11.10.2016 Interview

"Laktoseintoleranz hat genetische Ursachen"

Experte im Interview: Prof. Torsten Zuberbier ist Leiter der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF).
Experte im Interview: Prof. Torsten Zuberbier ist Leiter der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF). Fotoquelle: privat

Ein Experte für Allergien erklärt, was hinter der Unverträglichkeit von Lebensmitteln steckt.

Vor 20 Jahren hat kaum jemand von Laktoseintoleranz oder Glutenunverträglichkeit gesprochen. Mittlerweile scheint fast jeder bestimmte Lebensmittel nicht zu vertragen. Doch was ist der Unterschied zu einer Allergie? Und warum kann der menschliche Körper eigentlich manchmal keine Milch verarbeiten?

Fragen, auf die Prof. Dr. Torsten Zuberbier, Vorsitzender der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF) mit Sitz an der Berliner Charité, Antworten hat. Im Interview erklärt er außerdem, warum Selbsttests aus dem Internet keine gute Idee sind.

Herr Professor Zuberbier, sind Lebensmittelunverträglichkeiten Einbildung oder ein ernst zu nehmendes Problem?

Man muss unterscheiden: Die Laktoseintoleranz hat genetische Ursachen. Nur in Regionen, in denen sich vor Jahrtausenden die Viehzucht entwickelt hat, haben die Menschen die Fähigkeit entwickelt, Milch zu verdauen. Im Zuge der Globalisierung finden natürlich auch immer mehr Menschen zueinander, die im Laufe der Evolution keine Viehzüchter waren und daher die Laktose eigentlich nie spalten konnten. Dementsprechend ist es logisch, dass die Fälle von Laktoseintoleranz steigen. Bei einer Glutenunverträglichkeit sieht es anders aus. Zum einen gibt es die echte Glutenunverträglichkeit mit einer spezifischen Magen-Darm-Erkrankung. Darüber hinaus meinen aber viele Menschen, Weizen nicht gut zu vertragen. Um festzustellen, wo die Grenzen verlaufen, bräuchte es verlässliche Statistiken.

Warum gibt es kaum Studien zu diesem Bereich?

Wir haben das Problem, dass allergische Erkrankungen leider immer noch hinter anderen medizinischen Gebieten in der Gesellschaft zurückstehen. Sie werden oft bagatellisiert. Die "Ach, ist nicht so schlimm!"-Haltung überträgt sich meist sogar auf die Betroffenen. Deshalb gehen viele zu spät oder gar nicht zum Arzt.

Wie unterscheiden sich Allergie und Unverträglichkeit voneinander?

Wenn jemand etwas isst und kurze Zeit später Quaddeln oder Ausschläge am Körper feststellt oder unter Übelkeit, Erbrechen sowie Atemnot leidet, dann ist eine Allergie wahrscheinlich. Treten Blähungen oder Durchfall auf, beispielsweise nach einer größeren Menge Milch, dann liegt meist eine Unverträglichkeit vor.

Welcher Arzt sollte aufgesucht werden?

Je nach Beschwerden sollte ein Hautarzt (Ausschlag am Körper) oder ein Spezialist für Innere Medizin, ein Internist (Erbrechen, Durchfall), um Rat gefragt werden. Von Testsets aus dem Internet, mit denen man angeblich selbst seine Intoleranzen testen kann, rate ich hingegen ab. Die verunsichern meistens mehr, als dass sie wirklich helfen.

Verstärkt die industrielle Verarbeitung beispielsweise von Milch Intoleranzen? Sind Bio-Produkte verträglicher?

Das macht an sich keinen Unterschied. Ein Allergen wirkt sich immer schädlich auf den Allergiker aus – egal, ob die Milch im Supermarkt oder "direkt vom Hof" gekauft wurde. Der Nachteil bei einer industriellen Verarbeitung kann natürlich sein, dass man nicht weiß, welche Stoffe eventuell noch zusätzlich enthalten sind.

Welche Folgen drohen Nahrungsmittelallergikern?

Im Extremfall kann eine Nahrungsmittelallergie sogar tödlich sein. Daher ist es wichtig, bereits in den Schulen Aufklärung zu betreiben. Ein erster Schritt wäre es, in den schulärztlichen Untersuchungen auf diesen Aspekt mehr einzugehen. In Kanada werden in den Schulen antiallergische Medikamente bereitgehalten, die von Lehrern auch verabreicht werden dürfen. Rücksichtnahme zeigt sich dort auch in Kantinen und beim Schulessen. Bei uns fehlt weitgehend noch das nötige Bewusstsein für dieses Thema.

Wie ist es bei den Lebensmittelunverträglichkeiten?

