Fernsehen an Weihnachten

Kampf ums Kind

20.11.2014, 13.29 Uhr
von Detlef Hartlap
Diesneys "Die Eiskönigin - Völlig unverfroren".
BILDERGALERIE
Diesneys "Die Eiskönigin - Völlig unverfroren".  Fotoquelle: ©2013 Disney

Während die ARD ihr Weihnachtsprogramm mit Billig-Märchen flutet, setzt Disney auf Hollywood-Qualität. Auf einen Weihnachtsmehrteiler von Belang warten wir auch 2014 vergebens.

Interessiert sich noch jemand für "Die Musketiere"? Ausgelutschter Stoff, sollte man meinen. Jeder über 30 ist in seinem Leben etliche Male den drei oder vier Musketieren (je nachdem, wann die Story einsetzt) begegnet – im Fernsehen, im Buch, im Kino und in der Hanuta-Werbung.

Für Kinder, okay, da wär's vielleicht noch was. Abenteuer, Musketengepaff, Schwertergerassel, Kameradschaft ("Alle für einen!"), das kommt selbst in Zeiten digitalen Dauergemetzels nicht schlecht, zumal sich die Ästhetik vieler Spiele am Dresscode des Mittelalters bzw. in diesem Fall der großen Zeit des absoluten Königtums in Frankreich bedient, des 17. und 18. Jahrhunderts.

Weihnachtsprogramm hat Kinder am wenigsten im Sinn

Doch wenn das Weihnachtsprogramm, wie die ARD ankündigt, in diesem Jahr von fünf Doppelfolgen "Die Musketiere" geprägt sein soll, dann hat sie die Kinder zwischen 3 und 13 Jahren am wenigsten im Sinn. Beginn jeder Folge ab Sonntag, 21. Dezember: 21.45 Uhr. Das ist nochmal eine Stunde nach dem üblichen Champions-League-Start, der den fußballverrückten kleinen Quengelköpfen nicht selten mit einem väterlichen Seufzer und mütterlichem Tadel zugebilligt wird.

Die Musketiere für Erwachsene, quasi in der Nachfolge der sex- und blutgetränkten "Borgias", mit dem das ZDF vor einiger Zeit ganz erstaunliche Quoten erzielte.

Und die Kinder? Gibt es das noch, ein Kinderprogramm zu Weihnachten? Oder bleibt das Feld gleich den im Segment der 3- bis 13-Jährigen führenden Privatsendern Super RTL, Disney und Nickelodeon überlassen?

Wandlung zum Märchensender

Nicht doch, ruft es aus den erstaunlich gut besetzten, aber im Programm wenig präsenten Kinder- und Jugendredaktionen von ARD und ZDF, erstens haben wir unseren gemeinsamen Kinderkanal (Kika), der mitunter tatsächlich zu Super RTL aufschließt und mit pfiffigen Programmen ("Woozle Goozle") eine heiter pädagogische Note ins Fernsehen bringt, zweitens wandelt sich die ARD in der langen Weihnachtswoche auch jenseits der Musketiere hinaus zum Märchensender.

Was das bedeutet, bekommt der an Märchen interessierte Zuschauer seit 2008 je nach Toleranzschwelle mit Grausen oder Amüsement zu sehen. Damals gab es "Frau Holle" zum Auftakt, mit Marianne Sägebrecht in der Titelrolle und Herbert Feuerstein, sowie "Tischlein Deck Dich", das mit Christine Neubauer und Dietmar Bär feinsinnig besetzt war. Kinder, die von Mutti oder Omi zum Gucken verdonnert waren, konnten mit den schnell runtergedrehten Kostümschinken wenig anfangen und ersehnten die Rückkehr an ihr Nintendo.

Sicherer Programmfüller

Doch da die Märchen ein sicherer Programmfüller zu Weihnachten, zu Ostern, im Sommerloch und an allen im weitesten Sinne kinderaffinen Feiertagen waren, wurden immer mehr davon abgedreht, ein schöner Nebenverdienst für namhafte Schauspieler, die bei einer Drehzeit von ca. zehn Tagen auch nicht übermäßig in Anspruch genommen werden.

Vor allem Senioren haben ihren Spaß daran und Zuschauer, die sich an Stars orientieren und keine Sendung mit Iris Berben und Matthias Brandt, mit Hannelore Elsner und Henry Hübchen verpassen wollen. Für sie mögen "Die Prinzessin auf der Erbse" und "Brüderchen und Schwesterchen" auch in der zehnten Wiederholung ein Muss sein.

