Tracks - Desired Reality

Info • Fr., 25.02. • 30 Min.
(1): LaTurbo Avedon Der Begriff „Metaversum“ wurde 2021 durch Facebook bekannt. Geprägt wurde er jedoch bereits von der Science-Fiction-Szene der späten 1990er Jahre, um interaktive und ununterbrochen zugängliche virtuelle Welten zu beschreiben. Genau dort tummelt sich das Künstlerwesen LaTurbo Avedon. Die Besonderheit dieses Wesens? LaTurbo wurde als Avatar im Metaversum geboren – als erste, nur aus Pixeln bestehende/r Künstler/in, ohne physische Bindungen. Eine Art digitaler Banksy, dessen Werke in den Multiplayer-Videowelten von Second Life, Overwatch oder Fortnite entstehen und von renommierten, real existierenden Galerien in Europa und den USA ausgestellt werden. Ob Videoinstallation mit zwölf digitalen Sonnenuntergängen, Selfie-Sammlung oder auch eine Ode an Final Fantasy – LaTurbos Produktionen vermitteln die Nicht-Gamern weitgehend unbekannte Poesie der digitalen Welten, verweisen aber auch auf die politischen Auswirkungen der überhandnehmenden Digitalisierung des öffentlichen wie privaten Lebens. Für diese Sondersendung führt „Tracks“ erstmals ein rein virtuelles Interview und trifft die Künstlerpersönlichkeit LaTurbo Avedon an Bord ihres Raumschiffs im Videospiel Star Citizen, das als Gesamtkunstwerk mit dem Budget eines Hollywood-Blockbusters daherkommt. (2): Shifting Und wenn unsere Realität nur eine von Millionen denkbaren Wirklichkeiten wäre? In Anlehnung an die durch Science-Fiction-Filme bekannt gewordene Multiversum-Theorie bietet eine neue Praxis namens Shifting (Deutsch etwa „sich versetzen“) der Generation Z die Möglichkeit, in ein nur durch die eigene Vorstellungskraft begrenztes Traumleben einzutauchen. Diese Mischung aus Selbsthypnose und Wachträumen, die 2019 auf der Plattform Amino auftauchte, ist so beliebt geworden, dass sie auf TikTok mittlerweile über 4 Milliarden Aufrufe verzeichnet. In dem sozialen Netzwerk geben Bewusstseinsforscher Anleitungen und Tipps, um mit einfachen Mitteln, etwa wie beim Filmstreaming, in Lieblingsrealitäten (die „Desired Reality“) abzudriften. Wie die 18-jährige afroamerikanische Shifting-Pionierin Akina oder die Französin Ève. Die Englischstudentin, die seit Beginn der Pandemie keinen Hörsaal mehr betreten hat, sieht im Shifting eine Möglichkeit, dem Eingesperrtsein zu entrinnen. Sie notiert alle Details ihres Traumlebens und verfeinert ihre Technik mit einer Mischung aus Visualisierung und Atmung von Tag zu Tag mehr. (3): Xenogenders Man stelle sich eine Welt aus queeren Kobolden und Cyber-Nymphen vor. Die von Videospiel-Avataren beeinflussten Xenogender denken in Begriffen, die die meisten Menschen nicht mit dem Geschlecht in Verbindung bringen und definieren ihre Identität beispielsweise unter Einbeziehung fantastischer Elemente. Im September letzten Jahres besuchte „Tracks“ die griechische Halbinsel Methana, wo die erste Ausgabe des Cyber-Mittelalter-Festival Narthex eine Horde spitzohriger, dem Rave- und Fantasy-Universum entstiegener Partyjünger aus zehn Ländern versammelte, die sich als posthumane Wesen der Zukunft in Szene setzen. Während die französische Performerin Hildegarde in der Elfenidentität eine authentischere Möglichkeit der Selbstdarstellung gefunden hat, lassen sich die spanischen Kunstkollektive Neurodungeon und ¥€$Si Perse vom Xenofeministischen Manifest inspirieren, das die Macht- und Herrschaftsspiele im Lichte der Technologie neu überdenkt. Aus ihrer Sicht hat das Silicon Valley einen überdominanten „Cyberfeudalismus“ hervorgebracht, und die Big-Tech-Konzerne sind Großfürsten, die ihre Nutzerinnen und Nutzer wie Leibeigene im Mittelalter ausbeuten.