"Mad Men" & Co.

Das Gesetz der Serie

07.07.2015, 10.58 Uhr
von Detlef Hartlap

Hat jemand in letzter Zeit eine starke Serie gesehen? Verblüffte Stille, große Augen.

Ja, wird Miriam als erste rufen, ich schwöre auf "Mad Men", und Jon Hamm ist sowieso der coolste Typ alive!

Ja, ruft auch Gunnar, "Mad Men", das sei es gewesen, gleich nach "Breaking Bad", obwohl: So was wie die Oberweite von Christina Hendricks in "Mad Men" hätte in "Breaking Bad" eindeutig gefehlt.

Die Kriterien fürs Gutfinden

Alles Quatsch, meldet sich Barbara zu Wort, die mit Abstand hochwertigste, klügste, gemeinste Serie seien "Die Sopranos" gewesen, und wenn es denn noch möglich wäre, würde sie James Gandolfini gern einmal zärtlich über die Pläte streichen.
Drei gefeierte Serien, alle drei aus den USA. Die Kriterien fürs Gutfinden unterscheiden sich in ihrer Qualität nicht sonderlich von  dem Geblubber, das deutsche Spießer ausstoßen, sollten sie beschreiben müssen, was sie an Helene Fischer gut finden.

Tatsache ist, plötzlich ist alles das, was gestern überragend war, nichts mehr oder nur noch sehr wenig wert. "NYPD Blue"? Fast schon vergessen. "Navy CIS"? Immer derselbe Kram. "Monk"? Uh, das ist so schrecklich Neunzigerjahre!

Mit jeder neuen Serie, die über den Fernsehprogrammanbieter "Home Box Office" (HBO) zu uns kam und oft auf reichlich schüchternen Sendeplätzen spätabends gezeigt wurde, wenn nicht überhaupt nur im Bezahlfernsehen, wurde das amerikanische Serienwesen besser, literarischer und vor allem: konsenstauglicher für die deutschen Feuilletonisten. Und mit ihnen für alle, die sich gern ein bisschen abheben. Indem sie auf "House of Cards", "Boardwalk Empire" oder "True Detective" verwiesen und sich des unablässigen Genusses dieser neuen, angeblich nie dagewesenen Erzählformen rühmten, musste dem verzagten treuen Tatort-Gucker sogleich klarwerden: Es gibt da draußen eine Welt, von der ich nichts weiß, die mir bisher verschlossen geblieben ist. Fernsehen als unmoralischer Roman von John Updike’schem Format. Hat am Ende auch James Joyce was für Fernsehen hinterlassen, das demnächst gesendet wird?

Von Mal zu Mal bedeutungsloser

Ich gebe zu, ich war von den ersten zwei oder drei Folgen von "House of Cards" tatsächlich begeistert. Umso enttäuschender, dass sich der Plot immer wieder und weiter um die eigene Achse drehte und die Gegenspieler von Kevin Spacey von Mal zu Mal bedeutungsloser wurden, Corey Stoll als armselige Marionette und Kate Mara als unglaubwürdigste Journalistin aller TV-Serien (obwohl, In der Hinsicht übertreffen sie die Fernsehleute gern selbst).

Ich gebe zu, eine Weile von "Boardwalk Empire" fasziniert gewesen zu sein, bis die Dramaturgie des ewig gleichen Mafia-Wahnsinns ermüdete wie das Lesen eines schlecht gebauten Romans.

"Mad Men"? Fünfzigerjahre-Posen und schreckliche Kostüme, viel Zigarettenrauch im Zimmer - und um was geht es übrhaupt? "Mad Men" war die schlimmste Serienleier seit "Dallas" und "Denver" in den Achtzigerjahren, wo ein stringent durchgezogener Stil alles und der Inhalt nichts bedeutet.

