01.03.2016 Parzivals Restspuren in Batman

Sehnsucht nach starken Kerlen: Der Held in uns allen

Von Maxi Rutka
Deadpool: Ryan Reynolds abenteuert gerade mit großem Erfolg durchs Kino.
Deadpool: Ryan Reynolds abenteuert gerade mit großem Erfolg durchs Kino. Fotoquelle: 2015 Twentieth Century Fox

Vielen Menschen gelingt es nicht, ihre Beziehung zu retten. Aber die Welt retten sie im Handumdrehen.

Siegfried musste noch Drachen töten, um als Held zu gelten. Den Jung-Siegfrieds im Fußball reicht dafür ein Tor. Wir leben in einer Zeit der Helden-Inflation. Es geht um alles, das Universum und die Champions League. Batman, Hulk, Ironman, Thor und Manuel Neuer, sie alle retten in einem fort die Welt. Wahre Helden!

Eher selten dürfen sich auch mal sexy Heldinnen druntermischen. Dunkel bleibt die Ziffer für die Helden des Pantoffelkinos, die ihrer Berufung zu Hause nachkommen. Beim digitalen Gaming kann jeder Fuzzy zum Helden werden, sofern er es in einer Runde auf, sagen wir mal, 7642 Punkte bringt, was meistens mit 7642 getöteten Feinden identisch ist. Die Frage nach Gut und Böse stellt sich dabei nicht. Die Bösen sind die anderen. Ist klar.

Woher kommt dieses Bedürfnis nach Heldentum? Grundsätzlich durchlebt wohl jeder mehrmals täglich in Spiel und Tagtraum eine zweite (bessere) Realität. Das ist normal.

Aber warum muss es in Ballerspielen wie "Splatoon" und "Call of Duty" immer gleich ums Ganze gehen? Wieso muss überhaupt die Welt gerettet werden, wenn die meisten nicht mal ihre Beziehung retten können?

Ist die Leerstelle der Fadheit in unserem Leben derart, dass wir jeden Torwart, der ein paar Schüsse, Würfe, Strafstöße pariert hat, zum Idol machen müssen?

Das Wort "Heldendämmerung" ist bekanntlich zweideutig. Es kann das Heraufziehen eines neuen Zeitalters bedeuten oder das Ende einer Epoche. Im Moment stehen wir gerade ... ja, wo eigentlich, im Morgen- oder im Abendrot?

Heldentum hatte sich als Gespinst erwiesen

Nach dem Zweiten Weltkrieg war erst mal Schluss mit heldisch. Die Heroen der Weltkriege hatten dazu gedient, oft freiwillig, einem tief in der Nation verwurzelten Mörderregime nützlich zu sein. Ihr Heldentum hatte sich als Gespinst erwiesen.

Umso frenetischer wurden nach dem Krieg die Helden des Sports und des Alltags gefeiert, etwa die Lebensretter bei Überschwemmungen und anderen Katastrophen; oder die "Helden von Bern", die 1954 Fußball-Weltmeister wurden.

Vielleicht noch interessanter ist, wer nicht gefeiert wurde, also durch das gesellschaftliche Heldenraster fiel: Krankenschwestern zum Beispiel, Altenpfleger, auch Ärzte mit ihren 32-Stunden-Schichten. Oder von den Siebzigerjahren an auch die plötzlich so genannten "Nur-Hausfrauen", die mit Kindern, Kita, Schule, Haushalt, Garten, Haustieren etc. ein Pensum absolvieren, das manch hochbezahlten CEO in die Knie zwänge.

Auch Ehrenamtlern wird der Heldenstatus nur ausnahmsweise zugebilligt. Adverbien wie "nützlich" oder "wertvoll" bleiben gewöhnlich das höchste der Gefühle.

Wer zum Helden taugt, darüber befindet der Zeitgeist. Albert Einstein hätte ein deutscher Superheld sein können, doch trieb Deutschland ihn außer Landes.

In unserer "postheroischen Gesellschaft" gäbe es eigentlich keine Helden mehr, sagte der Berliner Politik-Wissenschaftler Herfried Münkler jüngst in der WDR-Radiosendung "Lebenszeichen".

Parzivals Restspuren in Batman

Aber Münkler sieht, dass die Gesellschaft damit nicht so recht glücklich wird und nicht auf Helden-Diät darben mag: "Wir spüren, dass wir damit etwas verloren haben."

Weswegen neuerdings jeder ein Held sei, der, so Münkler, "zwei Stunden ein Buch gelesen hat, ohne einzuschlafen; das ist ein Universitätsheld."

Das lässt den Schluss zu, dass die Comic-Superhelden, die Hollywood seit Jahren in seltener Stupidität für das Fast-Food-Kino aufbietet, deswegen so großen Zulauf bei der Jugend finden, weil der Hunger nach Heldentum unersättlich ist. Superman, Spider-Man, Captain America, sie schließen eine Lücke, die unsere Gesellschaft auch mit ihrer Vielfalt an Freizeitangeboten nicht zu füllen vermag. Im Extremfall reichen Filme und Ego-Shooter-Spiele nicht mehr aus. Da wird ins wilde Syrien ausgebüxt, um das Abenteuer unter religiösem Deckmantel hautnah zu spüren.

Der klassische Held der Antike und des Mittelalters pflegte eine Lebensreise anzutreten. Sie endete in heroischer Erfüllung oder im Tod. Der Held macht sich, wie Parzival, in jungen Jahren auf die Socken, zieht ins Abenteuer, erweist sich als Tollpatsch und versagt vor dem Heiligen Gral kläglich.

Erst als er sich zu einem einfühlsamen und mitleidsfähigen Mann entwickelt hat, bekommt er eine zweite Chance, die er bravourös nutzt. Und weiter? Nichts weiter.

Ob seine Tat besungen wird, ob sie überhaupt bemerkt wurde, ist ihm, Parzival, einerlei. Er ist kein Held, der sich, wie das deutsche WM-Team von 2014, im Spiegel seiner selbst (bzw. auf Selfies) feiert. Was zählt, ist das Wissen, bestanden zu haben.

Restspuren im Leben von Spider-Man und Batman

Restspuren davon finden sich auch im Leben von Spider-Man und Batman. Wie Parzival wachsen sie vaterlos, ja ganz ohne Eltern auf. Im Falle Batmans wurden die Eltern in seinem Beisein erschossen, im Falle Spider-Mans mussten sie aus für ihn unerklärlichen Gründen über Nacht fliehen und alles zurücklassen, auch ihn. Aus dieser negativen Grunderfahrung her aus schöpfen beide Willen und Kraft – zunächst zur Rache und später auch zur uneigennützig guten Tat.

Und doch bleibt es bei Batman und Spider-Man, anders als etwa bei Odysseus, der nach Jahren unfreiwilliger Irrfahrt an die Gestade Ithakas heimkehrt und die Ordnung wiederherstellt, sehr dem Auge des Betrachters überlassen, welche Botschaft er wahrnimmt. Handelt es sich um Widerstandskämpfer gegen Unrechtsregime? Oder nehmen sie das Recht willkürlich in eigene Hände?

Die zweite Lesart kommt im Moment außerordentlich gut an. Nicht nur im waffenseligen Amerika, auch im neuen Deutschland der Bürgerwehren. Sie berufen sich auf einen vermeintlichen Notstand und harren jener Dämmerung, in der sie Gelegenheit finden, sich als Helden zu beweisen.

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