Sonntag am "Tatort"

"Tatort: Gier": Reingetapst, rausgetapst

06.06.2015, 08.15 Uhr
von Detlef Hartlap
Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) ermitteln im Wiener "Tatort: Gier" im direkten Auftrag ihres Chefs.
BILDERGALERIE
Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) ermitteln im Wiener "Tatort: Gier" im direkten Auftrag ihres Chefs.  Fotoquelle: ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Miss Marple lässt grüßen: Bibi Fellner und Moritz Eisner sind die Helden der Zufälligkeit.

Für Wien muss man ein Gespür haben. Der Staatsfunk ORF hat es nicht. Andernfalls wären die Tatort-Folgen aus Wien besser.

Theoretisch böten sie, weil sie Region und das charakteristische Verbrechen in 90-minütigen Geschichten vereinen, die Chance auf einen prächtigen Einblick in Wiens Doppelgesichtigkeit. Davon kann aber keine Rede sein.

Der Arbeitstitel der neuen Folge um Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser) lautete "Nullsummenspiel". Darin hätte immerhin ein Geheimnis gelegen.

Der ganz normale Wahnsinn von Firmenerben

Aber irgendwo beim ORF hat man dann doch gemeint, ein Spiel, bei dem es um Einsparungen und Betriebsverkäufe geht, müsse so kapitalismuskritisch wie möglich angelegt sein. Und so wurde der Titel "Gier" gewählt. Wohlan denn! Zwar tauchen in den obligaten 90 Tatort-Minuten weder Banker noch Hedgefonds-Manager auf, für die das Wort Gier zur Metapher geworden ist, aber ist nicht auch der ganz normale Wahnsinn von Firmenerben auf Gier zurückzuführen?

Wien hatte schon immer, selbst zu Maria Theresias Zeiten, einen Drehscheibenkopf, der sich bald nach Osten, bald nach Westen wendete, oft so schwungvoll schnell, dass dem Wiener Volk beim Heurigen die Gemütlichkeit abhandenkam. Die große Nervosität der Moderne konnte jedenfalls nirgendwo eher und besser diagnostiziert werden als in Wien, voran von den Herren Freud und Schnitzler.

Nach dem Zweiten Weltkrieg drehte sich der Drehscheibenkopf noch schneller. Ost und West vereinbarten ihre großen Deals in Wien, der Stadt von Business und Mafia, von Küss-die-Hand und Dolchstichen in den Rücken.

Das führte zum Teil zu großartigen Agentenfilmen wie "Der dritte Mann" und "Charly Muffin" (Mord&Totschlag vom 4. Januar 2015), fand aber nie, nie, nie in irgendwelchen Fernsehfilmen seinen Niederschlag, schon gar nicht im Wiener Tatort.

Ein drogenschmuggelndes Altenheim

Im Gegenteil, für gewöhnlich tapsen die Sonderbeauftragten Eisner und Fellner wie zufällig in ihre Fälle, darin mit Miss Marple verwandt. In der Folge "Paradies" starb Bibi Fellner, die gerade in den Urlaub fliegen wollte, der Großvater weg, und so geriet man bei Antritt eines unerwartet großen Erbes unversehens in ein drogenschmuggelndes Altenheim.

Diesmal treten die Beiden, aufgebretzelt wie zum Staatsempfang, zur Geburtstagsfeier des Patenkindes ihres Chefs an. Das Geburtstagskind fehlt, es ist soeben einem Chemieunfall zum Opfer gefallen.

Der Fall und seine Aufklärung sind, weil schlimmste Klamotte, der Nacherzählung (und eigentlich auch des Ansehens) nicht wert. Es geht um viel Geld, um ein sorgenloses Leben auf Kosten anderer – und es endet, tatsächlich, als Nullsummenspiel. Das hätte schon gepasst mit dem Titel.

Mischung aus Rachegeist und der stoischer Ruhe

Aber auf drei Stereotype sei doch hingewiesen. Erstens, der Hannibal-Lecter-Film "Das Schweigen der Lämmer", der Jodie Foster vorübergehend zur begehrtesten jungen Frau des Universums machte, ist 24 Jahre alt. Aber immer wieder erliegen Drehbuchautoren und Regisseure der Versuchung, die geheimnisvolle Macht von Männern, die aus der Machtlosigkeit des Gefängnisses heraus die Geschicke leiten, neu darzustellen. In diesem Fall darf Anian Zollner in einer Mischung aus Rachegeist und der stoischen Ruhe, die Paul Newman in "Man nannte ihn Hombre" an den Tag legt, pendeln. Das Schema ist mittlerweile zu vertraut, um noch diabolisch zu wirken.

Zweitens wird der gegenwärtigen Unternehmergeneration grundsätzlich nur noch Geldgeilheit unterstellt. Wer eine Firma besitzt, will sie ausbeuten. Ganz anders die stets über den grünen Klee verherrlichte Väter-Generation, die noch mit Leib und Opferseele im Selbstgeschaffenen aufging. Ältere Angestellte, gern die Sekretärinnen, wissen stets ein Lied davon zu seufzen.

Bei "Der dritte Mann" (Regie Carol Reed) und "Charly Muffin" (Regie Jack Gold) entstand das Verbrechen noch aus Wien selbst heraus beziehungsweise aus dem politischen Ost-West-Konflikt. Jetzt, im Tatort, wird es an den Haaren herbeigezogen.

Schließlich, und das ist nun tatsächlich etwas speziell Wienerisches: Die Tatortler tapsen (s. o.) unvermutet in ihre Fälle, und sie tapsen ebenso unvermutet auch wieder hinaus. Vor einiger Zeit entdeckten sie nach der vermeintlichen Lösung des Falles, dass sie mit einer bulgarischen Amtskollegin zusammengearbeitet hatten, die sich als Komplizin der Täter erwies, aber leider nicht mehr greifbar war.

Diesmal stehen Bibi Fellner und Moritz Eisner auf dem Friedhof und erleben ihr blaues Wunder. Schönes Ende eines faden Films.

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