Was ist "Breaking Bad" anders als die Geschichte von einem unsympathischen Typen, der unsympathische Dinge tut? Wie brav und bieder muss der Zuschauer gestrickt sein, der sich an Walter Whites Entfernung von bürgerlichen Moralstandards gickernd lab und womöglich die unterschwelligen Allmacht-Fantasien lustvoll nachempfindet?

Was hat die Coen-Brüder getrieben, eines ihrer Hauptwerke (und meinen temporären Lieblingsfilm) "Fargo - Blutiger Schnee" für eine dämliche Serienkopie herzugeben? Bekommen wir demnächst auch "The Big Lebowski" als Serie vorgesetzt?

Dramaturgisch unglaubwürdig

Und vielleicht sollte ich auch anmerken, dass "Homeland", das gerade in Berlin, obwohl längst ausgelöffelt, einen weiteren Staffelaufguss erfährt, eine der inhaltlich und dramaturgisch unglaubwürdigsten Serien ist, die je gedreht wurden? Gleich nach "Rivalen der Rennbahn" natürlich.

US-Serien sind weniger Geschmacks- als Geschäftssache. HBO lebt davon, hauptsächlich lebt es vom Export, denn in den USA selbst sind die Zuschauerzahlen dürftig. Auch Netflix lebt davon, Sky ebenfalls. Man muss sie loben, diese Serien, man muss sie für das deutsche Publikum unabdingbar machen, damit die Abo-Zahlen steigen. Und dabei machen erstaunlicherweise ebenso viele deutsche Medien mit wie beim Schimpfen auf die tapferen Griechen, die, wie leider noch viel zu wenige Engländer, den EU-Wahnsinn dicke haben.

Die Art, wie manche Kritiker von "den neuen Erzählformen des Fernsehens" schleimen, ähnelt auf verblüffende Weise dem Schwäbeln des EU-Geisterfahrers Schäuble, der vermutlich der festen Überzeugung ist, mit seiner Sparpolitik auf dem rechten Kurs zu sein. Doch wird an Schäubles Wesen Europa nicht genesen, so wie uns HBO nicht zum besseren Fernsehen erzieht, sondern Serien altbekannter Bauart in neuem Gewande feilbietet, vielleicht ein bisschen flotter geschnitten als ehedem, vielleicht ein bisschen jenseitiger von Gut und Böse, bis auch das seinen Reiz verliert.

"Broadchurch" und "Clan"

Doch, zwei richtig gute Serien habe ich in letzter Zeit gesehen, und ich möchte sie Miriam, Gunnar, Barbara und all den anderen empfehlen.

Die eine kommt aus England, heißt "Broadchurch" und lief ausgerechnet beim Zappendustersender ZDF. Aber in einer seltenen Einheit von Ort und Zeit hielt sie vier Folgen lang in Atem, als Whodunnit, als menschliches Drama, als eine Offenbarung schauspielerischer Präzisionsarbeit (voran: Olivia Colman und Jodie Whittaker), wie man das so nur bei Helen Mirren und ganz wenigen anderen erlebt hat.

Der zweite erzählt die Geschichte der fünf Goethals-Schwestern in der belgischen Provinz: "Clan" lautet ihr Titel. Weil eine der Schwestern, Goedele (Inge Paulussen), von einem Riesenarschloch von Ehemann erniedrigt und gedemütigt wird, beschließen die anderen vier (großartig: Barbara Sarafian und Maaike Neuville) den Kerl umzubringen. Aber wie? Morden will gelernt sein. Wie das über zehn Folgen erzählt wird, wie es gelingt und doch wieder nicht ganz gelingt und mitunter ganz schreckliche Nebenwirkungen zeitigt, das ist Serienkunst auf hohem Niveau.

Lief auf ZDFneo. Das ist nicht ganz so chic und vielleicht auch nicht gar so lukrativ wie das Propagieren von amerikanischem Durchschnitt für das nach Differenzierungsattributen hechelnde deutsche Qualitätspublikum, aber jede Folge machte mehr Spaß als eine komplette "House of Cards"-Staffel.       

Das könnte Sie auch interessieren