"Zu sagen, wir seien die Guten, ist falsch"

Sohn von Willy Brandt liefert sich bei Lanz hitzige Debatte mit FDP-Urgestein

03.11.2022, 10.32 Uhr

Ist Russland alleine schuld an den Angriffskrieg in der Ukraine? Zu dieser Frage lieferten sich der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum und Historiker Peter Brandt bei Markus Lanz ein Wortgefecht.

Am Mittwochabend fiel die Talkshow von Moderator Markus Lanz zwar kürzer aus als gewöhnlich – Gesprächsstoff lieferte sie dennoch: Zu Gast waren der Historiker Peter Brandt, Sohn des verstorbenen Altkanzlers Willy Brandt (SPD), und der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP). Am Ende kamen die beiden auf ein kontroverses Thema zu sprechen: Ist Russland alleine schuld an den Angriffskrieg in der Ukraine?

"Dann streiten wir doch", stieg Gerhart Baum in die Diskussion ein. Für den ehemaligen Innenminister ist die Sache klar: Russland trägt die alleinige Schuld. Brandt widersprach. Zwar sei es "praktisch unbestritten, dass Russland" seit diesem Jahr "einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt". Dennoch sei die Frage nach den Ursachen des Konflikts nicht so einfach zu beantworten: "Das war ein Mechanismus, an dem beide Seiten beteiligt waren – und wo nicht genug überlegt worden ist, die Sicherheitsinteressen Russlands mit in den Blick zu nehmen."

So wäre in Brandts Augen die Nato-Osterweiterung "für jede denkbare russische Regierung problematisch gewesen". In der Politik komme es nämlich mehr auf Potenziale an und weniger auf Absichten von Staaten an, so der Historiker in Anspielung auf einen Ausspruch von Otto von Bismarck.

Dass die Osterweiterung der Nato problematisch gewesen sei, bestritt Baum: "Wir sind doch kein aggressives Bündnis!" Brandts Aussagen seien "eine totale Fehleinschätzung. Wie können wir denn souveränen Staaten wie den Polen vorschreiben, in welchem Bündnissystem sie sind?" – "Das hat man den Österreichern doch auch vorgeschrieben", entgegnete Brandt. Für Baum ist es "eine Legende", dass sich Wladimir Putin durch das Sicherheitsbündnis bedroht fühle: "Der Putin fühlt sich bedroht durch sein eigenes Volk."

Brandt wiederum blieb bei seiner Einschätzung und führte weiter aus: Der Krieg in der Ukraine sei "ein Stellvertreterkrieg" zwischen Russland auf der einen Seite, und der Nato und den USA auf der anderen. "Nein, nein!", platzte es da aus seinem Sitznachbarn heraus. Baum sieht in dem Krieg einen Konflikt zwischen "denen, die das Völkerrecht verteidigen" und "denen, die es mit Füßen treten". Für den 90-Jährigen ist eine Prinzipienfrage: "Die Ukraine verteidigt auch uns, die verteidigen die freie Welt." Brandt hält von dieser Sichtweise wenig: "Zu sagen, wir seien die Guten, ist falsch." Schließlich habe es in der Vergangenheit "eine ganze Kette von Völkerrechtsbrüchen" des Westens und der USA gegeben.

Gegen Ende entschärft sich die Stimmung im Studio wieder. "Also Herr Brandt, ich wäre fest davon überzeugt, wenn ihr Vater heute leben würde, würde er nach Kiew reisen", mutmaßte Baum. "Er würde diese Politik mittragen." Peter Brandt begegnete dem mit Humor: "Dazu kann ich nichts sagen, ich habe keine Möglichkeit, mit dem Jenseits zu kommunizieren."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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