25.04.2022 Blick in die Zukunft

Folge 14: Gesunder Menschenverstand – gibt es den überhaupt?

Von Professor Dr. Thomas Druyen
Professor Dr. Thomas Druyen (rechts) und prisma-Chefredakteur Stephan Braun.
Professor Dr. Thomas Druyen (rechts) und prisma-Chefredakteur Stephan Braun. Fotoquelle:  Alois Müller

In "Blick in die Zukunft" antwortet Professor Dr. Thomas Druyen auf Fragen von prisma-Chefredakteur Stephan Braun. Folge 14: Gesunder Menschenverstand – gibt es den überhaupt? 

Seit der Antike wird über den Begriff heftig gestritten. Die gegenwärtige Debatte ist noch unversöhnlicher, denn alles wird heutzutage wie Parmesan zerrieben. Der Impuls eines gesunden Menschenverstandes jedenfalls wäre für uns alle – gerade wegen der allgemeinen Unversöhnlichkeiten– ein Segen. Formell wird er als Gemeinsinn, als Hausverstand oder als Urteilsvermögen gekennzeichnet. Aber auch Bezeichnungen wie Realitätssinn, Bauchgefühl, Normalverstand oder Alltagsweisheit sind Bestandteile. Offensichtlich ist mit ihm eine positive und Orientierung bietende Haltung verbunden. Und mit dem Adjektiv "gesund" wird eindeutig ein körperliches und geistiges Wohlbefinden als Ziel definiert.

Wir ahnen jetzt, was er sein könnte. Aber was ist er nicht? Er ist keine verbindliche ethische oder moralische Kategorie. Ebenso ist er keine Quelle gesicherten Wissens und einwandfreier Urteile. Er kann missbraucht und krankmachend eingesetzt werden. Da gibt es so viele widersprüchliche Aspekte. Suchen wir ihn lieber im praktischen Einsatz. Wir finden ihn unentwegt im Straßenverkehr. Millionen Menschen fahren ohne nachzudenken und passen sich den gegebenen Verhältnissen an. Die gegenseitige Abhängigkeit wird fast überall akzeptiert und der gesunde Selbstschutz erzeugt sogar die Qualität der Rücksichtnahme. Wenn dennoch gehupt, zu nah aufgefahren oder rechts überholt wird, erweckt man den Zorn aller anderen.

Natürlich bilden die Verkehrsregeln das entscheidende Fundament. Aber die vertraglose Übereinkunft unzähliger Verkehrsteilnehmer wäre ohne den Einsatz eines gesunden Menschenverstandes undenkbar. Offensichtlich bietet er ein Mindestmaß an gegenseitiger Verständigung und persönlicher Orientierung. Das allein ist in Zeiten komplizierter Veränderungen schon ein Hoffnungsanker, an dem wir alle mitwirken können. Vorsicht und Rücksicht bringen uns weiter.

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