05.09.2022 Schauspieler und Regisseur

Til Schweiger: " Ich war früher ein Bücherwurm"

Von Sarah Schneidereit
Til Schweiger in "Lieber Kurt".
Til Schweiger in "Lieber Kurt". Fotoquelle: Gordon Timpen,SMPSP

Til Schweiger spielt in der Romanverfilmung von Sarah Kuttners Bestseller "Lieber Kurt" den Familienvater Kurt, der den Tod seines gleichnamigen Sohnes verarbeiten muss. prisma hat mit dem Schauspieler und Regisseur gesprochen.

Du warst von der Buchvorlage direkt begeistert. Was hat dich so gefesselt?

Es war das erste Buch, das ich seit acht Jahren gelesen hatte. Ich war früher ein Bücherwurm und habe ganz viel gelesen. Aber als ich angefangen habe, Filme zu machen, habe ich eigentlich nur noch Drehbücher gelesen. Dass ich "Lieber Kurt" gelesen habe, war ein Zufall. Das Buch hat mir eine Freundin, die mich zum Flughafen gefahren hat, in die Hand gedrückt und gesagt "Lies das Buch, ist ein ganz tolles Buch". Eigentlich war ich verabredet mit Freunden aus London, die haben aber abgesagt, und ich saß gelangweilt allein am Pool herum. Und dann habe ich in einem Rutsch das Buch durchgelesen. Dass es mich so gepackt hat, liegt wohl mit an der Urangst, die man als vierfacher Vater immer hat und die auch nicht mit der Zeit weggeht: das eigene Kind zu verlieren.

Daraufhin hast du direkt die Filmrechte haben wollen?

Ich habe nach dem Lesen mein Büro angerufen und gesagt, die sollen mal schauen, ob die Rechte noch da sind. Ich bin nicht davon ausgegangen, denn es war da schon ein Bestseller, und normalerweise gibt es viel zu viele Produzenten, die nichts anderes zu tun haben, als sich irgendwelche Filmrechte zu sichern. Die haben noch nicht einmal eine Idee im Kopf, wie sie den Stoff umsetzen wollen… Und es war eben so, dass zwar einige Produzenten bereits dran waren, aber Sarah (Kuttner) meinte "Wenn der Til den Film wirklich machen möchte, dann soll er den machen." Und dann habe ich ihn gemacht.

Ist es schwierig, einen Film zu machen, wenn man von dem Buch schon so begeistert ist?

Ich hatte ja eine ganz tolle Ko-Autorin, Vanessa Walder, mit der ich schon an mehreren Büchern gearbeitet habe. Sie hat eine ganz tolle erste Fassung geschrieben, die sehr nah am Buch war. Ich habe dann aber zu Sarah gesagt, dass wir das anders machen müssen im Film. Das ist auch der Hauptunterschied zum Buch: Im Buch stirbt der Junge auf der Seite 70 oder 80, und der Rest sind nur noch Gedanken der Freundin von Kurt, die aber nicht die leibliche Mutter ist. Gedanken kann man aber nicht verfilmen, deshalb müssen wir das etwas anders erzählen. Deshalb habe ich die ganzen Rückblenden erfunden, denn der Junge muss weiterleben. Er kann nicht in Filmminute 20 sterben und danach geht’s nur noch um Gedanken. Ich war sehr nervös, ob Sarah das auch so sehen würde. Denn anders hätte ich den Film nicht machen wollen. Aber zum Glück war sie einverstanden und meinte, dass sie die Idee dahinter total verstehen und gut finden würde.

Was hat Sarah Kuttner zum fertigen Film gesagt?

Sie war schon vorher mal am Set, und ich habe ihr eine Stunde Schnitt gezeigt. Als das Licht wieder anging meinte sie: "Ich habe mir geschworen, ich würde nie bei einem Film weinen, aber du hast es geschafft." Nachdem sie den ganzen Film geschaut hatte, sagte sie mir, dass ich stolz auf mein Baby sein könne. Sie habe mehrfach geweint, aber auch gelacht.