In der Weihnachtssaison 2014/15 flutet die ARD ihr Programm nun tatsächlich mit 34 Märchen zwischen dem 20. Dezember und dem 2. Januar. Ganze vier davon sind neu: "Sechse kommen durch die Welt" mit Bodensee-Tatortler Sebastian Bezel, "Siebenschön" mit Esther Schweins, beide am 1. Weihnachtstag, sowie "Die drei Federn" mit Sky du Mont und "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" mit Heiner Lauterbach am 2. Weihnachtstag.

Die 3- bis 13-Jährigen werden es kaum erwarten können.

Disney geht anders zur Sache

Da geht Disney ganz anders zur Sache. Während die ARD ihre Billig-Märchen am Fließband abnudelt, lenkt Disney die bescherungsgespannten Kleinen an Heiligabend mit einem hausgemachten Meisterwerk "Dornröschen" ab (14.45 Uhr) und gleich anschließend mit "Planes". Da finden die Eltern genügend Freiheit, den Baum zu schmücken.

Am 1. Weihnachtstag startet Disney mit dem Klassiker "101 Dalmatiner", um mit "Schneewittchen und die sieben Zwerge" und vor allem mit "Die Chroniken von Narnia: Der König von Narnia" ab 16.50 Uhr die Zielgruppe geschlossen an sich zu binden. Wen interessiert zu diesem Zeitpunkt "Sechse kommen durch die Welt"?

Am 2. Weihnachtstag kann Disney um 15.30 Uhr das mit Oscar und Golden Globe ausgezeichnete Meisterwerk "Die Eiskönigin - Völlig unverfroren" ins Rennen werfen.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk dankt ab

Beim Kampf ums Kind dankt der öffentlich-rechtliche Rundfunk ab. Animationen von einiger Qualität sind zu aufwändig, da schiebt man lieber bewährten Hauskräften ein märchenhaft schnell verdientes Zubrot zu.

Selbst "Die Musketiere", das fünfteilige Märchen für Erwachsene, ist keineswegs von den ach so rührigen ARD- und ZDF-Zulieferern in München, Berlin oder Köln produziert, es kommt von der BBC.

Wie anders waren Zeiten und Resonanz, als der Weihnachtsmehrteiler oder auch speziell der Abenteuervierteiler noch riskiert und mit Liebe und Sorgfalt produziert wurde. Es gibt wohl kaum einen Fernsehzuschauer über 45 in Deutschland, der sich nicht gern an "Timm Thaler" (mit Thomas Ohrner) erinnert, an "Silas" und "Jack Holborn" (beide mit Patrick Bach) oder "Patrik Pacard" (mit Hendrik Martz).

Schöne Jugenderinnerungen an die Zeit von 1979 bis in die Achtziger hinein, vielleicht in der Rückschau etwas verklärt, aber sie banden Jugend und Eltern gleichermaßen vor den Bildschirm.

Die großen Abenteuergeschichten

Oder die großen Abenteuergeschichten, die ein gewisser Walter Ulbrich (nicht verwandt) mit großer Buchgenauigkeit in vier Teilen für das Fernsehen produzierte, durchaus in internationaler Ko-Produktion, aber doch so, dass sich das zahlenmäßig starke bundesrepublikanische Publikum in den verfilmten Klassikern wiederfand.

Raimund Harmstorf etwa zehrte bis zu seinem Ableben von seiner Darstellung des "Seewolf", Helmut Lange blieb, ungeachtet seiner Zeit als "Traumschiff"-Kapitän, immer der "Lederstrumpf" von einst.

In einer der zahlreichen Verfilmungen von Abenteuern des Schotten Robert Louis Stevenson ("Die Schatzinsel") wurde zum ersten Mal ein Korschenbroicher berühmt, Ekkehardt Belle in der Titelrolle des jungen David Balfour (wenige Jahre darauf übertrumpfte ihn Berti Vogts, ebenfalls aus Korschenbroich, aber kein Schauspieler).

Es fehlt an Drehbuchautoren, Stoffen, Geld und Mut

Vorbei. Es fehlt an Drehbuchautoren, an Stoffen, an Geld, an Mut. Großproduzenten wie Allesverwurster Nico Hoffmann geben lieber der deutschen Geschichte einen Dreh in die große Absolution ("Unsere Mütter, unsere Väter").

Eine wirklich aufwändig-liebevolle Märcheninszenierung stünde dem gar nicht so fern.

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