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"Das Ende der Geduld": Wie viel Härte ist richtig?

15.06.2022, 08.14 Uhr
von Eric Leimann

Kirsten Heisig wurde als "Richterin Gnadenlos" verspottet, weil sie für ihre harten Strafen gegen Jugendliche bekannt war. In dem differenzierten ARD-Drama "Das Ende der Geduld" wird sie von Martina Gedeck verkörpert.

ARD
Das Ende der Geduld
Drama • 15.06.2022 • 20:15 Uhr

Im Sommer 2010 verstarb plötzlich und unerwartet Kirsten Heisig, die sich als Jugendrichterin in Berlin einen Namen gemacht hatte. Ihr Aufsehen erregender Ansatz, Juristerei mit Pädagogik zu verbinden und den jungen Tätern durch zeitnahe Verhandlungen und Urteile ein direktes "Feedback" auf ihre Taten zu geben, verstand nicht jeder. Als "Richterin Gnadenlos" wurde sie verspottet, auch weil sie für härtere Strafen eintrat. Kurz nach dem wahrscheinlichen Selbstmord Heisigs erschien ihr Buch "Das Ende der Geduld". Mit einer bärenstarken Martina Gedeck produzierte der Bayerische Rundfunk 2014 einen der wohl bis heute differenziertesten, aber auch polarisierendsten Film, die zum Thema Getto, Jugendgewalt und gescheiterte Integration in Deutschland entstanden sind.

Corinna Kleist (Martina Gedeck), wie die kaum veränderte Figur Kisten Heisigs im Film wohl aus rechtlichen Gründen heißt, ist bei aller Härte ihrer juristischen Überzeugungen eine sensible Frau. Wegen des Selbstmordes eines Mädchens, das nach einem Urteil gegen sie aus dem Fenster des Gerichtsflures sprang, musste die Richterin längere Zeit pausieren. Ihr Engagement an einem Berliner Jugendgericht, das viele "Brennpunkt"-Taten zu verhandeln hat, schmeckt ohnehin nicht jedem. Bei ihrem liberalen Kollegen Herbert Wachoviak (Jörg Hartmann) stoßen die "Zero Tolerance"-Urteile der Richterin bei gleichzeitigem Engagement für die Täter auf Unverständnis.

Die Darsteller wurden "auf der Straße" gecastet

Kleist besucht regelmäßig die Polizei und arbeitet mit den Beamten zusammen. "So etwas gab es hier noch nie", sagt einer von ihnen im Film verblüfft. Die Richterin überzeugt eine Lehrerin, sich von ihren gewaltbereiten Schülern nicht den Schneid abkaufen zu lassen. Und sie hält Reden vor türkischen und arabischen Müttern, in denen sie für Integration wirbt – mit zum Teil politisch ziemlich unkorrekten Worten.

Corinna Kleist alias Kisten Heisig schaffte es, mit ihren unkonventionellen Methoden die Diskussion um Jugendgewalt und gescheiterte Integration in Deutschland aufzumischen. Heisigs Buch "Das Ende der Geduld" stand nach seinem Erscheinen 2010 lange in den Bestsellerlisten. Der Verfilmung von Christian Wagner nach einem exzellenten Drehbuch von Stefan Dähnert ("Tatort: Die Pfalz von oben") gelang etwas, das in der deutschen Fiction absoluten Seltenheitswert genießt. Mithilfe von auf der Straße gecasteten Laiendarstellern schafft es das ARD-Drama, die Gettorealität, ihre Härte und deren Regeln ebenso komplex wie authentisch ins bürgerliche Wohnzimmer zu transportieren.

Diesbezüglich erinnert er an den vielfach preisgekrönten Film "Wut" von Züli Aladag aus dem Jahr 2006. Wo dort die Bürgerlichkeit jedoch kammerspielartig vor der Gewalt des Gettos kapitulierte, wird sie in "Das Ende der Geduld" größer verhandelt, da unser gesamtes System – Gesetz, Polizei, Politik – auf den Prüfstand gestellt wird. Dass der Film bei dieser Herkulesaufgabe immer differenziert und kontrovers bleibt, dabei auch noch ungeheuer viel Insider-Wissen vermittelt, ist eine weitere Stärke. Auch einen letzten Fallstrick haben die Macher vermieden. Obwohl die tragische Geschichte der Kirsten Heisig sich für ein großes persönliches Drama geradezu aufdrängt, bleiben die psychischen Untiefen der Protagonistin, bleiben ihre eigenen Leiden dezent im Hintergrund.

Das Ende der Geduld – Mi. 15.06. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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