Uefa Euro 2016 in Frankreich

EM 2016: Wishful Thinking und andere Reporter-Sünden

17.06.2016, 13.36 Uhr
Das Kommentatoren-Team des ZDF bei der EM in Frankreich: Béla Réthy, Martin Schneider, Oliver Schmidt und Claudia Neumann.
BILDERGALERIE
Das Kommentatoren-Team des ZDF bei der EM in Frankreich: Béla Réthy, Martin Schneider, Oliver Schmidt und Claudia Neumann.  Fotoquelle: ZDF/Svea Pietschmann

Drei Spiele, drei ZDF-Reporter im Vergleich: Das ewige Dilemma zwischen profunder Kenntnis und nationaler Gefühlsbedienung.

Von Detlef Hartlap

Donnerstag war ZDF-Tag bei der EM. Solche Tage kommen jetzt häufiger vor, aber der Donnerstag hatte nach Papierform alle Zutaten eines großen Events. Nachmittags trat das kleine tapfere Wales gegen England an, abends spielte Deutschland gegen Polen.

Leckerbissen für die Reporter. Scherze, Schwanks und schöne Szenen. Sollte man meinen.

Als Bestes von zwei Spielen erwies sich das dritte. Nordirland gegen die Ukraine bot

a) den für diese Europameisterschaft typischen und sehr willkommenen Reiz, dass eine fußballerisch minderbemittelte Mannschaft (in diesem Fall Nordirland) gegen ein technisch versiertes und potenziell starkes Team (wie die Ukraine) den Spieß umkehrt und den Sieg davonträgt, und es war

b) auch eine feine Reporterleistung.

Martin Schneider kommentierte sachkundig, gut informiert, sagte kein Wort zu viel, nicht mal als er sich und seinem Publikum während eines spielunterbrechenden Hagelschauers mit einigen Anekdötchen von ähnlichen Vorfällen in früheren Jahren die Zeit vertreiben musste.

Dass er "der Russe" sagte, als ein Ukrainer gegen den Ball trat, nun ja, kann passieren. Das ist der Ostblock in unseren Köpfen ...

Oliver Schmidt mit ordentlicher Leistung

Auch Oliver Schmidt machte seine Sache beim Top- und Gefahrenspiel Deutschland-Polen durchaus ordentlich, war fachlich meistens auf der Höhe und wäre es vermutlich jederzeit gewesen, wenn er sich nicht freiwillig in jenes Dilemma begeben hätte, in das sich ein Reporter nicht begeben darf, dass aber der Fußballübertragung neudeutscher Prägung seit Jahren innewohnt.

Erstens soll fachlich und weitgehend emotionsfrei begleitet werden, was sich auf dem Rasen, im Zentrum der Leidenschaften, abspielt. Zweitens will und muss (?) er dem nationalen Feuereifer der Daheimgebliebenen vor den Bildschirmen ein klein wenig Zunder geben. Das führte im Fall Schmidt dazu, dass er Gelbe Karten für taktische Fouls deutscher Spieler für grundsätzlich fragwürdig hielt und dem niederländischen Schiedsrichter Björn Kuipers "die klare Linie" beziehungsweise "den roten Faden" absprach. 

Die Gelben Karten, lieber Oliver Schmidt, waren alle drei berechtigt. Der souveräne Kuipers hätte sich einer Unterlassung schuldig gemacht, wenn er sie nicht gegeben hätte.

Zweitens gehört zur fachlichen Ausrichtung eine neutrale Würdigung der Spielerleistungen, die sich auch an den vorliegenden Fakten und Daten orientieren darf, jedenfalls eher als an der persönlichen Sympathie des Sprechers. Das umso mehr als im Fußball längst US-amerikanische Football-Usancen Einzug gehalten haben und jede Ballberührung, jedes Trikotzupfen, jede Heldengrätsche penibel nachgehalten wird.

Vielleicht wäre Schmidt unter Zuhilfenahme solcher Zahlen zu einem anderen Ergebnis gekommen als bei seiner Bewertung von Thomas Müller, den er offenkundig sehr, sehr schätzt, oder von Mesut Özil, mit dessen Spielweise Schmidt genauso wenig konform geht wie die Mehrheit des deutschen Fernsehpublikums.

Wishful Thinking mit Béla Réthy

Der sprachliche und folkloristische Höhepunkt des Tages aber hätte Wales gegen England sein können, ein Spiel, das reportermäßig leider Béla Réthy anheimfiel. Wir wollen hier nicht noch ein weiteres Geschmacksurteil abgeben, das haben wir bei anderer Gelegenheit schon getan, und überdies ist das Internet voll von Réthy-Bashing, deshalb nur kurz und sachlich:

  • just als Réthy, was er gern tut, den Stab über einen der großen Stars dieses Turniers brach, den Waliser Gareth Bale, und seine Leistung als "unterirdisch" tadelte, schoss Bale mit einem wunderbaren Freistoß das 1:0 für Wales.

Der englische Torwart mag dabei ein wenig unglücklich ausgesehen haben, die englische Mauer mag schlecht postiert und sogar überflüssig gewesen sein, das Gesamtpaket Bale jagte dem Gegner jedenfalls so viel Respekt ein, dass es für ein diebisch-schönes Tor reichte.

  • Als die Engländer sich in der zweiten Halbzeit dazu aufrafften, Fußball zu spielen und sich mit Geduld und Spucke in die walisische Abwehr hineinzukombinieren begannen, fand Réthy, dass sich leider immer noch nichts geändert habe im, wörtlich, "einfallslosen, stupiden" Spiel des Favoriten, der dann leider (aus Réthys Sicht) gewann.

Klingt komisch, ist aber so: Der Fußball bestraft solchen Unsinn. Wishful Thinking ist eine Sünde im Reporterberuf.

Ein letzter Réthy noch:

  • Im Match der Isländer (auch sie fußballerisch minderbemittelt) gegen die Portugiesen, deren balltechnische Beschlagenheit man nur bewundern kann, sah der ZDF-Reporter den Zusammenbruch Islands bereits nach der Pause kommen. Zu dumm, dass er ihn unmittelbar vor dem Ausgleichstreffer der Isländer laut äußerte; zu dumm, dass die bartzotteligen Typen aus dem Norden auch im Folgenden nicht den Eindruck machten, sie bekämen weiche Knie.

In beiden Spielen, dem Briten-Derby wie bei Island-Portugal, lagen jede Menge schöner Formulierungen in der Luft, geradezu poetische bei den Isländern, eher humoristische oder gern auch musikalische bei Walisern und Engländern, die beiderseits in einem fort wunderschön sangen, was erwähnt, aber nicht näher vorgestellt wurde.

Stattdessen Floskeln wie: "Sie spielen ein lupenreines 4-3-2-1."

Genau das wollten wir wissen.

Jetzt abstimmen: Wer macht als Kommentator der Uefa Euro 2016 den besten Eindruck?

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