Nemesis

"Jetzt spielen sie sich selbst"

22.11.2014, 11.46 Uhr
von Detlef Hartlap
Ein friedlicher Moment in der turbulenten Beziehung zwischen Claire (Susanne Lothar) und Robert (Ulrich Mühe).
Ein friedlicher Moment in der turbulenten Beziehung zwischen Claire (Susanne Lothar) und Robert (Ulrich Mühe).  Fotoquelle: HR/Pressestelle

Nemesis, das meint ausgleichende Gerechtigkeit – oder auch Vergeltung. Letzteres ist meist negativ besetzt, weil mit Rache gleichgesetzt.

Für ihren Film "Nemesis" hat die Autorin und Regisseurin Nicole Mosleh (44) gleich mehrmals die unbarmherzige Vergeltung des Film- und Fernsehgeschäfts kennengelernt.

Aber es gab auch Zeiten, da schien ihr ausgleichende Gerechtigkeit zuteil zu werden. Sonntagnacht läuft "Nemesis" im Ersten, um 0.20 Uhr.

"So spät!", ruft Nicole Mosleh entsetzt, als prisma sie über die späte Ansetzung informiert. "Beim Sender hatten sie mir 23.35 Uhr zugesagt."

Ein Punkt, der nach Vergeltung schmeckt

Wieder so ein Punkt, der nach Vergeltung schmeckt. Dabei wäre auch 23.35 für einen Film dieses Formats und in dieser Besetzung eine Frechheit gewesen.

Es handelt sich um Ulrich Mühes letzten Film. Er war frischgebackener "Oscar"-Preisträger und dabei schon von Krebs gezeichnet, als er sich in das Drehbuch von Nicole Mosleh verliebte. Sie hatte es ihm, wie einst bei der Geschichte vom kleinen Moses, einfach vor den Eingang des Deutschen Theaters in Berlin gelegt.

"Insgeheim", sagt sie, "hatte ich tatsächlich Ulrich Mühe beim Schreiben vor Augen gehabt. Aber dass er tatsächlich darauf ansprang … Normal hätte ich ihn mir nicht leisten können."

Die Nemesis des Films "Nemesis" setzte ein, als Mosleh zwar einen Star an der Hand, aber plötzlich nicht mehr genug Geld hatte. Die Finanzierung kippte.

Aber auf Mühe war Verlass.

Er brachte seine Frau Susanne Lothar ins Spiel, die Tochter des großen Hanns Lothar und eigentlich noch eine, die sich Nicole Mosleh nie hätte leisten konnte.

Beide, Mühe wie Lothar, sagten sich wohl: Wir kennen uns so gut, da brauchen wir nicht groß üben. Wir müssen uns auch nicht aneinander gewöhnen, wir legen einfach los.

Nach 13 Tagen im Kasten

Das erwies sich als bitter nötig. Der Film wurde 2006 in Italien am Lago del Turano dalli, dalli abgedreht. Nach 13 Tagen war die Geschichte einer Ehekrise und des Endes eines Lebenstraums vom sorglosen Leben in Italien im Kasten. Eine vertrackte Geschichte, die auch von der Ermordung einer Schwester handelt, von Gedächtnisverlust und dem allmählichen Heraufdämmern, wer hinter dem Mord stecken könnte.

Susanne Lothar und Ulrich Mühe sind so verdammt gut, dass man heulen könnte, wenn man ihnen zuschaut. Ein schmerzlicher Film. Ein Vermächtnis? Nicole Mosleh: "Man scheut es sich zu sagen, aber ich hatte mehr als einmal das Gefühl: Jetzt spielen sie sich selbst!"

Kaum zu Ende geschnitten, musste der Film ins Depot. Aus juristischen Gründen. Nach dem Tod ihres Mannes wollte Susanne Lothar nichts mehr von den Tagen am Lago del Turano sehen und wissen.

Achtungserfolge im Kult-Kino "Babylon"

Es dauerte bis 2010, ehe alle Bedenken ausgeräumt waren. Zur Premiere bei den Hofer Filmtagen kam, als ob nichts gewesen wäre, auch Susanne Lothar. Und für eine Weile schien es, als sollte "Nemesis" Gerechtigkeit widerfahren. Besonders im 500 Plätze fassenden Berliner Kult-Kino "Babylon" erzielte der Film Achtungserfolge, war wiederholt ausverkauft. Aber so richtig auf Touren kam er nie.

Susanne Lothar starb 2012; durch Freitod. Und ein Verleih, der "Nemesis" bundesweit in den Arthouse-Kinos untergebracht hätte, wollte sich partout nicht finden. Die peinlichste Absage, die Nicole Mosleh in diesem Zusammenhang zu hören bekam: "Ulrich Mühe, den kennt doch heute keiner mehr."

"Nemesis", Sonntag, 0.20 Uhr, im Ersten.

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