Die Folgen sind in der Regel nicht lebensbedrohlich. Dennoch wäre es falsch, das Thema auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn letztendlich bedeutet es eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität und Leistungsfähigkeit, wenn ich beispielsweise konstant unter Magenschmerzen leide. Zudem drohen Folgeerkrankungen.

Welche Therapien gibt es für Nahrungsmittelallergiker?

Das Entscheidende ist die Meidung der Allergene. Für bestimmte Allergene gibt es auch die Möglichkeit einer Gewöhnungstherapie. Bei Kreuzallergien hilft es zudem häufig, wenn eine sogenannte Hyposensibilisierung auf Pollen durchgeführt wird. Die verwandte Lebensmittelallergie bessert sich dann mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn etwa die Birkenpollen besser vertragen werden. Gute Beratung von Ernährungsfachkräften ist ebenfalls ein wichtiger Baustein: Was kann ich tun, um einen akzeptablen Ersatz für einen Stoff zu haben? Es geht eben nicht immer nur darum, etwas "wegzunehmen", sondern auch gute und gesunde Alternativen zu haben.

Was sind "Kreuzallergien"?

Kreuzallergien spielen eine große Rolle. Viele Nahrungsmittelallergien sind mit ihrem Pendant zu Pollen verwandt. Diese sind chemisch ähnlich. Jemand, der an einer Pollenallergie leidet, hat häufig auch Probleme mit Kern- und Steinobst, zumindest, wenn es ungekocht ist. Allergien gegen Muscheln gehen oft einher mit Reaktionen auf Hausstaubmilben. Häufiger ist allerdings, dass Allergien solitär, also nicht in Kombination auftreten. Darüber hinaus gibt es viele Intoleranzen als "blinde Passagiere".

Was raten Sie Menschen, die zwar Beschwerden haben, aber keine nachgewiesene Allergie?

Lohnenswert ist neben dem Arztbesuch, sich von einer Ernährungsfachkraft beraten zu lassen. Unsere Nahrung ist hochkomplex, viele Stoffe kommen in bestimmten Lebensmitteln unvermutet vor. Das gilt vor allem für zusammengesetzte Nahrungsmittel. Selbst wenn Sie nur zum Bäcker gehen, arbeitet der mit Backmischungen und Zusatzstoffen. Adressen zum Thema finden Betroffene beispielsweise auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI).

Gibt es Erkenntnisse darüber, wie Nahrungsmittelallergien entstehen?

Entweder durch eine Kreuzreaktion mit Pollen oder als direkte Allergie auf ein Nahrungsmittel. Besonders gefährdet sind Erwachsene, die Antacida nehmen, also Substanzen, die die Magensäure blocken. Dadurch werden Eiweiße nicht so sorgfältig im Magen verdaut und kommen als vollständige Allergene mit dem ganzen Organismus in Berührung. Ein ganz wesentlicher Faktor bei der Entstehung.

Kann man Lebensmittelallergien und Intoleranzen vorbeugen?

Allergien kann man vorbeugen, wenn es um den Nachwuchs geht. Ganz wichtig: Während der Schwangerschaft nicht rauchen. Nach der viermonatigen Stillphase sollte man zudem mit Beikost beginnen, damit sich das Kind an die Nahrungsmittel gewöhnt.

In vielen Drogeriemärkten gibt es mittlerweile Laktase-Tabletten ohne Rezept. Einfach einnehmen und die Probleme mit Milchprodukten sind erledigt?

Laktase-Tabletten können eine Option sein. Die Laktoseintoleranz kommt daher, dass ein Enzym zur Milchverdauung im Darm fehlt. Wenn man dieses künstlich zuführen kann, ist das eine gute Hilfestellung für den Menschen. Anders als bei der Milchallergie ist das glücklicherweise nicht gefährlich, und man kann das alleine ausprobieren. Bei der richtigen Allergie können schon kleinste Mengen ernste Folgen haben, da sollte unbedingt direkt ein Arzt aufgesucht werden. Eine Behandlung sollte auch nur mit ärztlicher Hilfe erfolgen.

Gibt es Kennzeichnungspflichten für bestimmte Allergieauslöser auf Lebensmittelpackungen?

Ja, es gibt eine Kennzeichnungspflicht für die häufigsten Allergene auf europäischer Ebene. Der Knackpunkt ist die Umsetzung in den Ländern. Was fehlt, ist eine klare Regelung für die Kennzeichnung allergener Spuren in Lebensmitteln. Die Schweiz hat beispielsweise konkrete Grenzwerte. Für Deutschland wäre das wünschenswert. Damit Betroffene im Supermarkt wissen, ob sie zugreifen können oder nicht.

Das Interview führte Tobias Schenk.

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