Im Drama "Nie mehr wie es war" zu sehen

Christiane Paul: "Wir sind oft eher etwas zurückhaltend"

von Maximilian Haase

Christiane Paul ist am Montag in dem neuen TV-Drama "Nie mehr wie es war" zu sehen. Im Interview spricht die Emmy-Gewinnerin über Wertschätzung in Deutschland, politische Rollen und jahrelange Lügen.

Lange bevor sie im vergangenen November den Emmy-Award in Empfang nahm, wusste man Christiane Paul hierzulande in den höchsten Tönen zu loben. Zwischen "Knockin' On Heaven's Door" vor 20 Jahren und dem preisgekrönten ARD-Thriller "Unterm Radar" avancierte die Berlinerin schließlich zu einer der außergewöhnlichsten Schauspielerinnen des Landes. Trifft man die 43-Jährige nun, ein dreiviertel Jahr nach der großen internationalen Anerkennung, bestätigt sich das auch abseits ihres darstellerischen Könnens, das sie im ZDF-Familiendrama "Nie mehr wie es war" (Montag, 18.9.2017, 20.15 Uhr) aufs Neue beweist. Zum Gespräch im Charlottenburger Café trägt die Frau mit den stechenden Augen ein lässiges weißes T-Shirt und im ruppigen Berlin-Akzent spricht sie charmant wie keiner sonst.

prisma: Wann war denn bei Ihnen zum letzten Mal etwas "Nie mehr wie es war"?

Christiane Paul: Eine schwierige Frage. Ich denke, jeder hat in seinem Leben schon große und kleine Dramen erlebt. Da gab es sicher auch bei mir Situationen, in denen sich Dinge derart veränderten, dass etwas nie mehr war wie zuvor. Die Konstellation im Film möchte man nicht erleben, und das habe ich auch nicht erlebt. Aber sicher gibt es das: Die Wege trennen sich, man geht auseinander. Das gehört zum Erwachsenwerden.

prisma: Und abseits des Privaten – hat sich bei Ihnen im beruflichen Bereich nach dem Emmy-Gewinn letzten November etwas geändert?

Paul: Ich hatte oft großes Glück, schöne Projekte machen zu dürfen; auswählen zu können. Das war vorher so, und ist im Moment auch noch so. Vielleicht ist die Aufmerksamkeit eine andere.

prisma: Woran merkt man das?

Paul: Der Emmy wurde in Presse und Öffentlichkeit sehr gut aufgenommen. Die positive Resonanz war für uns Preisträger sehr groß; es gab Titelseiten, die Tagesthemen berichteten. Es war sehr breit gestreut. Das freute mich schon sehr. Deutschland tut sich ja doch immer noch ein wenig schwer damit, sich auch mal selbst zu bejubeln. Deshalb hat keiner – sicher auch von den anderen deutschen Emmy-Gewinnern nicht – damit gerechnet, dass das so gefeiert werden würde.

prisma: Wie haben Sie das vorher in wahrgenommen?

Paul: Ich glaube, wir sind oft eher etwas zurückhaltend mit der Wertschätzung der eigenen Leute. Das betrifft alle Bereiche. Auf der After-Show-Party vom Emmy kam ein russischer Produzent zu mir und fragte: "Was ist denn los mit euch Deutschen? Alle anderen flippen aus vor Freude aus, und Ihr klatscht nur brav!" (lacht). Ganz so war es natürlich nicht, aber es ist ein wenig symptomatisch. Dahingehend war dann die Resonanz hier zu Hause atemberaubend. Es geht mir dabei darum, wie wir mit Leistung umgehen.

prisma: Andere Länder haben uns da etwas voraus?

Paul: Naja, in den USA hat man schon den Eindruck – wenn da jemand etwas Gutes macht, dann rasten alle aus, im positiven Sinn. Wir machen auch tolle Sachen – da müssen wir uns auch im filmischen Bereich überhaupt nicht verstecken und können stolz sein. Zwar waren wir beim Serien-Trend etwas hintendran, aber jetzt ziehen wir kräftig nach. Man schaue nur "Deutschland 83" – das hat einen Wahnsinns-Ruf. Hier lief das auf RTL und hatte keinen guten Quoten – und dann bekommt das den Emmy, bämm!

prisma: Warum dauert es mit der Wertschätzung unser eigenen Serienproduktionen so lange?

Paul: Zum einen haben die hiesigen Fernsehsender schon etwas Zeit gebraucht, um sich auf ein solche Erzählart einzustellen. Es gibt es hier einfach andere Sehtraditionen, und die Sendeplätze müssen den neuen Formaten angepasst werden. Das braucht Zeit und auch ein Publikum. Und zum anderen ist es auch eine andere Art zu erzählen – die Figurenentwicklung, die Dramaturgie ist anders. Das fordert die Kreativen. Dabei können wir das – und zeigen es auch, von "Charité" bis "Babylon Berlin". Und das Ausland sagt: Toll!

prisma: Brauchen die Deutschen mehr Selbstvertrauen?

