16.08.2016 Radfahren

Auf die bequeme Tour

Von Detlef Hartlap
Die neue Leichtigkeit des Radelns: Immer mehr Touristenorte in den Alpen werben mit gut ausgebauten E-Bike-Routen.
Die neue Leichtigkeit des Radelns: Immer mehr Touristenorte in den Alpen werben mit gut ausgebauten E-Bike-Routen. Fotoquelle: mezzotint / Shutterstock.com

Von der "Grünen" zur "Surrenden Revolution". E-Bikes (Mopeds in Verkleidung) übernehmen das Regime.

Dies ist eine Geschichte von Abschied und Fortschritt, von gestern und morgen. Es ist die Geschichte vom Fahrrad, einer deutschen Erfindung, die 2017 ihren 200. Geburtstag feiert. Es könnte sein, dass es ein trauriger Geburtstag wird. Alle Welt redet nur noch von Mopeds in Verkleidung – von Pedelecs und E-Bikes, also elektrisch angetriebenen Rädern.

Am 12. Juni 1817 unternahm Karl Freiherr von Drais in Mannheim die erste Fahrt mit der von ihm konstruierten "Draisine" und eröffnete damit ihrer Weiterentwicklung, dem Fahrrad, eine goldene Zukunft. Doch die Zeichen mehren sich, dass Fahrräder bald in den Schuppen der ausrangierten Fortbewegungsmittel geschoben werden, so wie alte Kutschen oder Dampf-Loks.

2,5 Millionen E-Bikes, Stand Sommer 2016, kurven über Deutschlands Straßen. Auch das sind Fahrräder, klar, aber solche mit dem gewissen Schub von innen und dem federleichten Tritt auf die Pedale. Mit dem E-Bike fahren heißt, es auf die bequeme Tour zu tun. Das ist ihr Erfolgsgeheimnis.

Rennradfahrer, so austrainiert sie sein mögen, erleiden sonntags auf stillen Straßen ihren E-Bike-Schock. Sie haben sich eingetreten und eingesessen, den Rhythmus gefunden, halten das Tempo konstant auf 35 km/h, und was passiert? Ein surrendes Geräusch naht hinterrücks, kommt näher und näher, zieht vorbei ... Zwei E-Bikes mit einem älteren Pärchen schnurren davon, nicht ohne eine freundliches Nicken der Senioren. Sie halten ein Tempo wie Eddy Merckx in seinen großen Tagen.

Mit "Surrende Revolution" wird diese Entwicklung gern überschrieben; sie scheint unaufhaltsam zu sein, und warum sollte sie auch jemand aufhalten? Ist doch alles so schön einfach auf dem E-Bike! Ein kleiner Elektromotor unterstützt den Fahrer beim Treten, macht Anstiege leichter und erhöht das Tempo auf gerader Strecke. Gegenwind? Längst nicht mehr so lästig wie auf dem alten Rad, das von Muskeln und Willen betrieben wurde.

Oder ist es gar zu einfach? Ein E-Bike ist wie die Liebe, ein trügerisches Ding. Wie jede sportliche Tätigkeit schüttet auch die elektronisch befeuerte Radlerei Glückshormone aus, wenn auch nicht in dem Maße wie echtes Radfahren. Doch im Überschwang der Gefühle (Rausch der Geschwindigkeit!) nerven viele E-Bike-Fahrer; das Tempo mündet schnell in rücksichtsloses Gehabe.

Ein Sicherheitsreport der Dekra zeigt: Die Unfälle mit Elektrorädern häufen sich bedenklich. "Vom Elektromotor überfordert?", fragte jüngst die Frankfurter Allgemeine.

Eine Konterrevolution!

Längst hat sich der Boom in alle Sportbereiche des Radfahrens ausgeweitet. Es gibt Rennräder mit Elektroantrieb, Mountainbikes, die ihre Benutzer den Berg hochfliegen lassen, und den Fall eines massiven Betrugs beim professionellen Crossfahren (früher sagte man "querfeldein") hat es auch schon gegeben. Wer wird noch dopen, wenn ein versteckter Motor hilft?

Die am meisten verbreitete E-Bike-Variante wird übrigens als Pedelec bezeichnet (Pedal Electric Cycle), die den Fahrer beim Treten mit einem maximal 200-Watt-Elektromotor unterstützt. Wer nicht tritt, kommt beim Pedelec nicht vom Fleck. 25 km/h sind das höchste der Gefühle. Kein Führerschein, keine Helmpflicht.

S-Pedelecs dagegen bringen es auf bis zu 500 Watt Leistung und rasante 45 Kilometer. Sie benötigen ein Kennzeichen, und der Fahrer (mindestens 16 Jahre) braucht einen Führerschein der Klasse AM. Helm muss sein.

Mögen Fahrrad-Puristen den E-Bike-Aufstieg mit Hassliebe verfolgen, müssen sie doch zugeben: Für die Fahrt zur Arbeit eignen sich E-Bikes ganz famos, sofern die Strecke nicht zu lang ist. Man bewegt sich an der frischen Luft und kommt dank E-Antrieb doch unverschwitzt im Büro an.

Andererseits möchte man dem französischen Anthropologen Marc Augé von Herzen beipflichten. Sein gerade auf Deutsch erschienenes Buch heißt "Lob des Fahrrads" und schildert unter anderem den seligen Moment, wie er erstmals ohne fremde Hilfe auf dem schwankenden Fahrrad losfuhr.

Vor der Surrenden stand, gar nicht lange her, die Grüne Revolution, die zum Ziel hatte, mithilfe des Rades den Autoverkehr in der Stadt zu entschleunigen. Das E-Bike ist die Beschleunigung der Entschleunigung, also eine Konterrevolution.

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