Sehen statt Hören - Das Hier und Jetzt tauber Jüdinnen und Juden
Sa., 27.08. • 28 Min.
BR: Sehen statt Hören - Das Hier und Jetzt tauber Jüdinnen und Juden
Von den etwa 200.000 in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden sind rund 100 taub. Die meisten von ihnen kommen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Einer von ihnen ist Mark Zaurov. Als Historiker hat er sich wissenschaftlich mit der "doppelten kulturellen Minderheit", wie er es nennt, auseinandergesetzt:
"Mein Konflikt besteht darin, dass ich beides bin: jüdisch und taub. Einerseits fühle ich mich in der jüdischen Gemeinschaft isoliert, werde durch die Kommunikationsbarriere ausgeschlossen und erfahre Audismus. Und in der Gehörlosengemeinschaft bin ich nur 'der Jude', der wiederum nicht dazugehört und ausgegrenzt wird. Somit bin ich Teil einer doppelten kulturellen Minderheit." Mark Zaurov
Ohne Dolmetscher kann er dem Gottesdienst nicht folgen. Gesänge, Musik und laute Gebete spielen eine große Rolle - nur einmal konnte Mark Zaurov richtig teilhaben: "In Amerika war ich bei einem tauben Rabbiner zum Pessach eingeladen, wo in Gebärdensprache kommuniziert wurde. Dort wurden mir die Hintergründe, wie zu den Speisen beim Pessach in Gebärdensprache erläutert. Das war wohltuend."
Sich öffentlich als Jude oder Jüdin zeigen?
Sehen statt Hören-Moderator Ace Mahbaz merkt bei seinen Recherchen, wie groß die Angst vor antisemitischen Übergriffen ist. Die meisten Gehörlosen halten ihre jüdische Identität geheim. Außer Mark Zaurov, wollte niemand, der oder die in Deutschland wohnt, vor der Kamera erzählen, was es für sie oder ihn bedeutet, jüdisch zu sein. Eine Frau hat sich bereit erklärt, schriftlich und anonymisiert zu antworten:
"Körperliche Übergriffe habe ich einmal erlebt. Da haben mich Nazis – vier junge Frauen – im Zug verprügelt, weil ich einen Davidstern trug. Dabei war es für mich nur ein kleiner Schmuck, ein schönes Geschenk von meinem Opa, ein Andenken an ihn." Taube Jüdin in Deutschland
Zwei in Israel lebende taube Juden haben uns ihre Erfahrungen von ihren Deutschland- und Europa-Reisen erzählt: Maor ist 28 und wurde vom Fahrer aus einem Taxi geworfen, weil er unbedarft auf die Frage, woher er komme, "Israel" geantwortet hat. Auch in sozialen Netzwerken wie Instaram erlebt er als Reaktion auf seine Posts antisemitischen Hass.
Liran wurde mit seinen Freunden von einer Party in Köln harsch ausgeschlossen - ebenfalls , weil er erzählt hat, dass er aus Israel kommt.
Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung, Sachbeschädigung
Laut Bundesinnenministerium gab es im vergangenen Jahr 2351 antisemitische Straftaten in Deutschland. Ein Anstieg von 15,7 Prozent. Es werden aber längst nicht alle Straftaten gemeldet – und auch nicht erfasst, aus welcher Richtung der Antisemitismus kommt. Ob aus dem rechten Spektrum oder aus anderen Richtungen. Die Dunkelziffer ist also vermutlich sehr viel höher.
Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, kurz RIAS, dokumentierte 2020 allein für Berlin insgesamt 1004 antisemitische Vorfälle. Dazu zählen unter anderem Angriffe, Körperverletzungen, Bedrohungen, Beleidigungen und gezielte Sachbeschädigungen.