, die ihrerseits nach Fortsetzung ruft.

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