Insgesamt ist es ein sehr emotionaler und auch trauriger Film. Wie schafft man es, den Zuschauer dennoch mit einem positiven Gefühl aus dem Kino zu entlassen?

Einer der Tricks, und wir haben lange darüber diskutiert, ist das Ende vom Film. In der letzten Szene sehen wir, wie Kurt und Lena sich kennenlernen. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob wir das so machen sollen, denn man könnte uns vorwerfen, dass wir mit dem Ende den Film verkleistern wollen. Aber ich habe mich entschieden, die Szene drin zu lassen. Die Rückblicke sind witzige und berührende Szenen. Ich habe Leute in meinem Freundeskreis, die diese Erfahrung gemacht und geliebte Menschen verloren haben. Und die sagen auch, dass man sich freuen soll und darf, dass man die Momente überhaupt gemeinsam erleben durfte. Man ist unendlich traurig bis ans Lebensende, dass der Partner oder das Kind nicht mehr da ist, aber immerhin hatte man die gemeinsame Zeit.

Wie versetzt man sich am Set in die richtige Stimmung?

Das ist die Kunst des Schauspielens, jeder hat da so seine eigene Strategie. In den USA hast du die ganzen Schauspieler mit ihrem Method Acting, die sich nur mit dem Namen der Rolle ansprechen lassen und den ganzen Tag mit trauriger Musik im Ohr herumlaufen, um eine Szene zu spielen. Sie reden auch nicht mit jemandem, der ihren Gegner im Film spielt. Ich habe mit großartigen Kollegen wie John Hurt oder Emma Thompson gedreht und die albern rum, bis die Klappe kommt, und dann sind sie in der Figur. Bei mir ist das auch so. Kurz bevor ich mit einer traurigen Szene dran bin, sage ich "Leute, ich brauche jetzt ein paar Minuten, um mich da reinzufühlen", aber dann war es das auch. Hinter und vor der Kamera wird viel geweint. Aber wenn man weiß, dass die Szene gut war, wird auch wieder gelacht.

Als du das Buch gelesen hast, hattest du da direkt die Besetzung im Kopf?

Ich wusste sofort, dass ich den Kurt spiele und dass ich mir wünsche, Jasmin Gerat als leibliche Mutter dabei zu haben. Aber wer jetzt die Lena spielt oder meinen Vater… Obwohl da muss ich sagen, Peter Simonischeck fand ich in "Toni Erdmann" so toll – vorher hatte ich den gar nicht auf der Uhr. Franziska Machens war ein Vorschlag von Jasmin Gerat, sie sind in derselben Agentur. Ich habe sie gecastet und wusste, dass es sie oder keine andere wird.

Und der kleine Kurt? Kinder sind ja noch einmal eine ganz andere Herausforderung…

Ich hatte bestimmt schon 50 Kinder gecastet und noch 50 to go… Da kam mittendrin der kleine Kurt Levi Wolter, und ich war direkt begeistert. Er ist einfach eine Sensation auf zwei Beinen, er ist so auf die Welt gekommen. Ich weiß noch, als ich den ersten Film mit Leonardo DiCaprio gesehen habe, da war er 15, und ich war mit einer Freundin im Kino und wusste nicht, dass ich selbst mal Schauspieler werden würde. Aber mir war klar, dass Leo eine Riesen Karriere hinlegen würde. Und Levi Wolter ist genauso eine Sensation.

Was ist für dich die Kernaussage des Films?

Ich möchte in erster Linie die Leute mit meinen Filmen unterhalten. Die Welt ist nicht rosarot. Ich möchte die Leute zum Nachdenken bringen, zum Reflektieren. Freunde, die die Situation aus dem Film selbst erlebt haben, haben mir gesagt, dass das ein toller Film sei. Sie fühlen sich verstanden.

  • "Lieber Kurt" ab dem 15. September im Kino

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