26.02.2024 Arzt-Kolumne

Warum Gendermedizin so wichtig ist

Von Professor Dr. med. Burkhard Sievers
Professor Dr. med. Burkhard Sievers ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Angiologie, Zusatzbezeichnungen: Hypertensiologie, Notfallmedizin, kardiovaskuläre Magnetresonanztomografie, kardiovaskuläre Computertomografie, interventionelle Kardiologie und Angiologie, Herzinsuffizienz, Lipidologie, Gendermediziner DGesGM® am Sana Klinikum Remscheid, Inhaber der Praxis Cardiomed24 in Meerbusch und Buchautor.
Professor Dr. med. Burkhard Sievers ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Angiologie, Zusatzbezeichnungen: Hypertensiologie, Notfallmedizin, kardiovaskuläre Magnetresonanztomografie, kardiovaskuläre Computertomografie, interventionelle Kardiologie und Angiologie, Herzinsuffizienz, Lipidologie, Gendermediziner DGesGM® am Sana Klinikum Remscheid, Inhaber der Praxis Cardiomed24 in Meerbusch und Buchautor. Fotoquelle: Anke Dörschlein

„Ich hätte nie gedacht, dass das bei mir ein Herzinfarkt auf unserer Kreuzfahrt war. Meine Beschwerden äußerten sich ganz anders als alles, was ich bisher über Herzinfarktsymptome kannte. Ich hatte ein Druckgefühl im Oberbauch, Übelkeit, Luftnot und einen schnellen Puls. Naja, ich dachte in dem Moment, ich hätte etwas Falsches gegessen“, berichtete mir kürzlich bei der Nachbesprechung eine 65-jährige Patientin, bei der wir eine Herzkatheteruntersuchung und eine Kernspintomographie des Herzens durchgeführt hatten. „In der Tat ist es so, dass sich bei einem Herzinfarkt die Symptome bei Mann und Frau unterscheiden“, antwortete ich meiner Patientin. Aus diesem Grund erhalten bis zu 35 Prozent der Frauen mit einem Herzinfarkt selbst in der Notaufnahme zunächst eine falsche Diagnose. Aber nicht nur bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterscheiden sich die Geschlechter. Es gibt viele andere Erkrankungen, bei denen sich nicht nur die Beschwerden, sondern auch die Diagnostik und Behandlung zwischen Frauen, Männern und Diversen unterscheiden. Diese Erkenntnis hat sich in Deutschland leider noch viel zu wenig durchgesetzt. In den USA hingegen wird das Thema Gendermedizin schon seit Jahrzehnten im Klinik- und Praxisalltag angewandt.

Weil Gendermedizin in Deutschland zu wenig Beachtung findet, führt dies zu Konsequenzen, die vermeidbar wären: Frauen sterben häufiger an Herz-, Kreislauf- und Gefäßkrankheiten als Männer – und auch häufiger als an allen Krebserkrankungen zusammen. Durch das weibliche Hormon Östrogen sind Frauen zunächst bis zur Menopause gut geschützt, dann aber wendet sich das Blatt schlagartig und die Erkrankungshäufigkeit nimmt rasant zu.

Meine Patientin hatte Glück im Unglück. Da sie ihren Herzinfarkt nicht erkannte, führte sie zunächst ihre Kreuzfahrt weiter und flog wie geplant nach Hause. Zuhause angekommen, ging sie erst drei Tage später zum Kardiologen. Eine Blutuntersuchung, Ultraschall, ein EKG, eine Herzkatheteruntersuchung und ein MRT brachten schließlich Klarheit. Die Patientin erhielt sofort einen Blutverdünner, nachdem sich im EKG eine Herzrhythmusstörung, Vorhofflimmern, zeigte. Das Blutgerinnsel im rechten Herzkranzgefäß konnte so medikamentös aufgelöst werden. Dadurch zeigten sich bei der Herzkatheteruntersuchung alle Herzkranzgefäße bis in die Endäste durchgängig, ohne Engstellen. Das MRT vom Herzen zeigte dann die Narbe im Herzmuskel, einen Herzinfarkt. So lag bei meiner Patientin die seltene Form eines Herzinfarktes vor, bei dem die Herzkranzgefäße offen sind und es dennoch zu einem Herzinfarkt kommt, etwa durch ein Blutgerinnsel, welches die Herzkranzgefäße plötzlich verstopft. Das Blutgerinnsel war durch die Herzrhythmusstörung, das Vorhofflimmern, entstanden, die zu einer Blutgerinnselbildung führen kann, wenn nicht frühzeitig eine blutverdünnende Therapie eingeleitet wird.

Heute kann die Patientin ohne Einschränkungen leben. Als Kardiologe und Arzt für Gendermedizin weiß ich, dass die Symptome von Krankheiten bei den Geschlechtern sehr unterschiedlich sein können. So benötigen Frauen beispielweise bei etlichen Medikamenten eine 30- bis 40-prozentig niedrigere Dosierung als Männer, um die gleiche Wirksamkeit zu erzielen. Dies wird jedoch in der Regel völlig außer Acht gelassen. Die Folge kann eine bis zu 30 Prozent höhere Rate an Nebenwirkungen bei Frauen sein. Gendermedizin kann buchstäblich Leben retten. Diese Erkenntnis wird in Deutschland noch zu wenig beachtet.

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