EM-Kolumne, 3. Folge

Hand vorm Mund und Mann gestanden!

20.06.2016, 16.00 Uhr
Hat sichtlich Spaß an der Sache: Moderator Alexander Bommes im ARD-Studio in Paris.
BILDERGALERIE
Hat sichtlich Spaß an der Sache: Moderator Alexander Bommes im ARD-Studio in Paris.  Fotoquelle: WDR/Sachs

Fußball-EM: Sternstunde im Fernsehstudio, Schandwelle im Internet.

Von Detlef Hartlap

"Putzt euch mal die Zähne!", möchte man manchem Spieler bei der EM zurufen. Mundgeruch und Stinke-Atem, was sonst könnte es für Gründe geben, dass sich so viele Spieler auf dem Platz wie auf der Reservebank plötzlich nur noch mit der Hand vor dem Mund unterhalten?

Zum ersten Mal aufgefallen ist mir das bei Herrn Tuchel, dem Dortmunder Trainer, der nach dem verlorenen Pokalfinale gegen die Bayern mit vor den Mund gehaltener Hand auf Roman Weidenfeller einredete, als gälte es taktische Anweisungen für die Siegerehrung zu erteilen. Tatsächlich hatte Tuchel Angst, sein Post-Abpfiff-Geschwätz, das Weidenfeller ersichtlich lästig wurde, könnte ihm von den Lippen abgelesen werden.

Bei der Europameisterschaft in Frankreich ist die Hand vor dem Mund so selbstverständlich, wie es die zugeworfene Wasserflasche bei der WM in Brasilien war. Wayne Rooney bedeckt den Mund, wenn er mit Eric Dier die Ausführung eines Freistoßes bespricht. Lukas Podolski schirmt sogar auf der Bank jede Bemerkung zu seinem Nachbarn und Spezi Schweinsteiger mit der Hand ab. Cristiano Ronaldo verschlüsselt auf gleiche Weise die Ausführung seiner Freistöße. Nicht dass es nötig wäre, er schießt sowieso drüber.

Fernseh-Moderatoren sieht man vergleichsweise selten mit der Hand vor dem Mund. Sie sollen keine Geheimnisse wahren, sondern ausplaudern, was wiederum selten geschieht, weil sie so viel Intimes "aus der Kreis der Nationalmannschaft", wie es immer heißt, auch nicht wissen. Der vielen vorgehaltenen Hände sei Dank ...

Trotzdem erlebten wir am Samstag in der Pause und nach Schlusspfiff des Spiels Island gegen Ungarn eine Sternstunde des Studio-Journalismus. Moderator Alexander Bommes versuchte mithilfe der Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger und Thomas Doll zu ergründen, ob der isländische Elfmeter gegen Ungarn berechtigt gewesen sei oder nicht.

Die Debatte erhitzte sich mit jedem Wort, und als der frühere Bundesligaschiedsrichter Jürgen Jansen Partei für die Elfmeterentscheidung (die Island 1:0 in Führung brachte) ergriff, gab es für Thomas Doll kein Halten mehr: Nie und nimmer, echauffierte er sich, sei das ein Elfmeter gewesen.

Alexander Bommes moderierte souverän und mit sichtlichem Spaß an der Sache die schönste Talkshow seit Langem. Später konnte man dank einer eingeschalteten Deckenkamera miterleben, dass sich das Quartett auch hinter der Kulisse weiterfetzte – auf freundschaftliche Art, versteht sich. Bester Fernsehjournalismus!

Den würden wir auch gern Claudia Neumann bescheinigen, die für das ZDF zwei Spiele live kommentierte, ohne (hätte ich fast geschrieben) groß aufzufallen. Sie kann das und macht das gut, besser als mancher Kollege. Jedoch kann niemand in Frieden reden, wenn Dumm-Deutschland lauscht.

Laut "Süddeutscher Zeitung" lautete die harmloseste Bemerkung, die in den digitalen Medien zu Claudia Neumann abgegeben wurde: "WIESO KOMMENTIERT DAS SPIEL EINE FRAU?"

Bei vielen anderen Beiträgen ging es dann, wie üblich bei Facebook und Twitter, ins Unappetitliche, was einerseits nicht überrascht (weil das bekanntermaßen die Müllhalden des Anstands sind), anderseits aber doch fassungslos macht: In welcher Welt leben diese männlichen Fußball-Autisten, die ausflippen, wenn eine Frau am Mikrofon spricht?

Sollen sie doch alle Béla Réthy lauschen!, möchte man ihnen zurufen. Ein Name, den ich eigentlich nicht mehr erwähnen wollte, auch wenn er sich am Sonntag, beim Spiel Frankreich-Schweiz, wieder die herrlichsten Bökelberg-Klöpse leistete. Genug!

Das ZDF verteidigt seine dem Pöbel anheimgefallene Reporterin übrigens keineswegs dadurch, dass man ihr spontan und verdientermaßen noch ein paar weitere Spiele zuteilt, nein, sie ist erst mal weg vom Live-Mikrofon. Doch wird von ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz die Bemerkung kolportiert,  "diese Frau" (gemeint ist Claudia Neumann) "steht ihren Mann".

Sauber, Herr Gruschwitz. Und Sie selbst stehen, von der Wortwahl her, für das preußische Offiziersverständnis zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Ob er sich bei dieser Äußerung die Hand vor den Mund gehalten hat, ist nicht überliefert.

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