Der Vorstadt-Kriminelle Mathieu (Jules Benchetrit) verfolgt dank Anna (Karidja Touré) seinen Klavierunterricht etwas ernsthafter.
Bitte spiel doch! Im Musikerdrama "Der Klavierspieler vom Gare du Nord" bemühen sich Konservatoriums-Lehrer Pierre (Lambert Wilson, links) und keine Geringere als die Gräfin Buckingham (Kristin Scott Thomas) um die Pianistenkünste eines Vorstadt-Kriminellen.

Der Klavierspieler vom Gare du Nord

KINOSTART: 20.06.2019 • Drama • FRA (2018) • 106 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Au Bout Des Doigts
Produktionsdatum
2018
Produktionsland
FRA
Laufzeit
106 Minuten

Filmkritik

Mit der Kitsch-Klatsche
Von Andreas Günther

Ein junger Krimineller entpuppt sich am Konservatorium als Tastengott: "Der Klavierspieler vom Gare du Nord" hätte ein einfühlsames Musikerdrama werden können, setzt aber stattdessen völlig enthemmt mit Sentimentalität.

Wer auf dem Flughafen Charles de Gaulle landet und nicht mit dem sündhaft teuren Taxi nach Paris hineinfahren will, nimmt die Bahn über den Gare du Nord. Dort tummeln sich viele Kunstbanausen, wie das Musikerdrama "Der Klavierspieler vom Gare du Nord" glauben macht. In der riesigen Bahnhofshalle eilen hunderte, wenn nicht tausende Zugreisende achtlos an Mathieu Malinski (Jules Benchetrit) vorbei. Dabei interpretiert der junge Mann auf einem öffentlichen Klavier gerade auf revolutionäre Weise Bach. Immerhin erkennt das Konservatoriums-Abteilungsleiter Pierre (Lambert Wilson), der als Einziger andächtig lauscht.

Bei Regisseur und Autor Ludovic Bernards Film geht es mindestens so hektisch zu wie im Bahnhof. Als würde das Publikum andernfalls ungeduldig aufstehen und das Kino verlassen, muss schon in den ersten Sekunden, bei Verschwimmenlassen der Menschenmassen, eine Sichtachse der Auserwähltheit zwischen dem Künstler und seinem zukünftigen Förderer geschlagen werden. Erhaben und rührend soll das sein – und erweist sich doch bloß als der erste von allzu abrupten Sentimentalitätssturzbächen, die "Der Klavierspieler vom Gare du Nord" schwer genießbar machen.

Wenigstens kann Pierre dem großen Talent noch nicht sofort zum Erfolg verhelfen. Mathieu muss das Klavier fluchtartig verlassen, weil die Polizei auf ihn Jagd macht. Natürlich ist er pfiffig genug, um zu entkommen. Bei ihm daheim liegen die Verhältnisse so, wie eigentlich schon erwartet: öde Betonburgenvorstadt, jüngere Geschwister, Vater fort, Mutter arbeitet sich als Krankenschwester halb tot. Die Jungs im Viertel ziehen ihn in kriminelle Aktivitäten. Mathieus einziger Halt ist das Klavierspiel. Ein älterer Nachbar, auch schon lange verschieden, hat es ihm beigebracht, als er ein kleiner Junge war.

Bei einem Bruch vergisst er zugunsten der Klimperei auf einem herrlichen Flügel das Klauen. Die Polizei kassiert ihn ein. Wie gut, dass ihm Pierre auf dem Bahnhof seine Visitenkarte zugesteckt hat. Das Gerichtsurteil lautet auf Sozialstunden, die Mathieu praktischerweise im Konservatorium ableisten darf. Dort zwingt ihn Pierre geradezu zum Unterricht bei der Gräfin Buckingham (Kristin Scott Thomas). Doch der Hochbegabte zeigt Widerspenstigkeit, die nur die hübsche Cellistin Anna (Karidja Touré) zu dämpfen weiß.

"Der Klavierspieler vom Gare du Nord" schwingt gnadenlos die Kitsch-Klatsche. Möglichst jedes Detail soll den armen Zuschauer seelisch ganz tief treffen und Tränen fließen lassen. Es kann gar nicht genug aufreibende Konflikte geben. Das junge Genie kämpft gegen das Milieu und sein aufbrausendes Temperament. Jedes "Ihr könnt mich mal" von Mathieu lässt um seine Zukunft bangen. Pierres Frau ist eifersüchtig, fürchtet, ihr Mann wolle mit Mathieu den verstorbenen kleinen Sohn ersetzen. Und Pierre muss gegen den Widerstand seiner Vorgesetzten einen Platz für Mathieu in einem wichtigen Wettbewerb erringen.

Den Schlussteil begräbt eine Lawine schablonenhafter Lösungsvorschläge und Rettungsversuche in letzter Sekunde für aberwitzige Problemlagen. "Der Klavierspieler vom Gare du Nord" funktioniert bloß als oberflächliche Konfektionsware statt zu faszinieren. Dabei bleibt die klassische Musik trotz akkurater Darstellung auf der Strecke. Bezeichnenderweise untermalt Popmusik die intimen Begegnungen von Mathieu und Anna. Die hohe Tonkunst dient bloß als Karriereleiter für den märchenhaften Aufstieg in Elitekreise. An sich hat sie so wenig Bedeutung wie für die Leute am Gare du Nord.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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