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"Toni Erdmann": Klug, witzig und absolut sehenswert

von Jan Treber

"Toni Erdmann" ist überall: Die deutsche Regisseurin Maren Ade zeigt in ihrer exzellenten Tragikomödie, wo es heute zwischen den Generationen knirscht. Dabei wirft sie einen kritischen Blick auf die moderne Arbeitswelt und den exportierten Kapitalismus. Und weil Worte in Konflikten manchmal nicht mehr weiterhelfen, schlüpft der Vater hier als Toni Erdmann in eine neue (absurde) Rolle, um sich wieder seiner ihm emotional abhandengekommenen Tochter annähern zu können. ARTE wiederholt die kluge, witzige und absolut sehenswerte Geschichte nun zur Primetime.

ARTE
Toni Erdmann
Drama • 29.07.2020 • 20:15 Uhr

Im Grunde erzählt "Toni Erdmann" eine Vater-Tochter-Story: Es steht nicht gut um die Beziehung von Ines (Sandra Hüller) und ihrem Vater Winfrid (Peter Simonischek). Er, ein einsamer Alt-68er-Musiklehrer, der stets zum Scherzen aufgelegt ist und damit an die Schmerzgrenzen von anderen geht. Sie, eine rationale, kühle Frau, die sich als Unternehmensberaterin in einer Männerdomäne behauptet. Das Aufeinanderprallen von Lebenswelten und auch Generationen lässt das große Drama ahnen, und doch kommt man hier aus dem Lachen gar nicht heraus.

Über den deutschen Humor heißt es bisweilen, dass es ihn gar nicht gebe. Nicht dass Regisseurin Maren Ade ("Alle anderen") jetzt aufgebrochen wäre, eine Lanze für die heimatliche Komödie zu brechen. Ihr Witz bewegt sich weit entfernt vom Schenkelklopfer, vom Ausschlachten des Klischees für einen Lacher. Bei Maren Ade gehört das Scherzen zu Winfrieds Persönlichkeit; es ist seine Art, dem Leben, von dem er nichts zu wollen scheine – so ein Vorwurf der Tochter – zu begegnen. Sie dagegen pariert fast emotionslos, aber bestechend klug auf das, was er an sie heranträgt.

Eine emotional durchoptimierte Welt

Offene oder versteckte Aggressionen, Sehnsüchte und festgeschriebene Rollen in der Familie. Maren Ade beobachtet sehr genau die Mechanismen, die zu einer Sprachlosigkeit zwischen den beiden geführt haben. Ihr Film handelt von einer Eltern-Kind-Beziehung. Dazu gehört auch das Fremdschämen für einen Verwandten, der plötzlich verkleidet mit zotteliger Langhaar-Perücke und riesigen falschen Zähnen als Toni Erdmann in ihrem schicken Unternehmensberater-Umfeld in Bukarest mitmischt. Er taucht in den unmöglichsten Situationen auf und setzt Dinge in Gang, die seine Tochter nie für möglich gehalten hätte.

Klingt absurd? Auf dem Papier war sich Maren Ade zunächst auch nicht sicher, ob die Kunstfigur funktionieren würde. Doch es klappt perfekt – dank Peter Simonischek, der als lächerlicher Toni Erdmann auf skurrile Weise Erfolg hat. Dazu begeistert Sandra Hüller als Businessfrau, die große Freude an der eigenen Macht und Dominanz hat, aber trotzdem keine Feministin sein will. Mit "Toni Erdmann" zeigt die deutsche Regisseurin Ade, dass sich auch bei einem Film mit einer Länge von über zweieinhalb Stunden jede Minute lohnen kann. Sie findet die richtige Balance aus vielsagendem Schweigen sowie bestens pointierten Gags und erzählt damit lustig und bewegend von aktuellen Generationskonflikten in einer – auch emotional – durchoptimierten Welt.

Auch bei den Filmpreisjurys kam "Toni Erdmann" gut an. Das Drama, das 2016 in Cannes erstmals gezeigt wurde, gewann unter anderem den Europäischen Filmpreis, den Bayerischen Filmpreis und den New York Film Critics Circle Award für den besten fremdsprachigen Film. Darüber hinaus wurde Maren Ades Film bei den Oscars 2017 als "Bester fremdsprachiger Film" nominiert, zog aber gegenüber dem Sieger "The Salesman (Forushande)" aus dem Iran den Kürzeren.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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