Paul: Vielleicht. Eigentlich können wir sehr glücklich sein, in diesem Land zu leben. Weltpolitisch ist Deutschland ein verlässlicher und guter Partner. Trotz aller Probleme und Skandale finden wir hier angesichts der Weltlage doch Stabilität. Wir sind aber kulturell auch anders gewachsen als die USA etwa; es gibt da ein anderes Entertainment-Verständnis.

prisma: In den USA engagieren sich ja viele Hollywood-Stars auch politisch, vor allem gegen Trump ...

Paul: Das gibt es hier auch, aber eben anders, Politik ist für uns kein Entertainment. Derzeit engagieren sich beispielsweise einige Kollegen von mir im jetzigen Wahlkampf. Auch gab es im Rahmen der Flüchtlingskrise viel Engagement. Da haben sich viele Filmemacher und Schauspieler eingebracht, Spots gedreht, waren vor Ort. In dieser Branche gibt es durchaus ein politisches Bewusstsein.

prisma: In filmischer Hinsicht ziehen in den USA ja noch immer historische Produktionen aus Deutschland – und Filme, die sich wie "Unterm Radar" mit brandaktuellen Themen auseinandersetzen.

Paul: Ja, das stimmt wohl. Dieser Film und meine Rolle darin haben sicher diesen besonderen Weg genommen, weil der Film eben dieser Film ist. Polit-Thriller gibt es in Deutschland auch nicht oft, werden aber dankbar aufgenommen. Sich in dieser Dimension politischen Fragen zu stellen, ist nicht leicht. Dass ich den Emmy erhalten habe, hat mit diesem Stoff zu tun. Ein universelles, nachvollziehbares Thema, das sich auf alle Systeme übertragen lässt. Mit dem Terror müssen wir ja auch im Westen seit fast 20 Jahren leben. Das war in "Unterm Radar" hoch emotionalisiert dargestellt. Zudem wurden wir direkt von der Realität eingeholt; wir drehten dort am Breitscheidplatz, wo später im Dezember letzten Jahres der Anschlag stattfand.

prisma: Ist dann nicht ein Familiendrama wie Ihr aktueller Film "Nie mehr wie es war" paradoxerweise gar weiter weg als ein Film über Terror?

Paul: Bei "Nie mehr wie es war" fand ich es enorm schwer nachzuvollziehen, dass die Hauptfigur 17 Jahre mit einer Lüge lebt. Das war sehr schwierig für mich zu spielen, weil es nicht so geradlinig war und ich Zeit brauchte, die Figur vollends zu erfassen. Ich musste mir erst mal ein emotionales Verständnis aufbauen: Wie geht das? Wie lebt man das?

prisma: Wie nähert man sich so einer Rolle, so einem Thema an?

Paul: Ich habe viel recherchiert, viel gelesen, mich viel mit dem Komplex "Kuckuckskinder" beschäftigt. Das ist überraschenderweise sehr verbreitet. Eine befreundete Psychiaterin konnte mir helfen, da sie mit diesem Thema in ihrer Praxis Erfahrungen hat. Auch fragte ich mich zunächst: Wie kommt es überhaupt dazu? Was passiert mit so einer Frau, gerade über all die Jahre? Das ist ein aktiver Prozess der Beschäftigung und des Rantastens. Aber es ist auch bei jeder Rolle anders, da gibt es kein Rezept.

prisma: Spielte es dabei eine Rolle, dass sie selbst Kinder haben?

Paul: Ja und nein. Ich kann die Figur nicht nur aus meiner Sichtweise betrachten. Es ist eine ganz andere Person, die ich da emotional verstehen musste. Sicher kann man viel aus dem eigenen Erfahrungsschatz, aus der eigenen Auffassung erklären. Aber es geht eben nicht nur um die eigene Auffassung, sondern um die der Figur.

prisma: Sie erwähnten das jahrelange Lügen ...

Paul: Wenn eine Frau so lange mit einer Lüge lebt – die ist immer da, die ist nicht verdrängt –, hat das auf ihre Person einen Einfluss. Alles was wir leben, sieht man irgendwann – im Verhalten, im Gesicht. Die befreundete Ärztin sagte mir, diese Frauen haben eine Entwicklungshemmung, führen keine Karriere weiter. Konflikte mit dem Mann werden immer vermieden, damit dabei nicht irgendwann die Lüge rauskommt.

prisma: Belastet es nicht, dass Sie sehr oft diese tragischen Frauenrollen in Familiendramen spielen?

Paul: Das liegt einem schon auf der Seele. Mich belastete das sehr. Das Schöne war, dass mein Filmpartner Fritz Karl manchmal morgens in die Maske kam und unseren Dialog direkt als Oper sang. Da mussten wir alle erst mal lachen. Und das tat gut. Einmal kam ich in eine entscheidende Szene des Films nicht rein. Wir hatten bereits so viele emotionale Szenen hinter uns, dass ich plötzlich ich am Set saß und eine Blockade hatte. Irgendwann kommt man bei so einer Figur nicht mehr an die Emotion heran. Dann fing es plötzlich an zu schneien, und wir mussten abbrechen. Das waren anderthalb Stunden Pause, was normalerweise nie passiert in so einer Situation. Beim Mittagessen fing ich dann an, mit Fritz Karl herumzublödeln und zu lachen. Danach ging es dann.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren